Heide Kaspar: Erlebnis Stadtpark. Nutzung und Wahrnehmung urbaner Grünräume. Heidelberg 2012. 303 S.
Der Diskurs um öffentliche Räume hat nach wie vor Hochkonjunktur in der Stadtforschung. Ein zentrales Thema innerhalb des Diskurses bildet das Verhältnis zwischen der Gestaltung öffentlicher Räume einerseits und ihrer Nutzung durch städtische Bewohner/innen andererseits. Die Dissertation von Heidi Kaspar reiht sich in diese Tradition ein und befasst sich aus sozialgeographischer Perspektive mit der Wahrnehmung und dem Erleben urbaner Grünräume durch ihre Nutzer/innen.
Die Autorin widmet sich dabei dezidiert den urbanen Grünräumen als Teilelement öffentlicher Räume. Diese verfügen durch ihre naturnahe Gestaltung über eine hohe Aufenthaltsqualität und sind so als Orte gegenseitiger Präsenz und potentieller Begegnung prädestiniert.
Die Dissertation ist aus der Mitarbeit der Autorin an einem Forschungsprojekt mit dem Titel „Nachhaltige Parkanlagen“ hervorgegangen, in dessen Rahmen die Nutzungsformen in verschiedenen Parks der Stadt Zürich sowohl qualitativ wie auch quantitativ untersucht wurden. Innerhalb dieses Forschungsprojekts schlägt Kaspars Arbeit eine wertvolle Brücke zwischen quantitativen Fragestellungen zu Nutzungsmustern in Parks – wie sie in Planungsdebatten oft dominieren– und einer qualitativ arbeitenden, nach subjektiven Bedeutungen fragenden Sozialgeographie. Liest man die Arbeit jedoch ohne das Kontextwissen um das gesamte Forschungsprojekt, so entsteht gelegentlich der Eindruck, dass der Innovationsgehalt einer Untersuchung zu subjektiven Bedeutungen öffentlicher Räume in der Arbeit etwas überbetont wird.
Um empirisch Zugang zum „(Er)Leben im Stadtpark“ (S. 11) zu erhalten, nutzt die Autorin qualitative Interviews mit Parkbesucher/innen. Ziel dieses Vorgehens ist es, die von Parkbesucher/innen in der sprachlichen Vermittlung hergestellten Räume zu rekonstruieren. Als zentralen theoretischen Anker für dieses Vorhaben zieht die Autorin die Raumtheorie von Martina Löw (2001) heran. Räume sind demnach als „relationale (An)Ordnungen sozialer Güter und Menschen“ (S. 63) konzipiert. Die Löwsche Raumtheorie wird im Rahmen des Forschungsvorhabens um den Begriff des Erlebens erweitert, um so die Wahrnehmung von Räumen nicht allein als kognitiven Prozess, sondern auch als emotionalsinnlichen Vorgang fassen zu können (S. 80). Es bleibt jedoch offen, aus welchen Gründen sich die Autorin für diese relationale Raumkonzeption entschieden hat und welche Vorteile dieser Ansatz gegenüber anderen Theorien besitzt. In einer explizit sozialgeographischen Arbeit zur Frage nach der Konstitution von (Park)Räumen verwundert es etwas, dass die Diskussion eines relationalen Raumverständnisses so wenig Nutzen aus den einschlägigen und etablierten geographischen Diskursen zieht.
Davon unbenommen präsentiert sich die große Leistung der Arbeit in den folgenden Kapiteln. Das Kapitel zur Methodik überzeugt durch seine begründete und selbstreflexive Darstellung des gewählten Forschungsdesigns, während die empirischen Kapitel Ausdruck des sorgsamen wie behutsamen Umgangs der Autorin mit dem erhobenen Datenmaterial sind. Insbesondere die Ausführungen zur Herstellung von Geschlecht im öffentlichen Raum stechen in der Tiefe der Analyse hervor. Diese inhaltlichen Stärken werden durch einen sprachlich ansprechenden Stil betont. Insgesamt löst die fortwährende Reflexion der eigenen Rolle als Forscherin im Erhebungswie Analyseprozess beispielhaft die Forderung nach einer transparenten Wissensproduktion ein.
Für die Strukturierung der empirischen Ergebnisse wählt die Autorin in Anlehnung an Wulf Tessin (2004) eine Unterteilung in Gestalt (materielle Umwelt) und Geschehen (anwesende Personen und Aktivitäten). Diese Unterteilung integriert sie in die Löwsche Raumtheorie, indem sie die ‚sozialen Güter’ der Gestalt und die ‚Menschen’ dem Geschehen zuordnet. Die empirischen Ausführungen zum Geschehen – bestehend aus der gegenseitigen Beobachtung und den (vermiedenen) Interaktionen im öffentlichen Raum – reihen sich in ein wieder erwachtes Interesse der Geographie an der Mikroebene sozialer Interaktionen ein. Mögliche Anknüpfungspunkte wie z.B. zu den ‚geographies of encounter’ werden von der Autorin jedoch nicht explizit aufgegriffen. Die empirischen Ausführungen zur Gestalt widmen sich den verschiedenen Naturverständnissen der interviewten Personen sowie der „(Un)Lesbarkeit von Räumen“ (S. 212).
Auch wenn diese Unterteilung der Empirie in Gestalt und Geschehen verlockend ist, versperrt sich die Autorin damit leider einen gewinnbringenden Blick auf die eigenen Ergebnisse. Nach Ansicht der Rezensentin gilt es gerade, die gedankliche und analytische Trennung von Interaktionen anwesender Personen einerseits und der materieller Umwelt andererseits zu überwinden. Nur so wird es möglich, die Konstitution öffentlicher Räume als verorteten, materiellkörperlichen und situativen Prozess begreifbar zu machen.
Fazit: Innerhalb des Diskurses um öffentliche Räume leistet die Publikation einen wertvollen empirischen Beitrag zu der Frage, wie die Kopräsenz von Parkbesucher/innen in ihrem räumlichen Umfeld ausgehandelt wird und wie dabei öffentliche Räume konstituiert werden. Die Arbeit bietet damit zentrale theoretische Anknüpfungspunkte, deren Potential jedoch nicht vollständig ausgereizt wird. Besonders hervorzuheben sind die fundierten wie detaillierten Reflexionen zur Situiertheit der eigenen Wissensproduktion, die in dieser Form nicht oft anzutreffen sind.
Ulrike Mackrodt (Berlin)