Wulf Tessin: Ästhetik des Angenehmen. Städtische Freiräume zwischen professioneller Ästhetik und Laiengeschmack. Wiesbaden 2008. 174 S.   

Nur wenige Geographen haben sich bisher ernsthaft mit der Ästhetik von Landschaft oder auch der Ästhetik der gebauten Umwelt auseinandergesetzt. Deshalb lohnt ein Blick in die benachbarten Fachdisziplinen. Der Soziologe und Städtebauer Wulf Tessin, bis vor kurzem Professor für planungsbezogene Soziologie an der Fakultät Architektur und Landschaft an der Universität in Hannover, hat seine langjährigen Erfahrungen zur Rezeptionsästhetik in einem 170 Seiten starken Buch zusammengetragen. In einer sehr verständlichen Sprache und einem damit gut lesbaren Text sucht Tessin nach Erklärungen für die Diskrepanz zwischen der professionellen Ästhetik und dem Laiengeschmack. Dabei konzentriert er seine Überlegungen auf die Gestaltung und Aneignung städtischer Freiräume mit einem besonderen Augenmerk auf die innerstädtischen Parkanlagen.

 

An den Gedanken von Wulf Tessin ist sympathisch, dass er sich auf die Perspektiven der Nutzer von städtischen Freiräumen einlässt und diese Perspektiven mit den Gestaltungsvorstellungen der professionellen Gestalter von städtischen Freiräumen kontrastiert. Als Sozialwissenschaftler ist ihm zum Ersten bewusst, dass den Besuchern von Parkanlagen "das dortige ‚Geschehen' (vom Fallen der Blätter im Herbst über das Hüpfen eines Rotkehlchens bis hin zu Veranstaltungen, Zwischenfällen, Begegnungen) wichtiger sei als die ‚Gestalt' des betreffenden Freiraums" (S. 10). Er spricht deshalb von einer "geschehensorientierten Ästhetik" (S. 100), die bei einer alltäglichen Nutzung solcher Freiräume dominiert. Zum Zweiten stellt er mit Bezug auf seine früheren Arbeiten fest, dass Freiräume bei den Besuchern "in der Regel nicht wie ein Kunstwerk rezipiert [werden] [...], sondern wie ein (hübsches, angenehmes) Gebrauchsgut" (S. 10). Statt einer "Werkästhetik aus Sicht der Kunst" geht es Tessin in seinem Zugang deshalb eher um eine "Rezeptionsästhetik aus Sicht des Publikums" (S. 88f.), also um alltagsästhetische Wahrnehmungen.

In dem Buch versucht Tessin zu klären, an welchen allgemeingültigen Kriterien sich "gute" Landschaftsarchitektur messen lassen muss. Das Buch ist dazu in vier Teile gegliedert. In einem ersten Teil führt Tessin in die Rezeptionsästhetik bzw. in ihre wahrnehmungspsychologischen Grundlagen ein. In einem zweiten Teil entwickelt er die ‚Ästhetik des Angenehmen', bevor er dann in einem dritten Teil die typischen Unterschiede zwischen der professionellen Ästhetik und dem Laiengeschmack herausarbeitet. Zum Abschluss des Buches plädiert Tessin für eine veränderte Grundhaltung bei den professionellen Landschaftsarchitekten, die das ‚Angenehme' als ein legitimes Ziel der Profession anerkennen sollen. In seinen Argumentationen werden die Ergebnisse zahlreicher eigener empirischer Untersuchungen eingeflochten, die Tessin im Laufe seiner Hochschultätigkeit in verschiedenen Projekten meist im Raum Hannover durchgeführt hat.

Ein besonderes Anliegen ist es Tessin, ein Verständnis für den Laiengeschmack zu entwickeln. Dazu nutzt er den Begriff des ‚Angenehmen' und versucht, diesen Begriff über verschiedene Kriterien zu operationalisieren. Er bezieht sich dabei auf Arbeiten zur ‚psychological restoration theory' und orientiert sich an Kriterien des amerikanischen Psychologen Stephen Kaplan wie dem Rauskommen aus dem Alltag (‚being away'), der ästhetischen Harmonie und Stimmigkeit (‚coherence'), dem ästhetisch Anregenden (‚fascination') oder der Orientierung an den Aufenthaltsinteressen (‚compatibility').

Gleichzeitig differenziert Tessin die Nutzer städtischer Freiräume. So hat er das ästhetische Erleben der hochkulturell orientierten Besucher von Parkanlagen ebenso empirisch untersucht wie die Ästhetik der Orte, an denen sich Jugendliche aufhalten. In anderen Zugängen nähert sich Tessin seinen Fragestellungen vom Ort her. So reflektiert er sowohl über die ästhetischen Qualitäten von städtebaulichen Brachflächen als auch über die Wahrnehmung der Zwischenstadt unter einem ästhetischen Blickwinkel.

Bemerkenswert ist bei diesem Buch die Verbindung zwischen theoretischen Überlegungen, eigenen empirischen Arbeiten und Vorschlägen für die Profession der Landschaftsarchitekten, mit dem Spannungsverhältnis von professioneller Ästhetik und Laiengeschmack umzugehen. So weiß Tessin aus seinen vielen Begegnungen mit praktizierenden Landschaftsarchitekten sehr wohl um die eigenen Ansprüche und äußeren Zwänge dieser Profession, aber auch um ihre Vorbehalte gegenüber theoretischen Gedanken und empirischen Erkenntnissen, die aus der Wissenschaft stammen. Am Ende seines Buches plädiert er nicht für eine Entwurfslehre mit Merkmalen einer guten Gestalt, die top-down gerichtet wäre, sondern für eine neue Entwurfshaltung bei den Landschaftsarchitekten, in denen die Schaffung von angenehmen Orten Ziel und Maßstab ihres Handelns wird. So sind die Überlegungen dieses Buchs nicht nur wissenschaftlicher Selbstzweck, sondern mit einer klaren Botschaft an die Profession der praktizierenden Landschaftsarchitekten verbunden. Ein solches wohl begründetes Plädoyer für einen praktizierenden Berufsstand, das aus einer langen eigenen Erfahrung mit Praktikern resultiert, muss man in der Geographie lange suchen.


Claus-C. Wiegandt, Bonn

Geographische Zeitschrift, 100. Jg., 2012, Heft 2, S. 127-128