Prosper B. Matondi, Kjell Havnevik und Atakilte Beyene (Hg.): Biofuels, Land Grabbing and Food Security in Africa. London 2011. 230 S.
Im Zuge vielfacher, miteinander verschränkter Krisen wie der Energiekrise, der Klimakrise und der Nahrungsmittelpreiskrise sind "Landgrabbing" und Agrartreibstoffe in den letzten Jahren zu aktuellen Themen der wissenschaftlichen und politischen Diskussion geworden. Der aktuelle Band der Reihe "Africa Now", die von dem schwedischen Nordic Africa Institute (NAI) herausgegeben wird, greift diese Debatte auf. Die Herausgeber wollen das "win-win-Paradigma" infrage stellen, demzufolge durch internationale Direktinvestitionen in Land, insbesondere zur Förderung der Agrarkraftstoffproduktion, gleichzeitig der Klimawandel gebremst, die Energiekrise in den Industrie- und Schwellenländern bekämpft sowie Wachstum und Entwicklung für die ärmsten Staaten der Welt gefördert werden könnten.
Mit ihrem kritischen Blick auf "Landgrabbing" verstehen die Forscher sich keineswegs als "entwicklungsfeindlich". Vielmehr stellen sie die zentrale Frage, "ob Landgrabbing und die damit verbundenen Agrarinvestitionen zur Entwicklung Afrikas auf eine Weise beitragen können, von der die Bevölkerungen profitieren, oder ob sie zu weiterer Verarmung führen werden" (S. 2).
Der Band umfasst neben dem Einleitungs- und Schlusskapitel der Herausgeber acht Beiträge, an denen neben Matondi, Havnevik und Beyene fünf weitere AutorInnen (zwei Männer und drei Frauen) aus Ghana, Norwegen, Schweden und Simbabwe beteiligt sind. Vier Kapitel befassen sich mit generellen Aspekten der Problematik, vier untersuchen empirische Beispiele. In der Einleitung betonen die Herausgeber die transnationale Dimension der Biokraftstoffpolitik. Die Konstruktion des Nordens als Protagonist wissenschaftlich-technischer Entwicklung, welcher dem Süden das Know-how des 'grünen Fortschritts' bringe, zeichne sich durch koloniale Kontinuitäten aus. Schlimmer noch als zu Zeiten des Kolonialismus sei heute "die willentliche Beteiligung auf afrikanischer Seite, Konzessionen mit ausländischen Interessen unter dem Schleier der Geheimhaltung zu verhandeln" (S. 4). Vier Faktoren trügen zum gegenwärtigen Interesse an der Produktion von Agrarkraftstoffen im globalen Süden bei: das unvorhergesehene Wachstum in Schwellenländern wie Indien, China und Brasilien, das mit steigendem Energiebedarf einhergeht; die Nahrungskrise, verbunden mit der Annahme, durch den Anbau von P?anzen zur Kraftstoffproduktion könnten Kleinbauern Mittel erwirtschaften, um Nahrungsmittel zu kaufen; der "Peak Oil" und die daraus folgende Suche nach alternativen Energiequellen; die Klimakrise und die Besorgnis um die negativen Folgen ökologischen Wandels.
Im ersten Kapitel fasst zunächst Kjell Havnevik vom NAI in Uppsala die Debatte um Biokraftstoffe und "Landgrabbing" zusammen. Marie Widengard, Doktorandin an der Universität Göteborg, stellt anschließend die Diskurse um "Biofuels" und damitverbundene Governance-Fragen dar. Danach identi?ziert Rune Skarstein von der Norwegian University of Technology and Natural Science in Trondheim den Klimawandel und den "Peak Oil" als die maßgeblichen Triebkräfte der Agrarkraftstoffproduktion. Prosper Matondi und Patience Mutopo, MitarbeiterInnen der Non-Profit-Organisation Ruzivo Trust in Harare, Simbabwe, skizzieren schließlich die Politik ausländischer Direktinvestitionen im Agrarsektor in Afrika sowie die damit verbundenen Hoffnungen auf Arbeitsplätze und technologischen Wandel. Kritisch beurteilen sie die schwachen indigenen Landrechte in vielen afrikanischen Staaten sowie die von den politischen Eliten geführten Verhandlungen über Landverkäufe und -verpachtungen. Trotz zahlreicher Überschneidungen mit dem Einleitungskapitel bieten diese Beiträge einen lesenswerten Überblick über die zentralen Themen und Fragestellungen der Debatte über Landnutzungswandel zugunsten der Agrarkraftstoffproduktion.
