Karl Husa, Heinz Nissel und Helmut Wohlschlägl (Hg.): Südost- und Südasien. Demographische, soziale und regionale Transformationen. (Abhandlungen zur Geographie und Regionalforschung 13). Wien 2011. 600 S.
Während die früheren Asienschwerpunkte des Institutes für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien in erster Linie auf Bereiche des Nahen und Mittleren Ostens – insbesondere Iran und Türkei – konzentriert waren und für immer mit den Pionieren Hans Bobek, Hans Pozdena, Martin Seeger und Gustav Stratil-Sauer verbunden bleiben, verlagerten sich die asienbezogenen Betätigungsfelder ab Mitte bis Ende der 1980er Jahre auf Süd- und vor allem auf Südostasien. Der vorgelegte, ungemein umfang- und materialreich ausgestattete Band legt beredt Zeugnis davon ab, wie umfassend die neuen Schwerpunktbereiche in der Forschung ausgebaut und in die Lehre integriert wurden.
Er ist in diesem Sinn als eine Art Festschrift zu verstehen, in dem es allerdings weniger um die glücklicherweise etwas aus der Mode gekommene Glorifizierung von Einzelpersonen, als vielmehr um die Dokumentation eines regionalen Kompetenzbereiches des Wiener Institutes für Geographie und Regionalforschung geht. Thematisch liegen die Schwerpunkte vor allem in der Human- und Regionalgeographie. Sie befassen sich überwiegend mit bevölkerungs- und sozialgeographischen Akzenten ebenso wie mit Stadtgeographie und Tourismusgeographie. Dabei ist der Südostasien-Schwerpunkt inhaltlich, aber auch personell vom Südasien-Forschungsfeld zu unterscheiden. Während die auf Südostasien bezogenen Aktivitäten überwiegend von mehreren verantwortlichen Bearbeitern betreut wurden und werden, konzentrierten sich die auf Südasien bezogenen Tätigkeiten vor allem auf das Wirken von Heinz Nissel und seine Studien zur Politischen und zur Stadtgeographie Indiens.
Der Sammlung unterschiedlicher Beiträge zur Südost- und Südasienforschung der Wiener Geographen sind programmatische, zusammenfassende Kapitel vorangestellt, welche die beiden regionalen Forschungsbereiche in ihrer Genese der Forschungsausrichtung und der Einbindung in die Lehre darstellen. Sowohl der Beitrag von Karl Husa und Helmut Wohlschlägl über Südostasien, als auch der von Heinz Nissel über Südasien skizzieren daher nicht nur die wichtigsten Forschungsschwerpunkte und listen nicht nur die daraus hervorgegangenen Publikationen von Kollegen auf, sondern führen auch jeweils die beeindruckende Reihe der daraus hervorgegangenen Diplom-, Magister- und anderen Abschlussarbeiten an. Konsequenter Weise wurden daher in den Sammelband Südost- und Südasien auch Kurzfassungen von einigen dieser Arbeiten aufgenommen. Das dezidierte Interesse an verantwortungsvoller Nachwuchsförderung der Wiener Geographen findet darin seinen Niederschlag, ist es doch sonst eher schwierig für begabte Absolventen, ihre Ergebnisse aus Ländern mit sich entwickelnden Ökonomien einer breiteren als der unmittelbar mit den Prüfungsmodalitäten befassten Öffentlichkeit zu präsentieren. Eine vergleichbare Nachwuchsförderungspolitik betreibt z. B. auch die von Geographen und Ethnologen herausgegebene Reihe „Entwicklungsforschung. Beiträge zu interdisziplinären Studien in Ländern des Südens“ (WVB-Verlag Berlin). Dem breiten Spektrum der über Jahre gewachsenen Wiener Aktivitäten entsprechend vielfältig und unterschiedlich stellen sich die einzelnen Beiträge des Sammelbandes dar. Sie behandeln bevölkerungsgeographische Fragen und solche der internationalen Migration in Südost- und Ostasien (Husa und Wohlschlägl, Weninger), Tourismusgeographie (Gantner, Truipp, Veress), die Megastädte Manila (Heintel und Spreitzhofer), Jakarta (Spreitzhofer) oder Bangkok (Perchthaler), das Dauerthema „Shifting Cultivation“ in Nordthailand (Schlick) oder ausgesprochen interessante, wenn auch nicht topaktuelle Details zu den Konflikten im thailändisch-malaysischen Grenzland (Einzenberger). Während sich von den vergleichsweise wenigen Beiträgen zu Südasien einer mit Analysen zu den Überschwemmungen in Bangladesh beschäftigt (Assheuer und Shoeb) stammen die beiden anderen von Heinz Nissel selbst (Geopolitische Interessen Indiens und Megastädte in Indien), Themen, die der Autor auch in anderen Zusammenhängen schon behandelte. Wie sehr der Wiener Südasienschwerpunkt in den letzten Jahren vom „Einzelkämpfer“ Nissel (Zitat S. 34) geprägt war, fällt angesichts des von ihm zusammengestellten Schriftenverzeichnisses zu diesem Bereich auf, welches zu ca. 90% aus Arbeiten und Aufsätzen von ihm selbst besteht.
Der besondere Wert der aufgenommen Kurzfassungen von Diplom- und anderen Abschlussarbeiten besteht darin, dass darin z. T. wichtiges Primärdatenmaterial veröffentlich wird, das sonst nur ungleich schwerer zugänglich wäre. Es liegt dabei in der Natur der Sache, dass zwischen Feldforschungsphase und Publikation oft einige Zeit vergeht und unmittelbare Aktualität der Daten teilweise auf der Strecke bleiben kann. Insgesamt sind die vorgestellten Beiträge geprägt von kompetenter Sachkenntnis, ansprechender Darstellung und transparenter Ergebnisformulierung.
Andreas Dittmann