Nina Kolleck: Global Governance, Corporate Responsibility und die diskursive Macht multinationaler Unternehmen. Freiwillige Initiativen der Wirtschaft für eine nachhaltige Entwicklung? Baden-Baden 2011. 268 S.

Die Autorin greift in diesem Buch mit den Fragen, wie und warum multinationale Unternehmen (MNU) den Nachhaltigkeitsdiskurs (mit)gestalten, ein Thema auf, dem angesichts der Allgegenwart von Natur- und Klimaschutz in der heutigen Produktions- und Warenwelt einerseits, der existenziellen Bedeutung veränderter Mensch-Umwelt-Beziehungen andererseits eine große Relevanz zukommt. Sie betont zu Recht, dass sich die Sozialwissenschaften unter diesem Aspekt bisher nicht sehr gründlich mit dem Thema der Corporate (Social) Responsibility (CSR) beschäftigt haben; der Selbstdarstellung von Unternehmen als den wahren Gestaltern nachhaltiger Entwicklung wurden sehr häufig nur generelle Kritiken unternehmerischer Initiativen als Greenwashing gegenübergestellt.

Nina Kollecks Thesen sind allerdings so neu nicht: „Unternehmen [werden] erstens versuchen, das Konzept der nachhaltigen Entwicklung mit eigenen Interessen und Wahrnehmungen zu füllen, um durch die Gestaltung des Diskurses Ein.uss auf politische Rahmenbedingungen bzw. globale und nationale politische Problemlösungsstrategien zu gewinnen und …sich zweitens durch äußeren Druck und externe Erwartungen dazu gezwungen fühlen, nachhaltige Entwicklung in ihre Unternehmensstrategie zu integrieren.“ (1) Allerdings verspricht eine grundlegende Analyse dieser Zusammenhänge auf der Basis eines – wie das Inhaltsverzeichnis erwarten lässt – methodisch umfassend reflektierten diskursanalytischen und sozialkonstruktivistischen Ansatzes (mit starkem Bezug auf Foucault) wichtige neue Einsichten, auch wenn sich das empirische Material auf eine Fallstudie des Unternehmensnetzwerkes Econsense beschränkt. Dieses Netzwerk wurde auf Initiative des Bundesverbandes der Deutschen Industrie im Jahr 2000 gegründet und will „die Übernahme unternehmerischer Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung fördern … und gleichzeitig die ‘langfristige Wettbewerbsfähigkeit’ multinationaler Konzerne … unterstützen.“ (114)

Eine Fallstudie, die den Anspruch erhebt, einen Beitrag zu einem umfassenden Themenfeld (vgl. Buchtitel) zu leisten, verlangt eine ausführlichere Beschäftigung mit den Rahmenbedingungen des Themas. Dies wird im Kapitel 2 des Buches allerdings viel zu breit und ohne klare argumentative Stoßrichtung versucht. Zum einen geht die Autorin auf Themen ein, die im empirischen Teil des Buches (leider) keine Rolle spielen (so etwa der Versuch eines Überblicks zur Global-Governance-Diskussion), zum anderen versäumt sie es, grundlegende Begriffe wirksam zu klären und sich mit Diskussionssträngen, die für das Thema zentral sein sollten, effektiv auseinanderzusetzen. Wichtige Arbeiten zum Verhältnis von Unternehmensinteressen und nachhaltiger Entwicklung (etwa von Ulrich Brand und Christoph Görg) werden nicht erwähnt und das „netzwerkstrukturierte[s] Kategoriensystem“ der Abbildung 2, das die grundlegenden Kategorien für die empirische Analyse zu liefern beansprucht (82), versteckt die Kategorie „Profit“ hinter dem Begriff des „Business Case“ – obwohl im Schlussteil des Buches der Konflikt zwischen kapitalistischer Rationalität und der Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen nicht geleugnet wird.

