Matthias Kiese: Regionale Clusterpolitik in Deutschland. Bestandsaufnahme und interregionaler Vergleich im Spannungsfeld von Theorie und Praxis. Marburg 2012. 451 S.

Mit seiner Habilitationsschrift schließt Matthias Kiese eine große Lücke der Clusterforschung: eine systematische Zwischenbilanz der bisherigen Clusterpolitik in Deutschland auf den subnationalen Ebenen. Im Zentrum der Arbeit steht ein Vergleich der Initiativen von Bundesländern sowie von Kommunen und Kreisen. Dabei verfolgt Kiese eine anspruchsvolle Fragestellung, indem er sich zum einen fur die Steuerungsformen, Schwerpunkte und Strategien der Clusterpolitik und das Clusterverständnis der Initiativen interessiert. Zum anderen möchte er auch die Verbreitung der Clusterkonzepte sowie die Aushandlungsprozesse darstellen, die dann zu einer spezifischen Ausformung der Clusterpolitik innerhalb der einzelnen Regionen geführt haben.

Dem empirischen Teil ist zunächst ein so umfassender wie präziser Überblick über die Theorien, empirischen Methoden und politischen Optionen der Clusterforschung vorgeschaltet, der den state of the art des Forschungsgebietes in lesenswerter Weise zusammenfasst. Im dritten Kapitel werden dann Grundlagen fur die vergleichende Untersuchung von Clusterpolitiken gelegt. Um das politisch-administrative System als eigenständigen Impulsgeber einbeziehen zu können, lehnt sich Kiese an die Public- Choice-Theorie (PCT) an. Analog zur Darstellung von Akteuren mit spezifischen Eigeninteressen und Rationalitäten in der PCT unterscheidet der Autor die drei Handlungsräume der Konzeptbildner (Berater und Wissenschaftler), der Politiker und der "Bürokraten" (Akteure in Behörden und Einrichtungen mit halböffentlicher und privater Trägerschaft). Kiese geht nun davon aus, dass in den Handlungsräumen unterschiedliche Rationalitäten herrschen und jede Clusterpolitik die Trias von Konzeptionierung, Entscheidung und Umsetzung durchlaufen musse (91). Im Analyseteil soll das Modell dazu dienen, Zieldivergenzen, kontraproduktives Verhalten sowie Kontroll- und Kommunikationsprobleme aufzudecken. Daran gemessen erweist sich der Ansatz als fruchtbar. Man kann aber nicht von einem strikten Public-Choice-Ansatz sprechen, denn es stehen nicht wie in der PCT nur die Akteure (moglichst Individuen) mit einer bewußten Rationalität und einer klar bestimmbaren Entscheidungsregel bereit, um das kollektive Handlungsergebnis zu erklären. Vielmehr werden umfassend die sektoralen und regionalen Strukturen, die institutionellen Bedingungen und Pfadabhängigkeiten einbezogen (vgl. 119). In den materialen Analysen läßt Kiese regionale Technikkompetenzen, historisch gewachsene Wirtschaftseinrichtungen oder Managerkumpanei als entscheidende Erklarungsfaktoren auftreten und vermeidet es geschickt, sich in das Prokrustesbett des rationalen Wahlhandelns einzuzwängen. Am Schluss des dritten Kapitels wird ein Setting von sieben Dimensionen der Clusterpolitik (u.a. Komplexitat und Kohärenz, Institutionen, Zeitbezug) aufgestellt, an dem sich die empirische Analyse orientiert. Gegenstand dieser Analyse sind in Kap. 4 zunächst clusterpolitische Initiativen auf der Ebene der Europäischen Union und des Bundes. Danach werden die Clusterpolitiken von NRW, Bayern und Niedersachsen untersucht. Hier sind der historische Rückgriff (z.B. bis zu den Strukturpolitiken der 1980er Jahre) und der detaillierte Einbezug verschiedener Akteurstypen (z.B. die Würdigung der vielfältigen gewerkschaftlichen Impulse) bemerkenswert. Kap. 5 widmet sich den Clusterinitiativen in einzelnen Städten (z.B. Dortmund) und auf der Basis der Kooperation von Städten oder Landkreisen (Bergisches Stadtedreieck, Region Braunschweig). Insgesamt werden hier weitere sieben Fallbeispiele behandelt. Durch die diszipliniert vorgetragene und faktengesättigte Darstellungsform, die auch auf 145 Experteninterviews basiert, bietet jede der zehn Fallstudien für sich genommen einen informativen Einblick. Abgeschlossen werden beide Kapitel mit einer vergleichenden Betrachtung anhand der Clusterdimensionen. Diese Abschnitte stellen mit ihrer genauen Beobachtung und ihrer pointierten Stilistik zweifellos das Glanzstück der Arbeit dar. Gleiches gilt auch fur die zehn Essentials, mit denen Kiese seine Erkenntnisse in Kap. 6 zusammenfasst. Am Schluss des Buches steht der Ausblick auf eine praktische Verwendung der Erkenntnisse und die weiteren Aufgaben der Clusterforschung.  

Insgesamt ist es gelungen, die partiellen Blicke der Clusterforschung auf das politischadministrative System auf eine erheblich breitere und systematischere Basis zu stellen. Die sieben Clusterdimensionen erweisen sich dabei als ein hilfreiches Raster, wobei Kiese gewisse Überlappungen und den Bedarf an Weiterentwicklung in wohltuender Weise selbst reflektiert (331). Mit der Betrachtung der Diffusion von Clusterkonzepten und dem Wechselspiel von Politik, Beratung und Clusterpraxis verdeutlicht die Arbeit zudem die Schwächen und Chancen wissenschaftlicher Forschung. Kieses ausgesprochen ernüchternder Befund der geringen Rezeption wirtschaftsgeographischer Forschungsergebnisse in praktischen Handlungskontexten kann auch als kritischer Kommentar zu einigen Tendenzen der heutigen akademischen Clusterforschung gelesen werden.
Christoph Scheuplein, Münster

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 56 (2012) Heft 3, S. 204-205

 

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