Heiner Monheim u. Christoph Zöpel (Hg.): Raum für Zukunft. Zur Innovationsfähigkeit von Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik. Festschrift für Karl Ganser. Essen 1997. 375 S.
Unter dem Titel "Raum für Zukunft" haben die Herausgeber Heiner Monheim und Christoph Zöpel eine Vielzahl von Aufsätzen in einer Festschrift für Karl Ganser, dem Initiator und Direktor der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park, zusammengetragen. Um die "Innovationsfähigkeit von Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik" soll es gehen , und die Liste der beitragenden Personen umfaßt einen Gutteil des wissenschaftlichen Direktoriums der früheren IBA Emscher Park, diverse ehemalige und amtierende MinisterInnen nebst einer Reihe aktiver höherer Verwaltungsfachleute. Allesamt Menschen, deren Beruf zu einem nicht geringen Teil der Entwicklung von Perspektiven und Zukunftsentwürfen gedient haben oder auch noch dienen sollte. Indes - dies sei gleich vorweg bemerkt - etwas über "Zukunft" und "Innovationsfähigkeit" erfährt der Leser am ehesten in den Artikeln, die sich Versäumnissen und Fehlentwicklungen in der Stadtentwicklung widmen.Einen gewaltigen Rundumschlag verheißen die Überschriften der einzelnen Abschnitte: Von einer Bilanz der "Neuorientierung der räumlichen Planung" über die "Innovationsfähigkeit der Akteure" und "Verkehrsentwicklung" wird der Bogen bis hin zur "Stadtentwicklung in Städten und Regionen Nordrhein-Westfalens" gespannt. Ein Rück- und Ausblick in Interviews mit Karl Ganser und den wichtigeren seiner früheren Vorgesetzten schließt das Buch ab.
Karl Ganser wird gleich in einem vorangestellten Abschnitt in insgesamt vier Beiträgen auf den Sockel gehoben und darf dann auch für den Rest des Buches dort stehen bleiben - die nachfolgenden Autoren beziehen sich meist nur im Sinne einer Pflichtübung auf seine Arbeiten und ihn als Person. Die Laudatio selbst kann getrost übersprungen werden. Während der Mitherausgeber Heiner Monheim und die nordrhein-westfälische Städtebauministerin Ilse Brusis sich durchaus bemühen, die Karriere Karl Gansers in den zeitgeschichtlichen bzw. politischen Kontext einzubetten, können der Beitrag von Johannes Rau und insbesondere der des FAZ-Journalisten Andreas Rossmann nur verärgern. Statt der anerkennenden, zuweilen kritischen Würdigung, die man sich in einer Hommage wünschte, finden sich hier nur peinliche Lobhudelei und Legendenbildung.
Die Fachbeiträge stellen sich äußerst heterogen dar. Dies gilt insbesondere für den mit acht Beiträgen umfangreich geratenen zweiten Abschnitt, der sich - so der Anspruch - sowohl bilanzierend als auch in die Zukunft blickend der Neuorientierung der räumlichen Planung widmen will. Aufsatztitel wie etwa "Raumordnungs- und Städtebaupolitik des Bundes im Wandel der Zeiten" halten, was sie versprechen. Hans-Peter Gatzweiler, Referatsleiter in der BfLR, referiert solide die Geschichte der Behörden sowie Bundesgesetze und versprüht dabei den Charme eines betulichen Lehrbuchs der frühen 60er Jahre.
Andererseits verbergen sich hinter lapidaren Überschriften wie "Stadtentwicklungspolitik in der DDR und in den neuen Ländern" auch Artikel, die aus dem gemächlichen Lesefluß aufzuschrecken vermögen. Michael Bräuer, 1990 der Staatssekretär im letzten DDR-Ministerium für Raumordnung und Städtebau, kommt zwar - wie übrigens kaum einer der Autoren dieses Abschnitts - auch nicht ohne aufzählende und über weite Strecken deskriptive Passagen aus. Dennoch gelingt es ihm, genau diejenigen Entwicklungen als systematisch betriebene für Ostdeutschland zu kennzeichnen, die das Ruhrgebiet mit Instrumenten wie der IBA zu überwinden trachtete: "Überfliegerplanungen", Rangelei um Investoren, Disurbanisierung durch Umlandzersiedelung und die Massierung neuer Industriebrachen gelten Bräuer als Resultat einer "Amerikanisierung" der neuen Länder, in denen sich die Orientierung an Renditeerwartungen und Flächenerlösen wesentlich hemmungsloser als in Westdeutschland in der Stadtentwicklungspolitik durchgesetzt habe. Bräuer macht das, was auch manch anderem Aufsatz dieses Abschnitts gut getan hätte: Indem er zu Beginn mit einer Retrospektive zwei Entwicklungsszenarien einführt, legt er die Möglichkeit politischer, administrativer und stadtplanerischer Verzweigungspunkte offen. Von dort ausgehend kann er die politische, ökonomische und nicht zuletzt kulturelle Durchsetzung der strategischen Interessen mächtiger Akteure nachzeichnen, womit er einer der wenigen Autoren dieses Sammelbandes bleibt, dem eine herrschaftskritische Aufarbeitung von Planungspolitik gelingt. Zu häufig gerät anderen Autoren die Geschichtserzählung als relativ bruchlose, beinahe zwangsläufige, und deshalb leidenschaftslos darzulegende Ereigniskette. Vorausgesetzt jedoch, dass Innovationsfähigkeit, die ja zentrales Topos des Buches ist, zuvörderst die Fähigkeit zur Kritik an den bestehenden Verhältnissen im Sinne einer Voraussetzung für Transzendenz - d. h. der Überwindung des bestehenden Universums von Denken und Handeln - erfordert, kann man nur schlußfolgern, daß es um die Innovationsfähigkeit von einigen schreibenden Politikern und Verwaltungsfachleuten nicht besonders bestellt ist.
