Ingo Liefner, Ludwig Schätzl: Theorien der Wirtschaftsgeographie. Paderborn 2012. 10. Aufl. 218 S.
1978 veröffentlichte Ludwig Schätzl das Werk Wirtschaftsgeographie 1 /Theorie und in der Folgezeit die ergänzenden Bände Empirie (Bd. 2) und Praxis (Bd. 3). Damit wurde die später als raumwirtschaftlicher Ansatz gezeichnete „Hannoveraner Schule“ geboren. Damals gelang Schätzl erstmals eine systematisierte Zusammenstellung der raumrelevanten Wirtschaftstheorien und das Werk entwickelte sich rasch zu einem fachwissenschaftlichen Klassiker.
Während die Rezeption der Bände 2 und 3 im Vergleich zum ersten Band eher mäßig ausfiel, wurde Letzterer mehrfach überarbeitet und aktualisiert. Mit der nunmehr in Zusammenarbeit mit seinem Schüler Ingo Liefner vorgelegten 10. Auflage werden weiterhin die etablierten Theorieansätze (Standorttheorien, räumliche Mobilitätstheorien, regionale Wachstums- und Entwicklungstheorien) vorgestellt, aber in einem zweiten, umfänglichen Teil durch vorrangig neuere Theorieansätze (räumliche Organisations- und Netzwerktheorien), ergänzt, die der größeren Komplexität der räumlichen Organisation der Wirtschaft in Zeiten der Wissensgesellschaft und der Globalisierung Rechnung tragen sollen.
Dieser neue 2.Teil des Buches (Kapitel 5) ist in 5 Abschnitten organisiert. Zunächst wird der Übergang von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft kurz skizziert, womit die umfassende Bedeutung von Netzwerken begründet wird. Mit der ressourcenbasierten Organisationstheorie werden sodann aus unternehmerischer Perspektive die Optionen in der Organisation der betrieblichen Ressourcen (Outsourcing, Vernetzung, Kernkompetenzen), insbesondere des Wissens, diskutiert. Im folgenden Abschnitt werden Graphen- und soziale Netzwerktheorie, sowie Wertschöpfungsketten und die Theorie des multinationalen Unternehmens als Netzwerktheorien vorgestellt. Daran schließen sich Ausführungen zur Vernetzung und räumlichen Wissensmobilität an, die eigentlich auch im Kapitel 3 des Buches (räumliche Mobilitätstheorien) hätten dargestellt werden können. Gleiches gilt für den letzen Abschnitt zur regionalen Entwicklungsdynamik, der gut in Kapitel 4 Regionale Wachstums- und Entwicklungstheorien gepasst hätte. In der Konsequenz ergibt sich in der Neuauflage ein eigentümlicher Dualismus zwischen alter und neuer Theorie, der die „additive Struktur“ des Werkes verstärkt. Hier wäre eine deutlichere wirtschaftsgeographische Synthese aus alten und neuen Ansätzen wünschenswert gewesen, der die traditionelle systematisierende Darstellung des alten Werkes überwindet und eine eigenständige wirtschaftsgeographische Theoriebildung präsentiert hätte. Auch der neue Titel „Theorien der Wirtschaftsgeographie“ unterstreicht den pluralistischen Charakter der Überarbeitung.
Gleichwohl stellt die Neuauflage spannende, dominant mikroökonomisch orientierte und für die Wirtschaftsgeographie wichtige Theorieansätze zur Diskussion und empfiehlt sich damit nicht nur als ein Lehrbuch für Studierende, sondern auch als eine anregende Lektüre für die fachwissenschaftliche Community, da die evolutionäre Entwicklung des raumwirtschaftlichen Ansatzes natürlich von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Wirtschaftsgeographie ist.
Walter Thomi
Quelle: Erdkunde, 66. Jahrgang, 2012, Heft 4, S. 376
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