Ungeklärt bleibt aber vor allem der Machtbegriff und damit auch das, was diskursive Macht (Untertitel!) überhaupt sein soll (S. 26-28; 43-47). Kolleck zitiert Doris Fuchs und Markus Lederer: „Diskursive Macht formt Perzeptionen und Identitäten und fördert die Interpretation von Situationen als einen Typ eher als einen anderen repräsentierend“ (28, Übers.: WH). Dies impliziert, wie in der Literatur üblich, dass „Macht“ als ein relationales Phänomen angesehen wird. Daher überrascht es, wenn die Autorin dann einschränkt „die vorliegende Arbeit strebt keine Analyse der tatsächlichen Machtwirkungen an, sondern … interpretiert … die Ausübung diskursiver Macht durch Econsense-Unternehmen im Rahmen der Gestaltung des Diskurses über nachhaltige Entwicklung“ (193). Wie weiß die Autorin, wann und in welcher Weise Macht „ausgeübt“ wurde, wenn sie die „Machtwirkungen“ nicht analysiert? Auf die Diskussion zu verschiedenen Machtformen geht sie nur sehr ober.ächlich ein, indem sie diskursive Macht im Anschluss an Steven Lukes von instrumenteller und struktureller Macht abgrenzt, ohne die Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Machtformen theoretisch zu thematisieren.

Kapitel 3 beschäftigt sich ausführlich mit den Methoden der Arbeit, vor allem mit der Verknüpfung von qualitativer Inhaltsanalyse und Diskursanalyse sowie mit Fragen der Qualitätssicherung. Die Darstellung der empirischen Ergebnisse lässt weitgehend unklar, wo welche Methoden angewandt wurden. Die Storylines (s.u.) stellen – jeweils auf der Basis eines Zitats als so genannten „Ankerbeispiel(s)“ – typische Argumente von Unternehmern zu Aspekten nachhaltiger Entwicklung dar. Spezifische Methoden bei der Auswahl dieser Beispiele nennt Kolleck nicht, was sie explizit rechtfertigt (108). Das führt aber doch zur Frage, ob die ausführliche Diskussion von Methoden nicht letztlich doch primär als ein Bluff anzusehen ist.

Was bleibt? Die Orientierung der Darstellung an diskursanalytischen Konzepten, die ausschließlich auf Econsense-Texte (und -Interviews) angewendet werden, macht es schwierig, den Bezug zum globalen Diskurs über nachhaltige Entwicklung und die anderen im Titel angesprochenen Themen herzustellen. Die Behandlung dieser Themen bleibt daher bruchstückhaft, was auch im Kapitel 5 deutlich wird: Dort gelingt es nicht, den Schritt von der Interpretation der Econsense-Materialien zu einer überzeugenden theoretischen Erklärung der Gesamtproblematik zu leisten. Die Betrachtung des demographischen Wandels primär unter dem Gesichtspunkt des Fachkräftemangels, aber doch unter dem Konzept der „natürlichen Rahmenbedingungen“ erscheint sehr borniert. In Bezug auf einzelne Elemente der Strategie arbeitet die Autorin interessante Punkte heraus: (1) typische Storylines der unternehmerischen Selbstdarstellung (Freiwilligkeit vs. Regulierung, Unentbehrlichkeit von MNUs, Nachhaltigkeitsstrategien als Wettbewerbsvorteile usw.); (2) Betonung der Bedeutung der Wirtschaft bei der Verschränkung mit anderen Diskursen; (3) Reaktion auf Gegendiskurse (Notwendigkeit staatlicher Intervention, zivilgesellschaftliche Diskurse); (4) Wert spezifischer Wortprägungen und Euphemismen zur Stärkung der Rolle privatwirtschaftlicher Nachhaltigkeit.

Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Branchen, die Kolleck leider nur in Bezug auf die einzelnen Aspekte und nicht übergreifend behandelt (spezifische Interessen und Sichtweisen, die etwa im Tourismus ganz andere sind als in den großen Energieversorgungsunternehmen oder in der Automobilindustrie). Diskursregeln – die zentralen Paradigma von Diskursen, d.h. auch „was kommuniziert und was nicht kommuniziert werden kann“ (150) – arbeitet Kolleck unter Bezug auf Foucaults „archäologische Mittel“ heraus: Bruchstellen zwischen verschiedenen Diskursen: „die Regel der Priorität des wirtschaftlichen Wachstums wird ganz offensichtlich von den neuen Konzepten [im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit; W.H.] herausgefordert, und an dieser Bruchstelle entstehen begriffliche Verwerfungen, längs derer der Diskurs geführt wird“ (160). Die Ambivalenzen des Konzeptes nachhaltiger Entwicklung erlauben es, Facetten zu betonen, die den eigenen Interessen am nächsten stehen, d.h. sich letztlich doch am „Primat des Ökonomischen über das Soziale und Ökologische“ (174) zu orientieren. Hier wäre sicherlich eine Verwendung des Foucault’schen Dispositiv-Konzeptes sinnvoll gewesen.

