Chris Williams: Ecology and Socialism. Solutions to Capitalist Ecological Crisis. Chicago 2010. 283 S.
Als Beitrag zur Diskussion über die Ursachen und Wege aus der ökologischen Krise liefert Verf. eine wissenschaftlich fundierte, politische Handreichung, die in der Tradition des – im Vergleich zum europäischen immer noch lebendigeren – us-amerikanischen Ökomarxismus steht. Ausgehend von den aktuellen Debatten über soziale Ursachen, Folgen und technokratisch-systemimmanente Lösungsansätze des Klimawandels gelangt Verf. zu theoretischen Erörterungen ökologischer Probleme und Forderungen für sozialökologische Politik. Gespickt mit Zitaten von Marx und Engels entwickelt er seine zentrale These: »Three of capitalism‘s basic features make it anti-ecological: an imperative for constant expansion of the economy as a whole; the drive for profit in each economic unit; and a built-in focus on the short term.« (195)
Bemerkenswert sind v.a. die historischen Analysen sowjetischer sozialökologischer Wissenschaft und Politik nach der Oktoberrevolution bis zum ersten Fünf-Jahres-Plan unter Stalin sowie die ausführliche Ideologiekritik der heutigen malthusianischen Renaissance in Form des »Neomalthusianismus mit grünem Anstrich« (42). Erstere brechen gleich mit mehreren zentralen Mythen des linksbürgerlichen Flügels der Ökologiebewegung. Weder seien das Werk von Marx und Engels oder marxistische Standpunkte per se von einem »Promethean view« (171) beseelt noch habe eine »›productivist‹ ideology« (170) den Umgang mit der Natur in der frühen Russischen Sowjetrepublik bzw. Sowjetunion dominiert. Im Gegenteil: »For a short period of time, studies in Soviet ecology blossomed as in no other country.« (183) Der Naturwissenschaftler Wladimir I. Wernadski etwa warnte schon 1922 vor den Gefahren der Atomkraft und entwickelte 1926 als erster das Konzept der Biosphäre. Bereits 1924 wurde die Ökologie als eigenständiger Forschungsbereich an sowjetischen Hochschulen etabliert. Mit der Einrichtung sogenannter Sapowedniks (großflächige Schutzgebiete für Natur, Pflanzen, Tiere, kulturell und historisch bedeutsame Orte, Gebäude usw.) übernahm die Regierung vorübergehend sogar eine Pionierrolle im staatlichen Naturschutz.
Der heutige ›grüne‹ Malthusianismus lasse sich bis zu Garrett Hardins mittlerweile klassischem Essay »The Tragedy of the Commons« von 1968 zurückverfolgen und stoße heute bei Umwelt-NGOs wie z.B. Friends of the Earth auf beträchtliche Resonanz. Im Kern gründet er auf der These, dass »population growth is the main cause of mass starvation and environmental ruin« (35). Anknüpfend an Marx’ vernichtende Malthuskritik widerlegt Verf. diese Behauptung empirisch und kommt anschließend zum selben Ergebnis wie Marx: Nicht das Wachstum der Bevölkerung, das heute in diversen Strategiepapieren von Washington über Berlin bis Tel Aviv als »demographic threat« (51) zur Legitimation von Militäreinsätzen und autoritären Regierungspolitiken herangezogen wird, ist verantwortlich für die sozialen und ökologischen Probleme. Sondern die kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse sorgen dafür, dass ganze Bevölkerungsgruppen ihre Nahrungsmittelsouveränität verlieren und immer weitere zerstörerische Verfahren wie Ölsandabbau, monokultureller Anbau von Agrotreibstoffen, CSS-Einlagerung von CO2 in geologischen Formationen oder »hydraulic fracturing« (95) zum Abbau von Bodenschätzen eingeführt werden, die das politische Neusprech über eine ›green economy‹ oder einen ›Green New Deal‹ zur Farce werden lassen. Um dem notorischen Vorwurf zu begegnen, marxistische Kritik habe ›nichts‹ anderes zur Lösung der mannigfaltigen Probleme des gesellschaftlichen Naturverhältnisses zu bieten als die sozialistische Revolution, präsentiert Verf. einen ganzen Katalog konkreter und kurzfristig umsetzbarer Forderungen. Sie zielen auf einen Schulterschluss zwischen Umwelt- und Arbeiterbewegung, durch den »the best aspects of the social movements of the 1960s with the workers‘ radicalism of the 1930s« (166f) kombiniert würden. So schlägt Verf. u.a. Folgendes vor: Finanzierung neuer und diversifizierter Netze des öffentlichen Personennahverkehrs, Förderung der kleinen und mittleren Landwirtschaft statt großflächiger Monokulturen, Umstellung der Stromproduktion auf erneuerbare Energien und Schließung von Kohle- und Atomkraftanlagen, ein internationales Aufforstungsprogramm, Verbot aller gefährlichen Pestizide, Herbizide, Fungizide und chemischen Dünger, Abschaffung der Werbeindustrie und eine neue Stadtplanungspolitik, um die Kluft (»rift«) zwischen Stadt und Land zu verringern. Allerdings lässt Verf. keinen Zweifel daran, dass eine Versöhnung von Natur und Gesellschaft nicht durch innerkapitalistische Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse zu bewerkstelligen ist, sondern eine Vergesellschaftung und demokratische Kontrolle der Produktionsmittel sowie eine Aussetzung der Distribution über den Markt voraussetzt. Daher könne es auch keinen »›environmental friendly‹ capitalism« (12) geben, sondern nur den Kampf um sozialökologische Verbesserungen im Bestehenden, die nicht auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben sind. Zu diesem Kampf gehöre auch eine »pro-human and pro-nature redefinition of wealth based on social union of the human producers and their existing ›natural‹ conditions of production« (236). Diese Neubestimmung geschehe jedoch nicht vorrangig an Universitätsschreibtischen, sondern in den praktischen Kämpfen um das gesellschaftliche Naturverhältnis. »We can win meaningful victories under capitalism«, schlussfolgert Verf., »and these are essential stepping stones on the path toward more victories« (237) und zur Bewegung, die die herrschende Beziehung zwischen Natur und kapitalistischer Gesellschaft überwindet.
Christian Stache (Hamburg)
Quelle: Das Argument, 54. Jahrgang, 2012, S. 301-302
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