Wilfried Endlicher: Einführung in die Stadtökologie. Grundzüge des urbanen Mensch-Umwelt-Systems. Stuttgart 2012. 272 S.
Stadtökologie ist ein Thema, das auf den Nägeln brennen sollte – allein schon wegen des globalen Wachstums der Städte und Agglomerationen. In der fachwissenschaftlichen Literatur hat sich diese Erkenntnis nur in bescheidenem Umfang durchgesetzt. Im deutschen Sprachraum liegt nun nach einer „Stadtökologie in Stichworten“ (2008) ein weiterer Band vor, mit dem ein Autor sich an ein hochkomplexes Thema heranwagt. Um es vorweg zu sagen: Sammelbände mit einer heterogenen Autorenschaft können Werke aus einer Feder nicht ersetzen, weil letztere in sich homogener sind und eine integrative, auch fächerübergreifende Sicht inhaltlich überzeugender verfolgen. Dies drückt sich bereits im Untertitel des zu besprechenden Bandes aus, aber auch im Vorwort und in den einleitenden Kapiteln. Dass das Material zum Teil auf Forschungen aus dem Graduiertenkolleg „Stadtökologische Perspektiven einer europäischen Metropole“ fußt und – wie der Autor im Vorwort bemerkt – deswegen viele Beispiele aus Berlin enthält, betrachtet der Rezensent nicht als Schaden. Zu Recht weist Endlicher darauf hin, dass die Beispiele „von allgemeiner Gültigkeit“ sind.
Der Band gliedert sich in vier Hauptkapitel: 1. „Einführung und Grundlagen“ (S. 961); 2. „Die natürlichen Teilsysteme der Stadt. Geosphäre und Biosphäre“ (S.62174); 3. „Anthroposphäre: Das sozioökonomische Teilsystem der Stadt und seine Beziehungen zu den natürlichen Teilsystemen“ (S. 175223); 4. „Aktuelle Aufgaben und künftige Herausforderungen für die Stadtökologie“ (S. 224263). Im Kapitel 5 „Serviceteil“ (S. 264266) werden neben den zitierten Internetquellen (S. 264265) auch weitere, stadtökologisch relevante Internetadressen (S. 265266) angeboten. Es schließt sich ein Sachregister (S. 267272) an.
Der integrative Ansatz wird schon im Kapitel 1 sehr deutlich. Er geht von der Stadt selber aus, sieht sie jedoch nicht nur als stadtgeographisches (S. 13) oder als städtebauliches (S. 24 ff.) Phänomen, sondern stellt sie als Bestandteil der Anthroposphäre (S. 21) dar, so dass der Gegenstand Stadt im Verständnis des Autors zur Erdsystemforschung gehört und als urbanes MenschUmweltSystem definiert werden kann. Es drückt sich prozessual, funktional und strukturell in den Stadtstrukturtypen aus (S. 41 ff.). Kapitel 2 stellt die so genannten „natürlichen“ Faktoren dar, jedoch vor dem Hintergrund ihres anthropogen veränderten Zustandes. Dieses eher naturwissenschaftlich geprägte Kapitel bezieht sich jedoch auch auf die Belastungen der Faktoren bzw. der Teilsysteme sowie auf die Schutzproblematik (z. B. Bodenschutz oder Naturschutz). Im Kapitel 3 werden aktuelle Schlagworte der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion aufgegriffen wie Nachhaltigkeit oder Resilienz (S. 175 ff.), ebenso Stadtplanung, Partizipation und Governance (S. 184 ff.). Einen kleinen thematischen Bruch dazu meint der Rezensent zum Kap. 3.3 ausmachen zu müssen (S. 191), wo man wieder bei Stadtgrünstrukturen (im weiteren Sinne) und den historischen Gartengestaltungstypen angelangt ist (Barockgarten bis Bürgergarten und städtische Urwälder). Das Kapitel 4 ist insofern gewichtig, als es Perspektiven aufzeigt: Brachen und Verfügungsflächen in der Stadt, Klimawandel, Systemstörungen und Anpassungen an all dies. Das wird vor allem (jedoch nicht nur) auf der globalen Ebene abgehandelt, so dass sich ein nicht allzu negativer Ausblick auf die Zukunft des zunehmend ausufernden Lebensraumes Stadt ergibt. Das Teilkapitel 4.5 greift noch einmal Grundaspekte geographischstadtökologischen Denkens auf – gerade deswegen hätte man sich es etwas ausführlicher und konkreter gewünscht. Die Literatur schließt jeweils an den Schluss der vier Hauptkapitel an. Es handelt sich um relevante, auch gut zugängliche Titel, jeweils gegliedert nach Monographien und Aufsätze. Das erleichtert nicht nur die Arbeit mit dem Buch selber, sondern regt auch zur Vertiefung an. – Zu betonen ist die reichhaltige Illustrierung mit Fotos, Grafiken, Karten und Diagrammen. Sie haben einen engen Bezug zum Text, bieten jedoch auch zusätzliche Informationen an.
Das Buch hat dem Rezensenten sehr gefallen, vor allem wegen der allen Kapiteln eigenen integrativen Problemsicht. Sie drückt sich in einer fächerbzw. gegenstandsübergreifenden Betrachtung aus, die – ohne mit den neuerdings in der Geographie wieder stärker um sich greifenden „Urschlammdikussionen“ befrachtet zu sein – pragmatisch ansetzt und das Problem und seine Komplexität anpackt und darstellt. Wer einen faktenreichen, auch anschaulichen und leicht verständlichen Überblick über das urbane MenschUmweltSystem haben möchte, ist mit diesem Werk hervorragend bedient. Ihm ist eine weite Verbreitung zu wünschen, weil die Thematik nicht nur Schule und Hochschule, sondern auch die Planung und die Politik aller Ebenen angeht.
Hartmut Leser (Basel)
Quelle: DIE ERDE, Vol. 145, 1-2/2014, S. 114-115
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