Im 5. Kapitel sollen die theoretischen Implikationen der Analyse der Econsense-Diskurse herausgearbeitet werden. Der erste Teil beschäftigt sich mit den „Chancen und Grenzen der diskursiven Macht von Unternehmen“ (176). Während die Chancen auf den gesamten Nachhaltigkeitsdiskurs bezogen werden (politische Akzeptanz, hohe Überzeugungskraft des Themas), also letztlich die Bedeutung diskursiver Macht für alle Akteure begründen, sieht Kolleck die Grenzen in der Beschneidung der Macht von Unternehmen durch zivilgesellschaftliche Akteure: „Akteure mit weniger Ressourcen können in den Auseinandersetzungen über politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen die stärkeren Argumente hervorbringen und gesellschaftliche Unterstützung erfahren.“(178) Eben: Wir haben im Buch einiges über die Strategien von Unternehmen gelernt, die übergreifenden Diskurse über Nachhaltigkeit und über politische Problemlösungsansätze zu beeinflussen, aber wenig Systematisches über ihre tatsächliche Macht, dies erfolgreich zu tun.

Kolleck bezieht sich auf Foucaults archäologische Methode, „Vorwissen für die Analyse zu nutzen, um Phänomene überhaupt entdecken zu können“ (151). Wenn der Leser sein Vorwissen der mehr als zwei Jahrzehnte alten Diskurse über nachhaltige Entwicklung, Kapitalismus und Unternehmensverantwortung für eine Archäologie des vorliegenden Textes nutzt, lassen sich einige interessanten Ergebnisse herauszufiltern.

Wie gesagt, Macht ist immer relational, auch im Falle struktureller Macht: Strukturen in einer kapitalistischen Marktwirtschaft geben Unternehmen in Auseinandersetzungen um nachhaltige Entwicklung eine Machtposition, die sie gegenüber zivilgesellschaftlichen Akteuren in eine Position der Stärke bringt (etwa: Wettbewerbsfähigkeit schafft Arbeitsplätze, die helfen, Hunger zu bekämpfen). Die Stärke entsprechender Diskurse beruht letztlich nicht auf diskursiver, sondern auf struktureller Macht. Ebenso beruht die Verbreitung diskursiver Positionen häufig eher auf ökonomischer Macht (etwa: große Verlage). Daraus ergibt sich eine andere Fragestellung: Wie transformieren Unternehmen andere Machtformen in diskursive Macht, um bestimmte Vorstellungen davon, „wie die Welt funktioniert“, zu stärken und damit der diskursiven Macht zivilgesellschaftlicher Akteure etwas entgegensetzen zu können. Dies ist das Ziel der „Gestaltung von Diskursen“ durch Unternehmen – ein neoliberales Weltbild angesichts der vielfältigen Herausforderungen von Nachhaltigkeit durch die Effekte kapitalistischer Ordnung zu stärken.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt letztlich auch die Autorin, wenn sie argumentiert, „… dass es Econsense mit der Steigerung der Akzeptanz von nachhaltiger Entwicklung… um die Glaubhaftigkeit der eigenen Strategie und in diesem Sinn auch um die Legitimation des bestehenden Wirtschaftssystems geht .“ (218) Das Buch schließt mit der Gegenüberstellung, dass einerseits – bei Durchsetzung der von Econsense propagierten Diskurse – „Nachhaltigkeit in Zukunft kaum noch ohne die Berücksichtigung des Prinzips ‘Wirtschaftswachstum’ konzipiert“ wird und „ökonomische Prinzipen …gar die Priorität in der allgemeinen Wahrnehmung sowie im politischen Handeln“ erlangen, andererseits aber die „offensichtlichen Auswirkungen des ökonomischen Stoffwechsels“ bereits die natürlichen Lebensgrundlagen bedrohen (234). Dies wäre ein guter Ausgangspunkt für eine kritische Analyse der diskursiven Macht multinationaler Unternehmen (und ihrer Grenzen) gewesen.
Wolfgang Hein

PERIPHERIE Nr. 128, 32. Jg. 2012, S. 511-514

 

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