Chris Dolan: Social torture. The case of Northern Uganda, 1986-2006. New York, NY 2011. 338 S.

Uganda galt in den 1990er Jahren als Hoffnungsträger auf dem afrikanischen Kontinent. Präsident Yoweri Museveni wurde jahrelang von der internationalen Staatengemeinschaft und vielen politischen BeobachterInnen als Erneuerer gelobt, der das zuvor von Diktatoren beherrschte Land in eine bessere Zukunft führe. Die Perle Afrikas, wie Winston Churchill die fruchtbare frühere britische Kolonie am Viktoriasee romantisierend genannt hatte, sollte zu neuem Glanz erblühen. Vor allem eine innovative AIDS und Wirtschaftspolitik wurden Museveni zugutegehalten. Dabei übersahen die positiven Einschätzungen, dass bereits Ende der 1980er Jahre der Norden Ugandas zum Kriegsgebiet wurde. Von Kampfhandlungen der ugandischen Armee gegen die sogenannte Lord’s Resistance Army (LRA), einer von Joseph Kony geführten christlich-fundamentalistischen Guerillaorganisation, war vor allem die Acholi-Bevölkerung betroffen. 1996 begann die ugandische Regierung mit der Anlage sogenannter Schutzdörfer, in die in den Folgejahren ein Großteil der Acholi zwangsumgesiedelt wurde. Erst etwa 2006 – mit dem weitgehenden Rückzug der LRA in den Norden der Demokratischen Republik Kongo – sollte sich die Situation entschärfen, so dass die Menschen wieder zu ihren früheren Siedlungen und Feldern zurückkehren konnten.

 

In den „Schutzdörfern“ („protected villages“) sollte die Armee Überfälle der LRA verhindern; internationale Hilfsorganisationen wurden an der Grundversorgung der BewohnerInnen beteiligt. Allerdings sahen die Lebensrealität und der Alltag anders aus, wie das Buch von Chris Dolan eindrücklich aufzeigt. Der Autor war über acht Jahre für unterschiedliche Nichtregierungsorganisationen tätig und verfolgte die Entwicklungen in Norduganda vor Ort. Basierend auf zahlreichen Erhebungen und Interviews dokumentiert er, dass es in den lagerähnlichen und vom Militär abgeriegelten Siedlungen, in denen die Menschen auf engstem Raum leben mussten, an Nahrungsmitteln und Medikamenten mangelte; ganz abgesehen von regelmäßigem Schulunterricht für die Kinder oder Aufgaben und Einkommensmöglichkeiten für die Erwachsenen. Oft kommen im Buch Menschen aus Norduganda selbst zu Wort und berichten über ihre Kriegserfahrungen und das entbehrungsreiche und von Gewalt geprägte Leben in den „Schutzdörfern“.

Übersichtliche Chronologien bieten dem Leser die Möglichkeit, Ereignisgeschichte und individuelle Erfahrungen miteinander in Beziehung zu setzen. Latente Unsicherheit, die Bedrohung durch Epidemien, Zwangsrekrutierungen durch die LRA und Misshandlungen von Frauen und Männern durch Soldaten der ugandischen Armee, die doch als deren Beschützer eingesetzt waren, gehörten zum Alltag: ein Dauerzustand, weil sich über Jahre kein Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen abzeichnete unddie Armee nicht in der Lage war, Überfälle der LRA zu verhindern.

Dolan ordnet die Probleme in vielschichtige politische und historische Hintergrundinformationen und übergreifende Fragestellungen ein. Er weist darauf hin, dass die LRA nicht als Ansammlung fanatischer Verrückter abzuhandeln sei, sondern eigene Handlungslogiken verfolgte und von der sudanischen Regierung gefördert wurde, während die ugandische Regierung Guerillaorganisationen im Südsudan unterstützte, die gegen die Regierung in Khartum kämpften. Darüber hinaus stellt Dolan Rückbezüge zur britischen Kolonialherrschaft und deren Schaffung regio naler und ethnischer Disparitäten her. Dabei kommen die Rekrutierung junger Acholi-Männer in die Kolonialarmee, der Einfluss von Missionaren und die Veränderung der Selbstbilder der Acholi zur Sprache. Die Ethnisierung und Verschärfung der regionalen Disparitäten durch die verschiedenen Diktatoren, die nach der politischen Unabhängigkeit 1962 das Land regierten, wird ebenfalls thematisiert.

