Gerd R. Zimmermann: Die Besiedlung Madagaskars durch „Indonesier“. Nackenheim/Rhein 2010. 119 S.
In seiner inzwischen schon klassischen Definition hat Anthony Giddens Globalisierung als Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen bezeichnet, durch die entfernte Orte so miteinander verbunden werden, dass Ereignisse an einem Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen – und umgekehrt. Der aktuellen Globalisierung, die durch Prozesse räumlicher Verdichtung und zeitlicher Beschleunigung gekennzeichnet ist, kommt sicher gegenüber historisch weiter zurückliegenden Vorgängen eine neue Qualität zu. Aber Migrationen und Verflechtungen über große Distanzen hinweg finden sich auch bereits lange vor Beginnder europäischen Kolonialisierung der Welt.
Ein solches Beispiel ist zweifellos die Besiedlung Madagaskars durch Auswanderer aus der Inselwelt des heutigen Indonesien. Sie haben dabei seit Begin der Zeitrechnung, wahrscheinlich in mehreren Schüben, nicht nur Distanzen von über 6.000 km überwunden, sondern vermutlich auch bis zum 10. Jahrhundert, vielleicht sogar bis zum 14. Jahrhundert, Beziehungen zu ihren südostasiatischen Herkunftsräumen unterhalten. Auch wenn vieles mangels schriftlicher Quellen hypothetisch bleibt, etwa ob der Indische Ozean direkt überquert, oder ob küstennahe Routen gewählt wurden, es besteht kein Zweifel daran, dass die „Indonesier“ die Kultur Madagaskars nachhaltig geprägt haben. Der Autor demonstriert in seiner verdienstvollen Studie eindrucksvoll, wie ein explizit geographischer Zugang die bisher dominierende linguistische und ethnologische Forschung zum Thema erkenntnisfördernd, gerade auch im Sinn der Generierung fruchtbarer Forschungshypothesen, bereichern kann. Dies betrifft unter anderem Fragen nach den Herkunftsräumen der Migranten im heutigen Indonesien, in Madagaskar nach den Beziehungen zwischen verschiedenen Einwanderergruppen und zwischen Küste und Hochland sowie nach der Ausbreitung von Kulturelementen wie etwa dem Nassreisanbau. Die Studie zeigt exemplarisch, dass es bereits lange vor der europäischen „Entdeckung“ der Welt Verflechtungen über große Distanzen und über lange Zeiträume gegeben hat, die zu bis heute nachwirkenden, sozial und auch politisch bedeutsamen kulturellen Hybridisierungen geführt haben. Es ist zu wünschen, dass die beigefügten Übersetzungen der Zusammenfassung ins Englische, Französische, Indonesische und Madagassische der internationalen Rezeption der ausgesprochen lesenswerten Studie förderlich sind.
Helmut Schneider, Duisburg-Essen