Als eine zentrale Lücke in der Forschung über "Landgrabbing" machen die Herausgeber die weitgehende Ungewissheit über das Geschehen auf der lokalen Ebene aus. Deshalb widmen sich die vier empirischen Beiträge, soweit möglich, lokalen Prozessen. Die Studien untersuchen Länderbeispiele aus unterschiedlichen Regionen Afrikas. Atakilte Beyene vom Stockholm Environment Institute stellt die Vertragsproduktion von Agrarkraftstoffen durch Kleinbauern und -bäuerinnen in Äthiopien dar. In dem Land am Horn von Afrika, das wie kaum ein zweites sinnbildlich für Hungerkatastrophen steht, beobachtet er eine zunehmende Neigung der Regierung zur kommerziellen, exportorientierten Landwirtschaft. Um die Potenziale der Agrarkraftstoffproduktion für die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe nutzbar zu machen, seien klare De?nitionen und Kategorisierungen von Landressourcen notwendig. Auch müssten die Rechte besonders vulnerabler Bevölkerungsgruppen, wie Frauen, mobile TierhalterInnen oder WaldnutzerInnen, berücksichtigt werden.
Hanne Haaland von der Universität Agder in Kristiansand, Norwegen, und Kjell Havnevik untersuchen die Biokraftstoffproduktion einer schwedischen Firma in Tansania. Der Beitrag ist Teil eines Forschungsprojekts, dessen Ziel die Entwicklung von Vorschlägen ist, wie die Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen bei Biokraftstoffvorhaben verbessert werden können. Die Autorin und der Autor fordern mehr Transparenz in diesen Verfahren. Prosper Matondi schildert, wie in Simbabwe die wirtschaftlichen Interessen nationaler Eliten Hand in Hand mit denen ausländischer Käufer und Pächter von Land gehen. Schließlich analysiert Festus Boamah (Universität Bergen, Norwegen, und University of Ghana) die Auswirkungen eines Biodiesel-Projekts auf die Ernährungssicherheit in einer ländlichen Region im Norden Ghanas. In der Analyse widerstreitender Diskurse - dem "win-win"-Diskurs sowie dem Narrativ "Landgrabbing befördert Ernährungsunsicherheit" - kommt er zu dem Schluss, dass "die Beziehung zwischen Biokraftstoffen und Ernährungssicherheit sehr komplex" sei. Er fordert deshalb, "die Narrative über Agrarkraftstoffe so zu überdenken, dass sie zu einem differenzierteren Wissen über 'Biofuels' und Ernährungssicherheit beitragen können" (S. 8).
Das Buch bietet einen hervorragenden Überblick über die aktuellen Debatten um die Produktion von Agrarkraftstoffen. Es stellt die wichtigsten Argumente der BefürworterInnen und KritikerInnen anschaulich dar und illustriert sie an aktuellen Fallbeispielen. Zentrales Anliegen ist dabei die Suche nach politischen Handlungsempfehlungen im Umgang mit einem möglichen Zielkon?ikt von Agrarkraftstoffen und Ernährungssicherung; die theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema spielt demgegenüber eine untergeordnete Rolle. "Landgrabbing" kommt hier nur in den Blick, soweit es um großflächige Veränderung der Landnutzung zugunsten der Produktion von Agrarkraftstoffen geht. Andere Formen kommerzieller Nutzungsänderungen, etwa für den Anbau von Schnittblumen oder von Nahrungsmitteln für den Export, werden nicht behandelt.
Beziehen die Herausgeber in der Einleitung eine deutliche Position, indem sie gegenwärtige Transformationen der Landnutzung in Kontinuität zur kolonialen Landnahme stellen, spielt dies in den weiteren Beiträgen keine zentrale Rolle mehr. An vielen Stellen überwiegt letztlich die Hoffnung auf eine "Lösung" vieler mit der Agrarkraftstoffproduktion verbundener Probleme durch "gutes Management" und "Capacity Building". Zu Recht stellen die Herausgeber fest, die Gewinner der gegenwärtigen Prozesse seien die investierenden Staaten und Unternehmen aus dem Norden sowie aus einigen Schwellenländern im Mittleren Osten und Asien, die ihren Energie- und Nahrungsmittelbedarf zu Lasten der afrikanischen Länder decken könnten. Gerade angesichts ihrer Forderung, den Blick auf die lokale Ebene zu richten, bleibt diese Antwort auf die Frage nach den Pro? teurInnen und Leidtragenden der Agrarkraftstoffproduktion in Afrika hinter dem Potenzial des Bandes zurück. Denn gerade lokal zeigt sich, dass die Auswirkungen von Landnutzungswandel auf allen Ebenen sozial differenziert sind: Wer inwiefern von der Biokraftstoffproduktion pro?tiert und wer dabei verliert, lässt sich nicht einfach nach Weltregionen oder Nationalstaaten bestimmen. Sowohl "Landgrabbing" als auch Agrarkraftstoffe sind Themenfelder, in denen gesellschaftliche und politische Kämpfe ausgetragen werden. Die Forschung dazu steht noch am Anfang - und so kann auch der vorliegende Band nur einen ersten Anstoß geben und aufzeigen, wie viel für WissenschaftlerInnen und AktivistInnen noch zu tun ist.
Bettina Engels