Barbara Dröscher: Havanna Lektionen. Kuba zwischen Alltag, Kultur und Politik. Berlin 2011. 232 S.

Das vielgestaltige, dynamische Themenfeld zwischen Alltagsleben, Kultur und Politik der sozialistischen Karibikinsel differenziert zu beschreiben, ist ein ambitioniertes Unterfangen. Allzu leicht ist der Bezug auf bequeme Klischees hergestellt. Der hier in Form tagebuchähnlicher Schilderungen vorliegende Versuch wird von einer Autorin unternommen, die von 2006 bis 2008 als Leiterin des sogenannten DAAD-Informationszentrums in Havanna tätig war. Die aus dieser offiziellen Perspektive formulierten Sichtweisen sind interessant, da sie auch gewisse Einblicke in die bilateralen Beziehungen gewähren. Der Titel des Buches weist laut Barbara Dröscher darauf hin, dass sie nicht lediglich in und über Kuba vortragen möchte, sondern diese Arbeit auch als persönlichen Lernprozess ansieht.

 

Die Literaturwissenschaftlerin hat sich für eine chronologische Darstellungsweise entschieden, wodurch gewisse „Lernschritte“ erkennbar werden. Die Perspektive ist eine meist subjektive, geradezu touristische; in einigen Passagen thematisiert Dröscher politisch­ideologische bzw. diplomatische Themen und Ereignisse bzw. ihre eigene Rolle und Haltung. Interessant sind ihre Hinweise auf literarische und filmische Beispiele und deren tieferen Bezüge zum Lebensgefühl und zur Lage in Kuba, wobei dies fast ausschließlich kritische Aspekte sind, die sie in systemkritischem Gestus skizziert (Verfall, Ruinen, Schamlosigkeit, Korruption, Angst, Altern etc.). Schon in der Vorbemerkung wird deutlich, dass Dröscher dem kubanischen System ablehnend gegenüber steht: „Die beglückendste Erkenntnis war jedoch, dass es trotz allem Menschen gibt, die Eigensinn bewahren, die die Zerstörung zur Sprache bringen und Kreativität entwickeln, um zu widerstehen.“ (5) Diese Haltung charakterisiert gemäß ihrer Beobachtungen die deutsche Politik und Diplomatie gegenüber Kuba. Interessant ist dabei, dass Dröscher sowohl die EU- als auch die deutsche Politik kritisiert: „Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Kuba ist meines Erachtens falsch, objektiv gesehen aber zumindest ungeschickt und im Detail unbedacht“ (34ff und 90f), weil sie aufgrund der engen EU-Vorgaben und ihrer negativen Haltung keinen wirklichen Einfluss ausüben könne. So habe sich z.B. der neue deutsche Botschafter bei seinen „in einem recht sperrigen Spanisch“ vorgetragenen, offiziellen Begrüßungsworten als „Botschafter der Transition“ vorgestellt (39).

Manche ihrer Beobachtungen über den Alltag, wie z.B. die Probleme des Transports, der Versorgung mit Gütern des täglichen Lebens, erscheinen sehr genau, doch fehlen einige zentrale Elemente (das System der libretas, die Problematik der zwei Währungen, der Wegfall der Handelspartner und Freunde in Osteuropa etc.). Zudem gelingt es der Autorin kaum, die Hintergründe, Ursachen und Zusammenhänge zu erklären. Hier macht sich das Manko bemerkbar, dass Dröscher sich allem Anschein nach kaum sozial- oder politikwissenschaftliche bzw. landeskundliche Literatur angeeignet hat. So geht sie bspw. auf die berühmt gewordene kritische Debatte über Kulturpolitik in Kuba ein („Quin­quenio gris“), hebt dabei hervor, dass sie sich mit den radikalen Kritikern identifizieren könne, und benennt als wichtiges, symbolisches Merkmal, dass man nicht mehr von Fidel, sondern von Castro sprechen solle. Diese recht simplistische „Analyse“ grenzt fast an „Unbedarftheit“, die sich auch darin zeigt, dass Dröscher nirgends auf die Rolle der USA eingeht. Immerhin thematisiert sie ihre begrenzten Möglichkeiten des Verstehens an einigen Stellen, indem sie bspw. von„Kaffeesatzlesen“ (87) spricht. Über Fidel Castro und Hugo Chavez äußert sie sich verächtlich; die wichtigste politische TV-Sendung „Mesa redonda“ bezeichnet sie als „Talkrunde zur ideologischen Eintrichterung, in der die von der politischen Führung geprägten Diskurse papageienartig heruntergeplappert werden.“ (114) Auf Kuba gebe es keine „eventuell politisch relevante innere Opposition“, ihr sei „zumindest noch kein Mensch begegnet, der ein gesellschaftliches Projekt hätte oder eine Vision, wie es weitergehen könnte.“ (37, dsgl. 77)

Dass die Autorin sich nach über zwei Jahren Tätigkeit in Kuba nur unzureichend auf diese andere Kultur einzulassen gelernt hat, belegt ein Beispiel aus ihrem Unterricht. Als sie „Nathan der Weise“ diskutieren ließ, war sie überrascht: „Die kubanische Gesellschaft stellt sich als von rassistischer Diskriminierung frei dar, aber es ist auffällig, wie sehr soziale Marginalisierung und dunkle Hautfarbe auch hier noch zusammenspielen. Ich war auf die Reaktion insbesondere der dunkelhäutigen Studierenden im Seminar gespannt – doch sie schienen sich nicht diskriminiert zu fühlen.“ (134) Bei einem neuerlichen Aufenthalt auf Kuba Ende 2010 traf sie sich mit der im Westen als Dissidentenstar kreierten Bloggerin Yoani Sánchez und ihrem Gatten. Nach einem Gespräch mit anderen KubanerInnen über dieses Treffen ist sie „ziemlich erschreckt, dass auch die kritischeren Personen, die ich hier in letzter Zeit kennenlernen konnte, deutlich Distanz zu der prämierten Bloggerin signalisierten. Sie grenzen sich regelrecht von Yoani Sanchez’ Versuch der unbestechlichen Bestandsaufnahme der kubanischen Gegenwart ab. Dafür gibt es meines Erachtens wenig inhaltliche Gründe, denn in ‘Generation Y’ fällt die Kritik wesentlich sanfter aus als in so manch anderer Produktion im Kulturbereich.“ (196) Allem Anschein nach ist die Autorin in ihrer eurozentrischen und deutsch-bildungsbürgerlichen Sichtweise gefangen, dass sie sich nicht in die Lage Kubas und seiner Menschen zu versetzen versteht.

Die Havanna Lektionen bieten interessante Beobachtungen aus dem Alltags­ und diplomatischen Leben, doch sie liefern vor allem Anschauungsmaterial darüber, wie begrenzt und klischeehaft liberal-bürgerliche Betrachtungen zu Kuba sind: Die Versuche des Verstehens gehen nicht weit genug. Um eine andere Kultur wie die kubanische und darin praktizierte Denk- und Verhaltensweisen angemessener nachvollziehen zu können, müssten allerdings Eurozentrismen und ideologische Denkhemmnisse überwunden werden. Die Lektüre bietet in dieser Hinsicht gleichwohl manche Anregung.
Edgar Göll

PERIPHERIE Nr. 126/127, 32. Jg. 2012, S. 382-383