Ulrike Klein: Geomedienkompetenz. Untersuchung zur Akzeptanz und Anwendung von Geomedien im Geographieunterricht unter besonderer Berücksichtigung moderner Informations- und Kommunikationstechniken. Kiel (Kieler geographische Schriften 118) 2008. 244 S.
Das vorliegende Werk widmet sich einem facettenreichen Themenkomplex, der spätestens seit den frühen 1990er Jahren den Gegenstand intensiver didaktischer Forschung darstellt. Das von der Verfasserin deklarierte wissenschaftliche Novum bildet der Versuch, basierend auf einer empirischen Studie und der „Analyse der Fachliteratur ein Modell der Geomedienkompetenz zu entwickeln und die Interaktionen und Rückkopplungen innerhalb des Modells zu untersuchen und darzustellen“.
Sachlogisch folgerichtig ist die Arbeit in drei Teile gegliedert: Zunächst strebt die Autorin die Schaffung eines Theoriefundaments an, auf dessen Basis dann im Hauptteil eine empirisch profunde Untersuchung aufbaut. Im letzten Teil werden die gesammelten Erkenntnisse symbiotisch zusammengeführt, die aufgeworfenen Hypothesen veri- respektive falsifiziert und Interaktionen und Rückkopplungen in Form eines Modells dargestellt. Eine besondere Stärke der Untersuchung liegt im wissenschaftlich exakt erarbeiteten Untersuchungsteil, der auf den ersten Blick den Anforderungen empirischer Bildungsforschung voll gerecht zu werden scheint.
Die gezogenen Schlussfolgerungen sind fundiert und geben die gewonnenen Erkenntnisse detailliert und reflektiert wieder. Das aus den Untersuchungsergebnissen abgeleitete Modell der Geomedienkompetenz mit seinen Interaktionen und Rückkopplungen überzeugt. Des Weiteren bildet die Analyse der Zusammenhänge zwischen der Computerkompetenz, dem Ansehen des Faches (sowie die daraus resultierende intrinsische Motivation) und dem subjektiven Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler ein durchaus bereicherndes Novum geographiedidaktischer Forschung. Durch die Brille des didaktischen Laien betrachtet ergeben die Untersuchungen zur Geomedienkompetenz ein harmonisches Gesamtgefüge, doch bereits die Sichtung des Literaturverzeichnisses weckt beim Rezensenten Zweifel an der Solidität der Untersuchung.
Eine im Theorieteil des Werkes oft zitierte Literaturgrundlage bildet die Publikation „Geographiedidaktik“ des Kollegen RINSCHEDE aus dem Jahr 2005 (positiv anzumerken gilt es, dass überhaupt eines der Grundlagenwerke angeführt wird), während das eigentliche Standardwerk der Geographiedidaktik, herausgegeben vom Kollegen HAUBRICH nur in einer alten Ausgabe im Verzeichnis erscheint. Bereits ein Blick in die neuere Publikation aus dem Jahr 2006 „Geographie unterrichten lernen – die neue Didaktik der Geographie konkret“, hätte die Autorin an viele wichtige Forschungsergebnisse zum bearbeiteten Themenkomplex herangeführt. Dem Einsatz der digitalen Medien werden hier mehrere Kapitel gewidmet, die von namhaften Geographiedidaktikerinnen und -didaktikern verfasst wurden. Alleine in der Bibliographie dieses Werkes erscheinen mehr als 30 Aufsätze und Monographien, die Forschungsergebnisse zum Einsatz digitaler Medien im Geographieunterricht darstellen.
