Klaus Ronneberger, Stefan Lanz u. Walter Jahn: Die Stadt als Beute. Bonn 1999. 240 S.
Die Großstädte sind Thema. Sie werden debattiert im Feuilleton wie im Wirtschaftsteil, unter dem Label der Kriminal- wie der Sozialpolitik, von Politikern und Journalisten und in den zuständigen wissenschaftlichen Disziplinen sowieso. Dabei kommen sie vor als Brutstätten des Bösen wie als familiengerechte Themenparks, als Ghettos der Ausgegrenzten wie als Dienstleistungsmetropolen. Ziel des Soziologen Klaus Ronneberger und der Stadtplaner Stefan Lanz und Walter Jahn von der Stadtforschungsgruppe 'spacelab' ist es, diese verschiedenen Aspekte in ihrem Zusammenhang kritisch zu thematisieren. Stilistisch und inhaltlich an der Grenze zum Populärwissenschaftlichen angesiedelt, handelt es sich um den Versuch, diese Themen gerade auch einem außerwissenschaftlichen Publikum zugänglich zu machen. Die Autoren machen also Ernst mit dem von vielen kritischen Wissenschaftlern propagierten Eingreifen in aktuelle Debatten. Anhand einer Vielzahl von aktuellen Beispielen (aus Berlin, Frankfurt/M., München, Leipzig, Hamburg, Bremen u. a.) gelingt es den Autoren, verschiedene Tendenzen der Stadtentwicklung und der Kriminalpolitik darzustellen und mit Hilfe zahlreicher Belege in Zusammenhang mit der aktuellen Entwicklung des globalen Kapitalismus zu stellen.Das Buch besteht aus vier Teilen: Im ersten Teil, "Ende der Ausbaustrecke" betitelt, wird die Konkurrenz im Städtesystem, der Abbau des Sozialstaates im Unternehmen Stadt und das Verhältnis von Kernstadt zum Umland thematisiert. Danach wird unter der Überschrift "Vom Produktionsstandort zur Erlebnislandschaft" die konsumgerechte Herrichtung der Innenstädte und die Rolle der Investoren dabei beleuchtet. Unter dem Titel "Law and Order in den Städten" geht es im dritten Teil um die Debatten um Innere Sicherheit, öffentliche Ordnung und Sauberkeit sowie um die Produktion von Sicherheits- und Moralpaniken, die die entsprechende Politik legitimieren. Im abschließenden Teil ("Auf dem Weg zur neofeudalen Stadt") wird schließlich die Politik in den Städten als urbaner Revanchismus behandelt sowie auf einige zu kurz greifende Kritiken an dieser Politik eingegangen. In einem dreiseitigen Schlussteil schließlich stellen sich die Autoren die Frage "Was also bleibt zu tun?", wobei es angesichts der zuvor geschilderten Entwicklungen kein Zufall ist, daß ihnen dazu nicht allzuviel einfällt.
Das Buch stellt zum einen eine wissenschaftliche Untersuchung und zum anderen eine politische Stellungnahme zur Entwicklung der Großstädte dar. So sehr es im zweiten Aspekt, v. a. auf Grund der Fülle des bearbeiteten Materials, überzeugen kann, so sehr scheinen mir doch zum ersten Aspekt einige kritische Anmerkungen notwendig.
Die Absicht, ein allgemeinverständliches Buch zu schreiben, geht eindeutig zu Lasten der Exaktheit. Außerdem hinterlässt es den Leser mit dem Eindruck, daß irgendwie alles immer schlimmer wird, ohne dass die Ursachen dieser Entwicklungen wirklich herausgearbeitet wären. Statt der Erklärung steht die Skandalisierung im Vordergrund, was sich auf die Sprache und auf den Umgang mit Theorien auswirkt. Zunächst zur Sprache: Die macht an vielen Stellen zwar deutlich, daß die Autoren mit der jeweils beschriebenen Entwicklung nicht einverstanden sind, was sie daran allerdings stört, wird allzu oft nicht erklärt. Beispiele wären die Formulierungen, mit denen etwa die "schöne neue Arbeitswelt der Münchner Industrie" (17) angeprangert oder das "Technologie- und Rüstungskombinat Messerschmidt-Bölkow-Blohm" (18) diffamiert werden sollen. Inwiefern das Arbeiten in der bayerischen Landeshauptstadt mit Huxleys distopischer Zukunftsvision oder MBB mit realsozialistischen Wirtschaftseinheiten etwas zu tun haben, bleibt unklar. Bedenklich wird die laxe Wortwahl, wenn Städte als handelnde Subjekte auftreten. Wenn die Rede davon ist, daß Frankfurt "einen Maßstabssprung in seiner Entwicklung vollzogen" (25) hat oder es München gar gelang, einen "Boom zu verdauen" (18), dann ist zumindest implizit abstrahiert von den konkreten Interessen, die da von den städtischen Eliten ins Werk gesetzt werden. Der Erfolg in der Konkurrenz der Städte erscheint so als Herzensanliegen 'der Stadt' mit allen ihren Bewohnern.
