Thomas M. Schmitt: Cultural Governance. Zur Kulturgeographie des UNESCO-Welterberegimes. Stuttgart 2011. 452 S.

Im Kontext der aktuellen Diskussion in den Sozial- und Kulturwissenschaften um die Rolle von kulturellem Erbe siedelt Schmitt seine Untersuchung an der Schnittstelle zwischen Politischer Geographie und Sozialgeographie an. Die Studie nähert sich der Welterbegovernanz aus verschiedenen Blickwinkeln auf der Grundlage eines multilokalen Forschungsansatzes und unter Verwendung qualitativer Methoden. Zwar sind Studien zum UNESCO-Welterbe etablierte Forschungsthemen, dennoch sind insbesondere auf Feldforschung beruhende und auf lokaler Ebene ansetzende empirische Fallstudien selten. Das gilt insbesondere für die Arabische Welt, auf die sich die Arbeit bezieht. Es ist daher kein geringes Verdienst von Schmitt, sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt zu haben.

 

Die Publikation beruht auf einer 2009 in Bonn abgeschlossenen Habilitationsschrift. Ziel der Arbeit ist es, anhand der Beobachtung zweier Sitzungen des UNESCO-Welterbekomitees sowie zweier lokaler Fallstudien, die in Algerien und Marokko verortet sind, die komplexen Zusammenhänge zwischen der global-lokalen Governanz des UNESCO-Welterbes im Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure zu untersuchen.

Das Buch gliedert sich in neun Kapitel, wobei das erste Kapitel der Erarbeitung der spezifischen Forschungsfragen dient und das zweite die konzeptionellen, theoretischen sowie analytischen Grundlagen der Studie präsentiert. Eine Auseinandersetzung mit Schlüsselbegriffen wie „außergewöhnlicher universaler Wert“ und Schlüsselinstrumenten wie die „Liste des Welterbes in Gefahr“ der Welterbekonvention aus kulturwissenschaftlicher Sicht schließt sich in Kapitel 3 an. Der Darstellung der Untersuchungsmethodik ist Kapitel 4 gewidmet. Um Aussagen über Entscheidungsabläufe und Prozesse der globalen Ebene der Welterbegovernanz machen zu können, wurden zwei einwöchige Sitzungen des UNESCO-Welterbekomitees in Vilnius (2006) und Christchurch (2007) beobachtet und durch formelle und informelle Gespräche ergänzt. Darüber hinaus wurden zwei Forschungsaufenthalte am Sitz der UNESCO in Paris in den Jahren 2004 und 2007 durchgeführt. Die dort gesammelten Archivquellen und UNESCO-Dokumente ergänzen die persönlichen Beobachtungen der Sitzungen des UNESCO-Welterbekomitees. Die Untersuchung der Governanz an den beiden oben erwähnten Welterbestätten erfolgte mittels qualitativer Interviews, teilnehmenden Beobachtungen, Geländebegehungen sowie Dokumentenanalysen. Die Analyse der Governanz des UNESCO-Weltkulturerbes im Zusammenspiel von globalen, nationalen und lokalen Akteuren unterliegt damit einer explorativen, qualitativen Herangehensweise, die vor allem einem ethnographischen Forschungszugang verhaftet ist. Die damit generierten Daten werden in Kapitel 5 (Globale Ebene der Welterbegovernanz), Kapitel 6 (Nationale Ebene der Welterbegovernanz am Beispiel von Algerien und Marokko), Kapitel 7 (Lokale Ebene der Welterbegovernanz am Beispiel des Tal des M’Zab, Algerien) und Kapitel 8 (Lokale Ebene der Welterbegovernanz am Beispiel des Immateriellen Erbes des Platzes Jemma el Fna in Marrakech, Marokko) zusammengeführt und interpretiert. In Kapitel 9 fasst der Autor die wichtigsten Ergebnisse der Studie noch einmal zusammen. Insgesamt stellt Schmitt heraus, dass durch die Unterschutzstellung im Sinne der Welterbekonvention und der damit generierten internationalen Aufmerksamkeit der Denkmal- und Naturschutz an den untersuchten Welterbestätten tendenziell gestärkt wird. Die UNESCO übt sowohl einen diskursiven als auch institutionellen Einfluss auf die Welterbestätten aus. Der diskursive Einfluss der UNESCO und damit die Akzeptanz der Ziele der UNESCO durch lokale und nationale Akteure erweist sich für den Schutz der Stätten als ebenso wichtig wie direkte Interventionen oder Entscheidungen der UNESCO-Gremien bezüglich der jeweiligen Stätten. Aus den beschriebenen Erfahrungen ergibt sich für den Autor, dass das Welterberegime als Vorbild für eine Weiterentwicklung globaler Governanz dienen kann. Globaler Austausch, Weltgesellschaft und globales Engagement lassen sich nicht nur auf ökonomische Fragen der Steuerung von Waren- und Finanzströmen reduzieren. Insgesamt öffnet Schmitt den Blick für den Mehr-Wert weltgesellschaftlicher Integration sowie für Sinn und Bedeutung von Weltgesellschaft. Damit verbunden ist der Anspruch der Arbeit, eine umfassende Analyse des UNESCO-Welterberegimes durchzuführen – wie es bereits im Titel der Untersuchung zum Ausdruck kommt. Die qualitative Auswertung von zwei Sitzungen des UNESCO-Welterbekomitees bietet hierfür letztlich aber zu wenig Substanz. Es wäre daher durchaus überlegenswert gewesen, sich auf die Rolle der Maghreb-Staaten innerhalb der UNESCO und insbesondere innerhalb der Welterbegovernanz zu beschränken. Eine Untersuchung der ebenenübergreifenden Governanz des UNESCO-Welterbes am Beispiel des Maghreb hätte die Möglichkeit eröffnet, stärker auf Besonderheiten der staatlichen Verfasstheit und der Ökonomie dieser Länder sowie der arabischen Gesellschaft und Kultur zu fokussieren und der daraus resultierenden Auseinandersetzung mit Weltkulturerbe.