Bundesweit steht die Untersuchung dessen, was im vorliegenden Buch als „computergestützte Geomedien“ bezeichnet wird im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeit von zahlreichen Geographiedidaktikern, ohne dass zumindest die zentralen Erkenntnisse langjähriger Arbeit der Kolleginnen und Kollegen ihren Niederschlag im rezensierten Text gefunden hätten. Genannt seien hier nur stellvertretend die Namen SIEGMUND, SCHLEICHER, ROSSEEU, SCHÄFER und PÜSCHEL. Fast befremdlich wirkt die Tatsache, dass selbst die Arbeiten der Kieler Kollegen HOPPE und HASSENPFLUG weitgehend ignoriert werden, ist doch das vorliegende Werk als Band 118 in den Kieler Geographischen Schriften erschienen. Von den Summa Summarum an die hundert Fachpublikationen zum Einsatz moderner Informations- und Kommunikationsmedien im Geographieunterricht wird nur ein geringer Bruchteil verwendet. Ebenso vermisst der Rezensent die mannigfachen Schriften im internationalen Kontext, auch die Shell Jugendstudien, in denen wesentliche Informationen zur „Computer Literacy“ der Jugendlichen zusammengetragen wurden, fehlen.
Ohne die Rezension durch Detailargumentation zu sprengen sei an dieser Stelle nur angemerkt, dass eine Vielzahl der im vorliegenden Text als „neu“ dargestellten Einzelerkenntnisse bereits an anderer Stelle ausführlich untersucht, analysiert und diskutiert wurden. Wirklich neu ist hingegen die Betrachtung des Einsatzes der Medien in der Gesamtschau und im Kontext von Schülerinteresse, Medienkompetenz und anderen Lernerprädispositionen. Zusammenfassend muss konstatiert werden, dass der gesamte Theorieteil der Untersuchung auf recht tönernen Füßen ruht.
Dem Begriff der „Geomedien“, die Analyse der Geomedienkompetenz bildet den Kern der Untersuchung, nähert sich die Autorin im Kapitel drei aus Sicht der Geographie- und Mediendidaktik. Dabei wirkt der Versuch aus scheinbar beliebig „zusammengestoppelten“ Einzelzitaten des höchst umfangreichen Mediendiskurses eine Definition des Terminus Geomedien abzuleiten didaktisch hilflos und als Grundlage für eine empirische Untersuchung unpräzise. Entlarvend ist die im Fragebogen aufgeführte Liste der sog. Geomedien: Filme, Internet, PC allgemein, Fotos, Bilder, originale Gegenstände, Zeichnungen, Abbildungen usw. Hier wird das Präfix „Geo“ zu einer bloßen Hülse, da es sich um Medien handelt, die auch, aber nicht nur im Geographieunterricht eingesetzt werden. Anders verhält es sich hingegen mit den Medien GIS, GPS, Meteorologische Instrumente, Luft- und Satellitenbilder, Karte, Atlas, Globus, Tellurium, deren primäre Domäne durchaus in der Erdkunde zu suchen sein dürfte, von denen einige in der Untersuchung aber keinerlei Erwähnung finden. Schließlich verengt die Studie ihren Fokus und betrachtet überwiegend den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationsmedien im GU.
Insgesamt bleiben die theoretischen Ausführungen nicht nur in Bezug auf den Medienbegriff vage, sondern dokumentieren auch in anderen Bereichen eine nur diffus vorhandene fachdidaktische Kompetenz der Verfasserin. Wenn sie beispielsweise behauptet, dass in der „aktuellen“ Geographiedidaktikliteratur Lernen als eine Form des Kognitivismus angesehen wird, ignoriert sie die zahlreichen konstruktivistischen Diskurse der Geographiedidaktik.
Fazit: Der Volksmund sieht uns Wissenschaftler oft im virtuellen Elfenbeinturm sitzen, in dem abgeschirmt von der Gesellschaft geforscht wird, während das kostbare Erkenntnisgut für den Laien unverständlich und unerreichbar bleibt. Auch die vorliegende Arbeit wirkt wie im Elfenbeinturm verfasst, doch gleicht der Turm eher einer Bastion, die überdies wesentliche Erkenntnisse der geographiedidaktischen Forschung exkludiert. Dieser Umstand erscheint bedauernswert, da die großen Mühen der Verfasserin bei intensiverer Literaturrecherche und vor allem gründlicher Rückkopplung mit der Scientific Community zu einem noch größeren Mehrwert hätten avancieren können.
Gregor C. Falk, Freiburg
Berichte zur deutschen Landeskunde, Bd. 84, H.1, 2010, S. 96-98
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