Dieter Steiner: Die Universität der Wildnis: John Muir und sein Weg zum Naturschutz in den USA. München 2011. 404 S.

Mit „Die Universität der Wildnis“ legt Dieter Steiner eine lesenswerte Biographie des amerikanischen Naturschutzpioniers John Muir vor. Chronologisch zeichnet er den Weg des eigenwilligen Mannes auf, der in Schottland beginnt und ihn über Wisconsin nach Kalifornien führt, wo er im Gebiet des späteren Yosemite Nationalparks seine Berufung als Naturschützer findet. Das Buch möchte aber mehr als nur die Lebensgeschichte Muirs wiedergeben, sondern die Leserschaft für humanökologisches Denken sensibilisieren und ihr Futter für ihre” seelisch-geistige Nahrungskette“ geben. Steiner möchte uns mit dem Beispiel John Muirs” zurück zur Wurzel“ bringen, die wir durch unsere” hors-sol-Zivilisation“ verloren haben.

Das Buch ist übersichtlich strukturiert und die Kapitelüberschriften fassen den Inhalt präagnant zusammen, sodass Muirs Biographie in Kürzestform bereits aus dem Inhaltsverzeichnis abgeleitet werden kann. Akribisch und mit  Detailreichtum werden die Stationen Muirs beschrieben und vermitteln einen guten Eindruck über die Lebensumstände seiner Zeit in den USA. Eindrücklich werden auch die Charakterzüge und Fähigkeiten Muirs herausgearbeitet, der ein überaus vielseitiger und sehr genügsamer Mann war. Geprägt von einem dominanten und äusserst frommen Vater, der ihn, den ältesten Sohn, hart arbeiten liess, sucht der junge John früh kleine Fluchten, die er im Staunen über die Natur und im Konstruieren von Apparaten und Geräten findet. Mit seinen technischen Fertigkeiten finanziert er sich sein Chemiestudium und später tage- und monatelange Exkursionen in die Wildnis, bei denen er botanisiert und auf denen er beim Auffinden seltener Pflanzen erleuchtende Momente erlebt. Obwohl Muir die Einsamkeit in der Natur genoss – v.a. im Yosemite, wohin er eher zufällig zum Auskurieren einer in Florida aufgelesenen Malariaerkrankung gelangte –, galt er als guter Unterhalter. Auf seinen ausgedehnten Streifzügen und Bergbesteigungen entwickelte er eine Theorie der glazialen Prägung des Yosemitegebietes, die sich an Agassiz anlehnte, die jedoch zu jener Zeit auch heftig kritisiert wurde. Muir sah auch in Naturgewalten und -katastrophen das Schöne der Natur, der er eine innere Gestaltungskraft zugestand. Natur war für ihn nie schlecht oder böse, sie verkörperte stets das Gute. Empört über Auswüchse des Kapitalismus, der Ursache für unübersehbare Eingriffe in die Natur, wird Muir zum Lobbyisten eines umfassenden Naturschutzes, den er auch gegenüber Theodore Roosevelt vertritt, mit dem er drei Tage im Yosemite Park verbringt. Mit seiner Figur schildert Steiner eindrücklich die Kontroversen zwischen verschiedenen, miteinander im Widerstreit stehenden Ausrichtungen des Naturschutzes: den „conservationists“, die Ressourcennutzungen zulassen wollten und Muirs „preservationists“, welche für einen integralen Schutz eintraten.

Etwas eigenwillig wirken Steiners gelegentliche Interpretationen von Weiblichkeit und Männlichkeit. So erklärt er u.a. das vermehrte Interesse Muirs an der Glaziologie und Geomorphologie als Hinwendung zu seiner männlichen Seite, da diese Fächer – im Gegensatz zur Botanik – männlich geprägt seien. Er zitiert zwar viele Originalquellen Muirs, stützt sich aber bei vielen Interpretationen auf andere Muir-Biographen, die kaum hinterfragt werden. Hier wäre etwas weniger Zurückhaltung angebracht gewesen. Am Ende des Buches, das mit dem Tod Muirs endet, stellt sich die Frage, ob das Leben dieses Originals wirklich ein gutes Beispiel für die Idee eines nachhaltigen Lebensstils im Sinne einer breit gefassten Humanökologie darstellt. Gewiss, Muirs Begeisterung für alles Natürliche und seine Aufrufe, durch die Begegnung mit der Natur zurück zum Wesentlichen zu finden, wird ansteckend und kraftvoll vermittelt. Doch ist auch Muirs Leben von Brüchen und Inkonsistenzen gekennzeichnet, die weniger gut ins Bild passen, was im Buch auch thematisiert wird. Der Autor versagt es sich am Schluss ein Fazit über Muirs Leben aus seiner humanökologisch geprägten Sicht zu ziehen und überlässt es der Leserschaft, sich ein Urteil zu bilden. Eine Universität ist schliesslich auch zum Nachdenken da und diesen Anspruch löst „Die Universität der Wildnis“ für eine breite, am Naturschutz interessierte Leserschaft ein.

Norman Backhaus (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

 

Quelle: Geographica  Helvetica, 67, 169–170, 2012


www.geogr-helv.net/67/169/2012/
doi:10.5194/gh-67-169-2012
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