Gudrun Bucher: Abenteuer Nordwestpassage. Der legendäre Seeweg durch die Arktis. Darmstadt: Primus 2013. 224 S.
Gleich zu Beginn muss klargestellt sein, dass zwischen dem Erscheinen dieses Buches und dem Erscheinen dieser Rezension ein wichtiges geopolitisches Ereignis eingetreten ist, welches das neu aufgekommene Interesse an der Nordwestpassage verdeutlicht: Im September 2014 fanden die Kanadier vermutlich eines der beiden seit 1845 verschollenen Schiffe der letzten Expedition von Sir John Franklin, die auf der Suche nach einem schiffbaren Weg vom Pazifik in den Atlantik mit Mann und Maus verloren gegangen waren. Wieso dieser Fund geopolitische Bedeutung hat, wird bei der Lektüre Gudrun Buchers Werk klar: Seit jeher streiten sich die USA und Kanada über den Status dieser Gewässer – mit dem Fund eines derSchiffe der Franklin-Expedition steigen die Chancen von Kanada, diese Gewässer als Binnengewässer von Kanada zu betrachten und von einem allfälligen zukünftigen Schiffsverkehr durch die Nordwestpassage zu profitieren. Grund dafür ist, dass Franklin unter britischer Krone segelte, und Kanada deren Rechtsnachfolger ist. Ein Anspruch auf die nationale Hoheit über die Nordwestpassage wäre aber nur möglich, wenn nachgewiesen werden könnte, dass die damals noch nicht komplett entdeckte Nordwestpassage1845 zum britischen Imperium gehörte.
Gudrun Bucher studierte Ethnologie, Vor- und Frühgeschichte und Geologie, ein Hinweis, den man nur auf dem Schutzumschlag des Buches findet, der aber für Leserinnen und Leser aus dem geografischen Umfeld gut zu wissen ist: Das Buch wird nämlich genau da spannend und interessant, wo der ethnografische Bezug zur einheimischen Bevölkerung der Arktis hergestellt wird und zu deren Interaktion mit den fremden Seefahrern, die vergeblich in vielen Anläufen nach der Nordwestpassage gesucht haben. Bucher erklärt auch, wieso der Sammelbegriff „Eskimo“ weiterhin verwendet wird: weil die Nennung aller Volksstämme der Eskimos sehr umständlich ist und neue Probleme mit sich bringt, wenn Europäer zum Beispiel die Inupiat in Alaska fälschlicherweise als Inuit bezeichnen.
Das Buch beginnt im 16. Jahrhundert, als die Suche nach einem kurzen schiffbaren Weg nach China breites Interesse erlangte. Die ersten vier Kapitel widmen sich dementsprechend der Situation und Entwicklung der Suche im 16., 17., 18. und 19. Jahrhundert. Lange war man der Überzeugung, dass hinter einem (Pack-)Eisgürtel im Norden ein eisfreies Polarmeer liegen müsse, das eine direkte schiffbare Verbindung nach China erlauben würde. Im 19. Jahrhundert war Franklin zwar bei weitem nicht der einzige, aber wegen seines mysteriösen Verschwindens vermutlich in der breiten Bevölkerung der bekannteste Seefahrer, der nach der Nordwestpassage gesucht hat. Das ganze 5. Kapitel widmet sich der „vergeblichen Suche nach Franklin“. Im 6. Kapitel wird der erfolgreiche Abschluss der Suche durch Roald Amundsen behandelt, gefolgt von dem ausgezeichneten Kapitel 7 über „Menschen der Nordwestpassage“ und Kapitel 8 zum Neuen Interesse am kurzen Seeweg“, das – wie einleitend ausgeführt – durch die aktuelle Entwicklung spezielle Aktualität erlangt hat. Der Hauptaspekt des 8. und letzten Kapitels ist aber mit der ebenfalls nur auf dem Schutzumschlag erwähnten Aktivität der Autorin als Begleiterin von Expeditionskreuzfahrten in die Arktis am direktesten in Verbindung zu bringen.
Wer bereits englischsprachige Bücher zum Thema – oder den Bericht der früheren Expedition von Franklin (1819–1822; „Ins arktische Amerika“) – gelesen hat, wird rasch feststellen, dass die ersten Kapitel eine Aufarbeitung der meist in englischer Sprache vorliegenden Literatur sind und entsprechend kurz und prägnant zusammengefasst werden mussten. Die Autorin versteht es auch da, die wesentlichen Aspekte der geopolitischen Interessen an einer schiffbaren Nordwestpassage herauszuarbeiten – und vor allem auch die nicht unproblematische Interaktion mit den Geldgebern der Expeditionen zu erläutern und erklären. Die „spannend“ erzählte Geschichte – die der Schutzumschlag verspricht – ist aber am eindeutigsten in Kapitel 7 über die „Menschen der Nordwestpassage“ zu finden, wo die Ethnologin aus dem Vollen schöpft und viele Gesichtspunkte, die einem physischen Geografen eher weniger bekannt waren,ausleuchtet: so zum Beispiel die unsäglichen kanadischen Umsiedlungen der Eskimos, die in keiner Art und Weise darauf Rücksicht nahmen, dass Inuit, die auf Karibujagd und ein Leben mit Holz spezialisiert waren (also mit Holz feuerten, und nicht mit Tran) in der waldlosen Tundra nicht in der Lage waren, sich von Eisbärenjagd und Robbenfang zu ernähren.
Insgesamt kann das Buch jeder und jedem empfohlen werden, die/der eine ausgezeichnete Übersicht über das Thema „Nordwestpassage“ in deutscher Sprache lesen will. Namentlich Teilnehmern einer Expeditionskreuzfahrt in die Arktis kann das Buch als Pflichtlektüre empfohlen werden. Geopolitisch wirft das Thema allerdings höhere Wellen in den USA, die in keiner Art und Weise auf eine allfällige kommerzielle Nutzung der Nordwestpassage vorbereitet sind: Es gibt keine Tiefseehäfen in Nordalaska, und die USA besitzen bloß ein bis zwei Eisbrecher (je nachdem, wie man denjenigen, der jeweils in Reparatur ist, mitzählt, wie ein Kommentator in Alaska* kritisch anmerkte) Kanada hingegen deren sechs und Russland mehr als 30. Und an China wagt gar niemand zu denken.
Werner Eugster (Zürich)
* Fairbanks Daily News-Miner, Editorial vom 21. Mai 2014: „The race for the arctic oceans: Alaska can’t afford delays inevolving shipping lanes off its north coast“
DIE ERDE · Vol. 146 · 1/2015, S. 90
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