Auch beim Umgang mit Theorien geht das Bemühen um Allgemeinverständlichkeit mit zahlreichen Ungenauigkeiten einher. In dem Buch wimmelt es von Versatzstücken und Begrifflichkeiten aus verschiedenen beliebten sozialwissenschaftlichen Theoriegebäuden. Da geistern 'sozialer Raum' und 'Dispositive' durch die Seiten, es geht um Diskurse und Ideologien, es ist die Rede von der 'westlichen Industriegesellschaft' oder wahlweise auch von der 'Dienstleistungs-', der 'Erlebnis-', der 'postindustriellen' oder der 'panoptischen Gesellschaft' (wobei immer die bundesrepublikanische von 1999 gemeint ist), es wird der 'Pluralisierung der Lebensstile' ebenso das Wort geredet wie der 'symbolischen Ökonomie', dem 'touristischen Blick' oder dem 'fordistischen Klassenkompromiß', die Postmoderne darf nicht fehlen und im Schlußsatz wird gar das "Reich der Freiheit" (218) bemüht. All diese Konzepte werden weder eingeführt noch diskutiert. Insgesamt trägt dieses beinahe babylonische Durcheinander bestenfalls zur Verwirrung bei, im schlimmsten Fall werden so aussagelose Luftblasen produziert.
Ähnlich verhält es sich mit dem 'Raum', der am häufigsten in der Gestalt des 'sozialen Raums' vorkommt. Weil auch dieser Begriff nicht weiter eingeführt wird, geht seine Verwendung einher mit einigen Unklarheiten. Handelt es sich um den 'sozialen Raum' von Bourdieu (1994), also eine metaphorische Verwendung des Begriffes 'Raum', mit der soziale Ungleichheiten gemeint sind, die sich im physischen Raum zwar niederschlagen, mit ihm aber nicht identisch sind (Bourdieu 1991)? Oder ist ein 'sozialer Raum' gemeint, wie man ihn etwa bei Lefèbvre (1974) findet, d. h. ein physischer Raum, den sich Subjekte durch materielle Praxen aneignen? Für diese Variante spräche die Formulierung, daß durch die "medienwirksam geführten Debatten über Kriminalität, Verwahrlosung und Ghettobildung (...) der soziale Raum der Stadt (...) primär aus der Perspektive von Sicherheit und Ordnung thematisiert" wird (9). Hier scheint es sich um einen physisch-materiellen Raum zu handeln, der ideologisch mit den genannten Bedeutungen aufgeladen wird. In die Richtung von 'Produktion des Raums' à la Lefèbvre oder Harvey (z. B. 1989) geht auch die Feststellung, daß "Räume keine neutralen Arenen" (207) sind: "Sie existieren nicht per se, sondern werden durch konkurrierende Nutzungen und Symboliken immer wieder neu hergestellt" (ebd.). An anderer Stelle hingegen identifizieren die Autoren (unter Bezugnahme auf Bourdieu 1991) "ein übergeordnetes Ziel der gegenwärtigen Kontrollpolitiken (darin,) die Hierarchisierung und Fragmentierung des sozialen Raums territorial zu fixieren" (198). Hier ist der 'soziale Raum' also nicht materiell fixiert, das soll ja erst noch passieren. Ähnlich unklar bleiben Begriffe wie "Erlebnisraum" (72), "multifunktionaler Raumtyp" (93) oder "Entfaltungsund Möglichkeitsraum" (197). Natürlich kann man von den Autoren nicht eine ausführliche Diskussion diverser Raumbegriffe erwarten, und das gesteigerte Interesse eines Geographen daran mag auch einer gewissen déformation professionnelle entspringen. Trotzdem scheint mir bei dem derzeit beliebten exzessiven Rekurs auf den 'Raum' zumindest die Unterscheidung zwischen dem 'Raum' als etwas Physisch-Materiellem und als Metapher eine notwendige Voraussetzung, um ihn in für die Theoriebildung ebenso wie für politische Debatten fruchtbar zu machen (Belina 2000, Hard 1999, Smith/Katz 1992).
