Hubert Job, Manuel Woltering, Bernhard Harrer: Regionalökonomische Effekte des Tourismus in deutschen Nationalparken. Bonn-Bad Godesberg (Naturschutz und Biologische Vielfalt, Band 76) 2009. 186 S.
Die Diskussion um die erwarteten und tatsächlichen Beiträge von Großschutzgebieten, namentlich Nationalparken, zur Regionalentwicklung ist keineswegs neu. Im Gegenteil wird darüber seit längerem kontrovers debattiert, um so mehr als mit dem gegenwärtigen paradigmatischen Wandel des Gebietsschutzes das Verhältnis von Naturschutz und Regionalentwicklung immer stärker in den Fokus rückt. Im Zentrum steht dabei die Vorstellung, großräumige Schutzgebiete könnten im Sinne eines integrative Ansatzes insbesondere in Mitteleuropa wertvolle Beiträge zur Regionalentwicklung beisteuern.
Dem Tourismus galt und gilt dabei besondere Aufmerksamkeit, vor allem weil Nationalparke bereits per Gesetz auch als Vorranggebiete für die Erholung fungieren. Die diesbezüglichen Erwartungen sind gemeinhin hoch, ohne dass allerdings lange Zeit hinlänglich gesichert schien, welche ökonomischen Wirkungen vom Tourismus, insbesondere in monetärer Hinsicht tatsächlich auszugehen vermögen.
Schon 2009 hat eine Arbeitsgruppe um Hubert Job von der Universität Würzburg eine Studie zu den regionalökonomischen Effekten des Tourismus in deutschen Nationalparken vorgelegt, die inzwischen vielfach zitiert wird. Aus guten Gründen soll an dieser Stelle ein weiteres Mal eine Empfehlung zur Lektüre des Bandes ausgesprochen werden, dessen Rezeption eine Versachlichung verspricht, vor allem aber eine große Zahl belastbarer Daten zur weiteren Diskussion um den Nationalparktourismus in Deutschland bereitstellt.
Auf der Basis einer touristischen Wertschöpfungsanalyse, der aufgrund ihrer offenkundigen Vorteile der Vorrang gegenüber anderen,konkurrierenden Konzepten der Wirkungsforschung im Tourismus gegeben wurde, präsentieren Job und seine Kollegen eine Fallstudienuntersuchung sechs ausgewählter „typischer“ Nationalparke in Deutschland. Im Zuge diverser empirischer Erhebungen in den jeweiligen Schutzgebieten, die methodisch konsistent, aber gleichermaßen aufwendig und mühevoll erscheinen, konnten Daten gewonnen werden, deren Interpretation nunmehr für die ausgewählten Parke, namentlich Bayerischer Wald, Eifel, Hainich, Kellerwald-Edersee und Niedersächsisches Wattenmeer, sowie als Schätzung auch für alle deutschen Nationalparke Aussagen zum Umfang der regionalökonomischenWertschöpfung des Tourismus erlauben.Die Konzeption der vom Bundesamt fü r den Naturschutz in Auftrag gegebenen Studie ist dabei nicht ganz neu, da Job und andere bereits 2005 und zuvor 2003 ähnliche Pilotstudien durchgeführt hatten. Ursprünglich geht das Untersuchungskonzept auf die Schweizerin Irene Küpfer zurück, die schon 2000 eine entsprechende Studie zum Schweizerischen Nationalpark vorlegen konnte. Die Novität der Gesamtschau aller Nationalparke als „Flaggschiffe“ des Gebietsschutzes in Deutschland ist deswegen gleichwohl kaum zu übersehen!
Die Ergebnisse geben den vielfachen Vermutungen Recht, dass der Nationalparktourismus sehr wohl beträchtliche Beiträge zur ökonomischenWertschöpfung auf regionaler Ebene beizusteuern vermag, die gleichermaßen Einkommens- und Beschäftigungseffekte umfassen. Diese variieren, wenig überraschend, von Nationalpark zu Nationalpark, wobei für den vergleichsweise jungen Nationalpark Eifel die größten Wirkungen konstatiert werden. Entscheidend ist hierbei die Definition der Nationalparkbesucher im engeren Sinne, also der Gäste, die das Schutzgebiet ausdrücklich wegen des Prädikats Nationalpark besuchen. In einem Schutzgebiet wie dem Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, das lange vor seiner Erklärung zum Nationalpark eine klassische Urlaubsdestination war, müssen diese Wirkungen notwendigerweise geringer ausfallen.
Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, Beate Jessel, hat in ihrem Vorwort die Bedeutung der vorliegenden Studie für die weitere Debatte um die Bedeutung von Nationalparken in ihrer Funktion als Tourismusdestinationen für die regionale Wirtschaft vorrangig peripherer ländlicher Räume herausgestellt. Dass zudem mit der Studie auch detailliertere Kenntnisse zur Besucherstruktur und Motivation von Gästen gewonnen werden konnten, ist ein beachtlicher „Nebeneffekt“ der Untersuchung, der vor allem für die weiteren Bemühungen im Rahmen eines professionellen Destinationsmanagements für die Nationalparke, aber auch andere Großschutzgebiete von erheblichem Wert sein dürfte. Die Gründung der Dachmarke „Nationale Naturlandschaften“ kann beispielhaft für die Richtung stehen, in welche sich das Marketing der Großschutzgebiete bei der Herausstellung ihrer unverwechselbaren Alleinstellungsmerkmale in Zukunft weiter entwickeln sollten.
Indes sei abschließend vor möglicher Euphorie angesichts der vorgelegten Ergebnisse gewarnt. Mögen diese gerade für periphere ländliche Räume auch vielversprechend erscheinen, so sollte doch keineswegs von einem Automatismus regionalökonomischer Wirkungen des Tourismus ausgegangen werden.Wie unter anderen Luisa Vogt (2008) eindrucksvoll nachweisen konnte, sind dem Tourismus als vermeintlichem Motor der Regionalentwicklung in der ländlichen Peripherie häufig enge Grenzen gesetzt. Von entscheidender Bedeutung sind vor allem das zur Verfügung stehende Humankapital, Kooperationsbereitschaft, aber auch infrastrukturelle Voraussetzungen sowie ein professionelles Destinationsmanagement, um auch in der Peripherie entsprechende Entwicklungseffekte erzielen zu können. Nationalparke bieten in dieser Hinsicht sicherlich Vorteile gegenüber anderen Konstellationen, inwieweit die Ergebnisse der vorliegenden Studie allerdings verallgemeinerbar sind, insbesondere im europäischen Kontext, bedarf zweifellos noch der weiteren Forschung. In diesem Sinne wäre ein Blick auf vergleichbare Studien in anderen Ländern und deren Ergebnisse wünschenswert gewesen; hierauf gehen Job und Kollegen allerdings nicht weiter ein.
Ohnehin sollten im Blick auf die ökonomischen Effekte des Tourismus, die zweifellos im Fokus der hier rezensierten Untersuchung standen, die weiteren Anliegen des Naturschutzes nicht aus dem Blick geraten. Dies ist auch und gerade aus der Perspektive eines integrativen Gebietsschutzes essentiell. Erholung und Freizeit in der Natur, Förderung der Gesundheit, persönliche Erbauung und Weckung von Kreativität, sowie die Beiträge zur Umweltbildung sind wesentliche gesellschaftliche Leistungen von Nationalparken, deren Stellenwert es für die Zukunft zu wahren und zu stärken gilt. Hiermit ist letztlich eine ideelle Grundsatzfrage angesprochen. So bedarf es angesichts der konkurrierenden Interessen, denen sich Schutzgebiete nach wie vor ausgesetzt sehen, so hat Reinhard Piechockie kürzlich in seinem ebenso lesenswerten Buch zur Ideengeschichte des Naturschutzes „Landschaft – Heimat – Wildnis“ unterstrichen, einer Doppelstrategie des Naturschutzes: Dieser muss wertvolle Naturlandschaften weiterhin bewahren und zugleich demMenschen als Erfahrungsräume mit touristischer Qualität öffnen. Nur so wird auch die Akzeptanz für mehr und bessere Schutzgebiete, namentlich Nationalparke weiter wachsen können. Genau hierin könnte der eigentliche Gewinn liegen, der mit den regionalökonomischen Effekten von Nationalparken, nicht nur in Deutschland, zu erzielen ist.
Ingo Mose, Oldenburg