Thomas Homer-Dixon: Der heilsame Schock. Wie der Klimawandel unsere Gesellschaft zum Guten verändert. München 2010. 79 S.

Der kanadische Professor für Politikwissenschaft zählt seit fast zwei Jahrzehnten zu den bekanntesten Vertretern der neomalthusianischen Argumentation, die Kombination aus Bevölkerungswachstum und umweltbedingter Ressourcenverknappung führe zu gesellschaftlichen Krisen und gewaltsamen Konflikten. Der schmale Band stellt die überarbeitete Fassung seines Eröffnungsvortrags zur Konferenz "The Great Transformation - Climate Change as Cultural Change" vom Juni 2009 in Essen dar. Er ist in der Reihe "quergedacht" erschienen. Die Argumente des Bestseller-Autors schließen an seine zahlreichen Veröffentlichungen an, die längst zum wissenschaftlichen und politischen Mainstream avanciert sind.

 

Zentraler Ausgangspunkt ist die Annahme unidirektionaler, linearer Kausalketten von Umweltveränderungen zu sozialen und politischen Krisen. Thomas Homer-Dixon beschreibt Szenarien, die vom anthropogenen Klimawandel über Rückgänge der Getreideproduktion in China zur starken Steigerung der Brotpreise in der Dritten Welt und in deren Folge zu "Aufständen und Gewaltausbrüchen" (18) führen würden. Es ist unbestritten, dass in zahlreichen Städten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas Proteste gegen den enormen Anstieg der Preise von Grundnahrungsmitteln und Gütern des alltäglichen Gebrauchs wie Speiseöl und Seife stattfinden. Allerdings sind sowohl Veränderungen in den Produktionsmengen als auch die Lebensmittelpreise weniger auf den Klimawandel als vielmehr auf Bedingungen der globalen Agrarmärkte und auf nationalstaatliche Politiken zurückzuführen. Homer-Dixons Argumentation, Hungerkrisen lägen im globalen Klimawandel begründet, neigt dazu, Umweltprobleme zu depolitisieren und politische Probleme internationaler Handels- und Agrarpolitiken zu naturalisieren.

Der Autor sieht im Klimawandel eine globale Krise, die sowohl zerstörerisches als auch schöpferisches Potenzial aufweist: "In einer Welt der nicht zuletzt durch den Klimawandel verursachten Krisen und gesellschaftlichen Zusammenbrüche werden wir geeignete Wege finden müssen, damit diese Erschütterungen nicht in eine Spirale der Gewalt und Aufl ösung münden, sondern zu einer gesunden Erneuerung führen." (23) Im Anschluss an die schumpetersche ökonomische Theorie argumentiert er, ebenso wie in der "modernen kapitalistischen Wirtschaft" (ebd.), in der Krisen zu technologischen Entwicklungen führten und Märkte "von den Exzessen früherer Boom-Zeiten" (23f) bereinigt würden, könne aus der Klimakrise gesellschaftlicher Fortschritt resultieren. Voraussetzung dafür sei eine kognitive, ökonomische, politische und normative Wende. Homer-Dixon kritisiert den verbreiteten Fortschritts- und Wachstumsglauben aus liberal-ökologischer Perspektive. Ausgehend von der Feststellung, dass es sich bei den gängigen ökonomischen Modellen keineswegs um eine "unangreifbare Wahrheit, sondern nur eine besonders wirkmächtige Ideologie" (46) handelt, fordert Homer-Dixon, ökonomische Systeme stärker auf die Widerstandsfähigkeit gegenüber ökologischen Schocks statt auf dauerhaftes Wachstum auszurichten.

Zweifellos stellt der Klimawandel eine globale Herausforderung dar. Der Autor klammert jedoch weitgehend aus, dass die Verantwortung für seine Ursachen ebenso ungleich verteilt ist wie die Verwundbarkeit gegenüber seinen negativen Folgen. Trotzdem erkennt er an, dass es sich beim Klimawandel nicht um ein "Expertenproblem" handelt, dem mit technokratischen Lösungsansätzen begegnet werden könne, sondern dass die Vermeidung ökologischen Wandels sowie die Anpassung an seine Folgen politische Aufgaben sind. Für deren demokratische Bearbeitung setzt Homer- Dixon große Hoffnung auf das Internet, "das zur schnellen dezentralisierten Problemlösung beitragen [kann], die die Welt so dringend benötigt" (59). Die Idee, auf dessen Grundlage ließen sich "radikal neue Formen demokratischer Entscheidungsfindung" (60) jenseits staatlicher Strukturen schaffen, ist nicht neu, verliert aber angesichts des Fortbestehens der globalen "digital gap" zusehends an Popularität. Homer- Dixons Interpretation des Klimawandels als globalem Menschheitsproblem steht in der Tradition liberaler Weltgesellschaftstheorien, die soziale Ungleichheitsstrukturen und Machtverhältnisse weitgehend ausblenden. Seine optimistische Prognose über die Möglichkeit, es "demokratisch" zu bearbeiten, geht an der Lebensrealität der meisten Menschen vorbei, die bereits heute alltäglich negativ von den Folgen betroffen sind.
Bettina Engels

Quelle: Peripherie, 31. Jahrgang, 2011, Heft 121-122, S. 380-382