Damit nicht der Eindruck entsteht, es handle sich bei Die Stadt als Beute um eine große Ansammlung von Ungenauigkeiten, möchte ich noch einige Punkte anführen, die ich für wichtige Beiträge zur aktuellen Debatte halte. So betonen die Autoren im Abschnitt "This is not America" (202ff.), daß es nicht darum gehen kann, einfach 'amerikanische Verhältnisse' zu prognostizieren. Vielmehr komme es darauf an, das Verhältnis von globaler Ökonomie und Stadt- bzw. Kriminalpolitik in den Großstädten im Rahmen der auf nationaler Ebene eingerichteten Verhältnisse zu thematisieren. Wichtig scheint mir auch die Betonung, daß die Idealisierung des öffentlichen Raums, dessen fortschreitende Privatisierung häufig kritisiert wird, "mit einem völlig reduzierten Verständnis des öffentlichen Raumes operiert (...), der als neutrale Arena einer vorbehaltlosen Konfrontation mit dem Fremden erscheint" (206 f.). Zu Recht stellen sie fest, daß "eine positive Bezugnahme auf die Bürger-Stadt des 19. Jahrhunderts, deren extreme Klassengegensätze auch die Nutzung ihrer öffentlichen Räume strukturierten, (...) mehr als problematisch" (208) ist. In eine ähnliche Richtung geht ihre Warnung, wachsende Armut und das Anziehen der Daumenschrauben in der Kriminalpolitik als Anlaß zur Glorifizierung des "'goldenen Zeitalters' des Wohlfahrtsstaates" (216) zu nehmen, bei der gerne vergessen wird, daß "Frauen oder Migranten von Ansprüchen ausgeschlossen oder bei der Absicherung benachteiligt wurden" (217).
Insgesamt scheint mir Die Stadt als Beute ein mit gewissen Abstrichen geglückter Versuch, einen Überblick über verschiedene Tendenzen in den bundesdeutschen Großstädten in den Bereichen der Wirtschafts-, Sozial-, Stadtentwicklungs- und Kriminalpolitik zu geben. Die Bedeutung des Buches liegt m. E. vor allem in der Zusammenstellung der zahlreichen Einzelbeispiele und der Zitate beteiligter Akteure. In ihrer Menge und Eindeutigkeit sollten diese auch den Letzten davon überzeugen, dass Stadtforscher und politische Aktivisten, die mit den beschriebenen Entwicklungen nicht einverstanden sind, keinen verschwörungstheoretischen Hirngespinsten anhängen, sondern daß es diese Entwicklungen selbst sind, die allen Anlaß zur Kritik geben. Literatur
Belina, Bernd 2000: "Kriminalität" und "Raum". In: Kriminologisches Journal 2 (im Druck).
Bourdieu, Pierre 1994: Espace social et espace symbolyque. In: Ders.: Raisons practique. Paris. S. 13-35.
Bourdieu, Pierre 1991: Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum. In: Martin Wentz (Hg.): Stadt-Räume. Frankfurt/M. S. 25-34.
Hard, Gerhard 1999: Raumfragen. In: Peter Meusburger (Hg.): Handlungszentrierte Sozialgeographie. (= Erdkundliches Wissen, Bd. 130) Stuttgart. S. 133-162.
Harvey, David 1989: The Condition of Postmodernity. Oxford.
Lefèbvre, Henri 1974: La Production de L'Espace. Paris.
Smith, Neil, Cindy Katz 1992: Grounding Metaphor. In: Michael Keith, Steve Pile (Hg.): Place and the politics of identity. London und New York. S. 67-83.
Autor: Bernd Belina