Es wäre wohl insbesondere die Aufgabe des den zweiten Abschnitt einführenden Beitrags von Christoph Zöpel gewesen, die Orientierung zu vermitteln, die ein so unterschiedliche Themenfelder behandelndes Buch benötigt hätte. Wiewohl unter dem Titel "Stadtentwicklung und Politik des Staates" als Grundsatzartikel angelegt, vermag es Zöpels Beitrag nicht, zwischen den nachfolgenden Aufsätzen einen gemeinsamen Bezugspunkt zu konstruieren. Stattdessen verschwimmen gleich zu Beginn die Konturen. Die Stadt wird ganz allgemein als "steingewordene Geschichte" und als "Kontinuum der Kommunikation" beschworen, das sich in Monumenten und Menschen ausdrücke. Monumente seien die Pyramiden und die Akropolis ebenso wie die Neue Mitte Oberhausen oder der Landschaftspark Duisburg-Nord; Menschen seien dabei wie Cicero, Krupp oder der Kumpel Anton. Die Orte, die in den "Mittelpunkt der ordnenden Betrachtung" rückten, würden wechseln: "Es kann also auch die Emscher sein." Zöpel schwankt im gesamten Beitrag zwischen den großen Linien der Weltpolitik und Historie auf der einen Seite und den Details nordrhein-westfälischer Städtebaupolitik auf der anderen. Keine der beiden Seiten wird wirklich ausgearbeitet. Oberflächliche, sprunghafte und stets allgemeine Betrachtungen über Politik und Welt 'an sich' stehen völlig beziehungslos neben schulbuchhaft dargelegten Zahlenkolonnen aus NRW. Von einem "Mittelpunkt der ordnenden Betrachtung" ist leider nichts zu sehen.
Trotz des ausdrücklich angestrebten Bemühens, Machtverhältnisse in den Blick zu bekommen, enden die analytischen Versuche Zöpels in theoretischen Platituden: Ohne große Umwege bemüht er die ohnehin reduktionistische Systemtheorie Luhmannscher Prägung, um den Kern der Interessenskonflikte um Stadträume auf die noch anspruchslosere Formel "Standort oder Lebensraum" zu bringen. So nimmt es nicht wunder, daß der Versuch einer positiven Stellungnahme zu sozialer Politik im hilflos anmutenden moralischen Apell gipfelt, Politik dürfe sich nicht zum "Handlanger der Stärksten" machen. Nun ja. Früher haben Sozialdemokraten noch mit Marx gearbeitet.
Wesentlich strukturierter sind die auch in sich konsistenten Abschnitte "Innovationsfähigkeit der Akteure", "Verkehrsentwicklung" und "Stadtentwicklung in Städten und Regionen Nordrhein-Westfalens". Positiv hervorzuheben ist sicherlich noch der Beitrag von Wolfgang Roters, Abteilungsleiter für Stadtentwicklung im NRW-Megaministerium MASSKS (Ministerium für Arbeit, Soziales, Stadtentwicklung, Kultur und Sport), der sich der Kontextgebundenheit von Innovation und der sozialen Konstruktion der Inhalte von Innovation stellt. Schließlich sei heute innovativ, was die Folgeschäden der in den 60er Jahren als innovativ geltenden Stadtentwicklung zu beheben versuche. Roters reflektiert auch genau die Funktionsprinzipien des Politikmodells IBA Emscher Park und scheut sich nicht, seine Mängel zu benennen. Informalität, Konfliktvermeidung, unerhörter Koordinationsund Kooperationsaufwand sowie die Relativierung oder Umgehung der vorhandenen Entscheidungsstrukturen können aus seiner Sicht keine dauerhaften Bedingungen innovativer Politik sein: "Das verbreitete Kompliment für die Innovationsfreude (der IBA, Anm. M.K.) hat insofern durchaus eine Kehrseite." Roters beschreibt auch in offener Form die Restriktionen, denen Kommunen durch die Dominanz der Großinvestoren und den gleichzeitigen Trend zur Bindungsschwäche der Stadtgesellschaft unterliegen. Die indirekt daraus abgeleitete Forderung für einen "lernenden Staat" bleibt zwar etwas zu früh in der Suche nach Verwaltungsreformen, einer "new public administration" stecken, regt aber zu einer differenzierten Bewertung der IBA Em scher Park und zum Weiterdenken an.
Beiträge wie dieser sind es, die den Sammelband "Raum für Zukunft" zu einem lesenswerten Buch für diejenigen machen, die einmal zügig durch die jüngere städtebauliche Entwicklung und Stadtentwicklungspolitik Nordrhein-Westfalens stapfen wollen. Nebenbei erfährt man tatsächlich - wenn auch manchmal anders als von einigen Autoren intendiert - einiges über die Innovationsfähigkeit von Stadtentwicklungspolitik und ihren Akteuren. Daß auch die im Wissenschaftsbetrieb übliche Wiederverwertung betrieben wird (so etwa von Thomas Sieverts), wird durch engagierte Aufsätze wie die von Franz Alt ("Umweltvergessenheit im deutschen Journalismus") oder Heiner Monheim ("Die Autofixierung der Verkehrspolitik") einigermaßen ausgeglichen. Die beiden letztgenannten zeigen auch, was die IBA eben nicht geschafft hat oder besser: weder schaffen konnte noch schaffen wollte. Es muß wohl einer weiteren Publikation, die dann nicht eine Festschrift für Karl Ganser sein kann, überlassen bleiben, die strukturellen Unzulänglichkeiten des Innovationsprogramms IBA systematisch aufzuarbeiten.
Autor: Markus Kurth