Daniel Rauprich: Alltagsmobilität älterer Menschen im suburbanen Raum – Möglichkeiten und Grenzen einer ökologisch nachhaltigen Gestaltung durch eine geänderte Verkehrsmittelnutzung. Bonn (Bonner Geographische Abhandlungen 121) 2008.
Der demographische Wandel ist derzeit nicht nur in bevölkerungsgeographischen Kreisen ein viel diskutiertes Thema, sondern ist auch im Hinblick auf einen sich wandelnden Wohnungsmarkt und veränderte Mobilitätschancen der jetzigen und zukünftigen Älteren Gegenstand geographischer Forschung. Daniel RAUPRICH hat sich in seiner Dissertation an der Universität Bonn mit dem Aspekt Mobilität älterer Menschen im suburbanen Raum beschäftigt und damit eine Untersuchungsregion gewählt, in der eine Konzentration älterer Menschen z.T. bereits zu beobachten ist bzw. in Zukunft erwartet wird.
In den ersten Kapiteln stellt RAUPRICH nach einer kurzen Einleitung (Kap. 1) in Kap. 2 sein Verständnis von Mobilität und Verkehr sowie die Entwicklung von Mobilität und Verkehr vor. Die Zusammenhänge zwischen dem Verkehrssystem und der Siedlungsstruktur, der Bevölkerungsstruktur und der Umwelt stehen im Zentrum von Kap. 3. Die aktuellen Diskussionsstränge hinsichtlich Mobilität und Verkehr in den Bereichen Politik, Planung und Forschung werden in Kap. 4 thematisiert. Hier werden u.a. verschiedene Verkehrsmittelwahlmodelle vorgestellt, die auf wenigen Seiten sehr gut differenziert und übersichtlich ausgearbeitet wurden. Die umfangreiche Literaturliste (25 Seiten) weist auf gründliche Recherchen hin; umso bedauerlicher ist, dass jüngere Literatur (ab Mitte 2005/2006) nur noch ansatzweise Berücksichtigung gefunden hat.
Aufbauend auf der – durchaus nachvollziehbaren – Annahme, dass diese „wahlfreien älteren Menschen“ (S. 59) auch weiterhin (auto) mobil sein werden, stellt sich der Autor in Kap. 5 folgende Fragen: Gibt es in dieser Gruppe Mobilitätstypen, die sich auf mobilitätsbezogene Einstellungen gründen? Wie gestaltet sich die Alltagsmobilität der Älteren und welche Faktoren wirken auf sie ein? Welche Wahlmöglichkeiten haben die Personen und mit welchen Maßnahmen ließe sich die Attraktivität ökologisch nachhaltiger Verkehrsmittel steigern?
RAUPRICHs empirische Arbeiten stützen sich auf Daten der sog. FRAME-Studie (Freizeitmobilität älterer Menschen) in der Region Bonn – Rhein-Sieg-Kreis – Eifel aus den Jahren 2000–2003), bei der 4.500 aktive Ältere befragt wurden (Kap. 6). Diese Daten wurden um Wegetagebücher von rd. 200 Personen der gleichen Gruppe in ausgewählten Orten ergänzt, die sich am Design der sog. MiD („Mobilität in Deutschland“, bundesweite Verkehrserhebung, früher „KON-TIV“) orientieren. Diese Konzeption birgt gleichermaßen Chancen und Risiken. Die Chancen liegen zweifelsohne darin, dass durch den vorhandenen großen Datensatz bestimmte statistische Verfahren erst möglich und sinnvoll werden, andererseits jedoch inhaltliche und methodische Einschränkungen erfolgen, die m.E. besonders im Hinblick auf die sehr kontrovers diskutierten Wegetagebücher der o.g. Studien kritisch zu bewerten sind.
In Kap. 7 entwickelt RAUPRICH mit Hilfe einer Faktoren- und Clusteranalyse vier Mo-bilitätstypen: die ÖV-affinen Multimodalen, die ÖV-offenen Pkw-distanzierten und die ÖV-distanzierten Pkw-Fans sowie die Gruppe der PKW-Nutzungseingeschränkten. Nach einer Analyse der Gestaltung der All-tagsmobilität (Kap. 8.1), in der sich zeigt, dass der MIV (Motorisierte Individualverkehr) mit Abstand das wichtigste Verkehrsmittel der älteren Menschen darstellt, werden in Kap. 8.2 die Einflussfaktoren auf die Alltagsmobilität analysiert, wobei immer noch Geschlecht und Alter eine Rolle spielen und auch die Einstellungen zu den einzelnen Verkehrsmitteln einen gewissen Einfluss besitzen. Dennoch ähneln die Erklärungsmuster für Unterschiede (z.B. bzgl. des Wohnumfelds) in der Alltagsmobilität denjenigen, die für jüngere Menschen auch gelten, so dass das bisherige Bild der älteren „captive rider“ zugunsten zunehmender „choice rider“ revidiert werden muss.
Im zentralen Auswertungskapitel 9 wird das Potenzial für eine nachhaltigere Gestaltung der Alltagsmobilität mit sehr aufwändigen quantitativen Verfahren analysiert, wobei sich zeigt, dass weniger die Komplexität der Wegemuster der Verlagerung im Wege steht, sondern eine unvollständige „Kostenwahrheit“ der Verkehrsmittel, zu lange Wegezeiten im Öffentlichen Personenverkehr und noch mehr subjektive Bedürfnisse nach Unabhängigkeit und Sicherheit. Daraus leiten sich die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verkürzung der Reisezeiten, Kampagnen zur Förderung des Fahrradverkehrs sowie als siedlungsstrukturelle Maßnahme die weitere dezentrale Konzentration ab. All diese Aspekte werden im Schlusskapitel 10 zusammengefasst und bewertet.
Gut gelungen ist die Verbindung der ei-genen Ergebnisse mit den bis 2005 vorliegenden empirischen Arbeiten zu dem jeweiligen Thema, die in sehr gut angelegten Synopsen den eigenen Analysen vorausgeschickt wird. Auf das Kartenmaterial hätte man z.T. verzichten können (es wird aufgrund der zahlreichen Wege manchmal unlesbar), und die Anbindung an das etablierte Erhebungsdesign bzw. an vorhandene Daten ist mit Einschränkungen verbunden. Da am Ende der Arbeit die Frage aufgeworfen wird, wie sehr die subjektive Haltung der Menschen das Verlagerungspotential prägt, fragt sich der Leser/ die Leserin, warum dieser Aspekt nicht in die eigene Befragung aufgenommen wurde – aber das hätte wohl auch den Rahmen der Arbeit gesprengt. Insgesamt ist die Dissertation von RAUPRICH eine interessante und technisch gut gelungene verkehrsgeographische Arbeit, die Anregungen für weitere Forschung auf diesem Gebiet liefert.
Caroline KRAMER, Karlsruhe
Berichte zur deutschen Landeskunde, Bd. 84, H.1, 2010, S. 98-99
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