Bedauerlich ist die Beschränkung der Studie auf qualitative Methoden. Der Autor vergibt sich mit dem verwendeten Methodenrepertoire, das im Wesentlichen aus qualitativen Interviews und Beobachtungen beruht, der Möglichkeit, die Datengrundlage auf eine breitere Basis zu stellen. Kritisch anzumerken ist zudem, dass der Autor insgesamt kaum Angaben über Stichprobengrößen, zur Auswahl der Gesprächspartner oder zur Auswertung der auf qualitativer Basis gewonnen Daten macht. Exemplarisch soll hier die Untersuchung der Wahrnehmung der Welterbeauszeichnung und der UNESCO im Tal des M’Zab in Kapitel 7 angeführt werden. Dem Leser wird zwar mitgeteilt, dass der Autor Gespräche mit Mozabiten, Nicht-Mozabiten, „einfachen“ Bürgern und mit ortsansässigen Notablen geführt hat. Es ist allerdings nirgendwo zu erfahren, wie viele Menschen befragt oder wie die Daten ausgewertet worden sind, auf dem dieses Kapitel beruht. Schmitt stellt zwei konträre Meinungen heraus, die er dann in einer Matrix (S.309) anordnet, an welcher sich seiner Meinung nach die möglichen Kombinationen von Haltungen verdeutlichen lassen.  

Nicht überzeugen kann auch die persönliche Auseinandersetzung mit einem Journalisten der Wochenzeitung Die Zeit in Kapitel 6.1. Eine „verspätete Leserkritik“ (S.219f.) mit persönlichen Wertungen deckt nicht das Meinungsspektrum in der Presse ab. Zudem sind einige handwerkliche Fehler zu monieren. So beruht etwa die Karte „Gegenwärtige Siedlungsstruktur im Tal des M’Zab“ (Abb. 31) auf der Auswertung von Satellitenbildern sowie von Plankarten und historischen Kartenskizzen. Es fehlen aber sowohl die Hinweise auf die verwendeten Satellitenbilder (Datum der Aufnahmen, Form der Darstellung) als auch die Quellenangaben zu den verwendeten historischen Karten. Ebenso fehlt in den Abbildungen 16 sowie 48 der jeweilige Hinweis auf Kartengrundlage und Quelle.

Insgesamt wäre es nach Auffassung der Rezensentin sinnvoll gewesen, die Vielfalt der Einzelthemen und Detailinformationen zu straffen, um dem Buch eine konsistentere innere Struktur zu geben. Es wird dem Leser nicht gerade einfach gemacht, sich durch die Fülle von theoretischen Ansätzen zu kämpfen, sich in der Flut von zentralen Fragestellungen zurechtzufinden oder die Kernaussagen der Studie zu erfassen. Dennoch handelt es sich bei der von Schmitt vorgelegten Publikation um eine wichtige und gerade in den Fallstudien zu Algerien und Marokko um eine gut recherchierte Arbeit mit interessanten Ansätzen auch für weitere Forschungen. Die Arbeit eröffnet insbesondere durch die Untersuchung der ebenenübergreifenden Governanz des UNESCO-Welterbes einen neuen Blick auf die Welterbegovernanz.
Jacqueline Passon

Quelle: Erdkunde, 66. Jahrgang, 2012, Heft 4, S. 364-366