Diese Probleme wurden auch von der Museveni-Regierung nicht gelöst, sondern bestanden unter neuen Vorzeichen fort. Dolan prangert an, die Regierung habe es versäumt, den Acholi eigene Existenzmöglichkeiten zu gewähren. So seien diese spätestens in den sogenannten Schutzdörfern von unregelmäßigen Hilfslieferungen abhängig geworden. Dies sei einerseits auf Korruption zurückzuführen, zumal Gelder von den wenigen gezielt für die Verbesserung der Situation im Acholi-Gebiet begonnenen Hilfsprojekten versickerten. Andererseits – und das hält der Autor für den entscheidenden Punkt – habe die Museveni-Regierung keinen politischen Willen gezeigt, grundlegende Veränderungen in Gang zu setzen. Sie habe die Marginalisierung der Acholi und die unzureichende Bekämpfung der LRA in Kauf genommen, weil Acholi-Soldaten im Auftrag Milton Obotes in den 1980er Jahren an schweren Massakern im Luwero-Dreieck gegen Musevinis Natio nal Resistance Army beteiligt gewesen waren. Zudem wolle die Regierung nun die endgültige Unterordnung der Acholi im ugandischen Staat. Aus diesem Grund kategorisiert Dolan die militärischen Auseinandersetzungen zwischen ugandischer Armee und LRA sowie die Gewaltakte an ZivilistInnen nicht als Bürger oder Guerillakrieg, sondern als „Social Torture“, als Folter einer ganzen Gesellschaft: Die jahrelangen, willkürlichen Misshandlungen und Demütigungen der Acholi-Bevölkerung in den offiziell als „Schutzdörfer“ titulierten Lagern hätten folterähnliche Formen und Folgen gezeitigt. Dabei reflektiert Dolan zugleich über diese Begrifflichkeiten und die Grenzen seiner Einschätzung.

Kritisch setzt der Autor sich auch mit humanitären Organisationen auseinander. An einigen Beispielen dokumentiert er, wie sie trotz vorgeblicher Neutralität parteiisch waren und teilweise zur Verschärfung der Problemlage in den Lagern beitrugen. Besonders eklatant seien ihre Eingriffe in die lokale Gesellschaftsorganisation gewesen: Sie hätten zu einer Eskalation von Geschlechterkonflikten geführt, weil die isolierten und unzureichend durchdachten Empowerment-Projekte für Lagerbewohnerinnen die hochgradig militarisierte Männlichkeit nicht berücksichtigten. Dadurch hätten sich zahlreiche Männer zusätzlich gedemütigt gefühlt und mit Gewalt reagiert. Dolan versteht „Gender“ hier sehr innovativ und überzeugend als umfassenden Begriff für Machtverhältnisse, der auch Gewalt zwischen sowie Selbsttötung von Männern einschließt. Er kritisiert auch das Idealisieren einer vorkolonialen Acholi-Tradition und konstruierter Ethnizitätskonzepte durch Entwicklungsorganisationen, die ihre Augen vor den komplexen Umbrüchen der Acholi-Gesellschaft verschlossen und nicht an der Lösung aktueller politischer Konflikte mitwirkten.

So gelingt es Dolan, die multiplen Probleme in den Lagern bzw. Rezensionen „Schutzdörfern“ in regionale und nationale Konflikt und Gewaltdynamiken einzuordnen. Sein Blick auf unterschiedliche Akteursgruppen illustriert die Komplexität des Themas, das keineswegs nur für Uganda-Experten von Interesse ist, sondern neue Perspektiven für allgemeine Diskussionen über die Langlebigkeit von Gewaltkonflikten und über humanitäre Hilfe in Krisengebieten eröffnet.

Rita Schäfer

PERIPHERIE Nr. 125, 32. Jg. 2012, S. 130-132

 

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