Daniel Göler: Postsozialistische Segregationstendenzen: Sozial- und bevölkerungsgeographische Aspekte von Wanderungen in Mittelstädten der Neuen Länder. Untersucht an den Beispielen Halberstadt und Nordhausen. Bamberg 1999 (Bamberger Geographische Schriften 18). 155 S.
Die Arbeit widmet sich den raumrelevanten demographischen Veränderungen in den Jahren nach der Wiedervereinigung und beschreibt die dadurch bedingten raumstrukturellen Veränderungen. Im Mittelpunkt steht dabei der Aspekt der postsozialistischen Segregationstendenzen in den Mittelstädten der Neuen Länder.Die Dissertation ging aus einem interdisziplinären Forschungsprojekt an der Universität Bamberg hervor und sucht mit einem ausdrücklich empirisch geleiteten deskriptiven Ansatz Kenntnislücken über raumwirksame Prozesse und Tendenzen speziell für die räumliche Kategorie der Mittelstadt zu schließen. Trotz der nahezu unüberschaubaren Anzahl von Publikationen zu Entwicklungstendenzen in Folge der Transformationsprozesse in den Neuen Ländern vermisst der Autor vor allem eine gebührende Berücksichtigung der räumlichen Dimension: "Vielfach fällt auf, dass zwar im Titel auch von räumlichen Strukturen und Prozessen die Rede war, der Inhalt jedoch z. B. die aussagekräftigste Darstellungsform raumbezogener Sachverhalte - nämlich die Karte - vermissen lässt." (S. 4) Die umfangreiche Literatur zum Themenkomplex Wohnen sei darüber hinaus in erster Linie auf die Agglomerationsräume gerichtet.
Die Studie untersucht nicht nur das Beispiel der sachsen-anhaltinischen Stadt Halberstadt, sondern bezieht vergleichend - wenn auch weniger detailliert - das thüringische Nordhausen mit ein.
In einem sehr knapp gehaltenen theoretischen Teil grenzt der Autor sich zunächst von zwei neueren Ansätzen der geographischen Stadtforschung - dem Lebensstil- und dem Lebenszyklusansatz - in bezug auf die Zielsetzung der Untersuchung und die Situation in den Neuen Bundesländern ab. Als Konsequenz werden der Studie wesentliche methodische Eckpunkte Elemente der klassischen Sozialraumanalyse zugrundegelegt: eine Typisierung der Haushalte (nach Alter und Lebensform) sowie eine innerstädtische Gebietsgliederung (nach wohnungsbezogenen Kriterien und wohnumfeldbezogenen Merkmalen).
Als Datengrundlage dienen zum einen die örtlichen Melderegister - im Fallbeispiel Halberstadt für die Jahre 1992, 1994,1996 und für Nordhausen aus dem Jahr 1996 -, zum anderen eine ergänzende Bewohner- und Haushaltsbefragung zur individuellen Wohnsituation, deren Bewertung und zu Wohnstandortpräferenzen bzw. Umzugsgedanken. In die Untersuchung werden dabei alle Wanderungstypen miteinbezogen; so berücksichtigt die Studie sowohl interregionale und intraregionale Migrationen als auch innerstädtische Umzüge. Die Vielzahl der thematischen Karten - mit dem Schwerpunkt auf die Darstellung von Wanderungssalden - dokumentiert den Umfang der empirischen Erhebungen.
Aus den gewonnenen Daten entwickelt der Autor zusammenfassend folgende Schlussfolgerungen:
Die Segregation in den Mittelstädten ist weniger durch Verdrängungsprozesse verursacht als vielmehr durch "Filtereffekte durch selektive Wohnstandortwahl von mobilen Haushalten" (S. 89).
In der Migrationsmotivation dominieren Wohnraumaspekte sowie auf das Wohnumfeld bezogenen Motivationen.
Die funktionalen Merkmale von Mittelstädten bewirken eine verglichen mit Großstädten weniger intensive Citybildung: Zu- und Abwanderungen in den Innenbereichen der untersuchten Städte halten sich in etwa die Waage. Die wesentlichen Aspekte der Wanderungsprozesse fasst der Autor schließlich in einem "deskriptiven Modell der Mobilitätstransformation in Mittelstädten der Neuen Länder" zusammen: die "prätransformative Phase" ist durch eine immobile Gesellschaft und einen allgemeinen funktionalen Bedeutungsverlust mittelgroßer Städte gekennzeichnet. Mit der "transformativen Phase" folgt ein markanter Mobilitätssprung, der sich zunächst überregional vollzieht, um dann in der "nachholender Transformation" zu Segregationen in den Innenstadtbereichen und zu einer der Suburbanisierung vergleichbaren Randwanderung zu führen. Besondere Intensität haben die Entwicklungen in den Großsiedlungen. Hier kommt es durch Abwertungstendenzen zu erheblichen Segregationsprozessen und Einwohnerverlusten.
Insgesamt gesehen liegt der Verdienst der Studie sicherlich in dem umfangreich und aufwendig erhobenen Datenmaterial, das die jüngsten Prozesse der Wanderungsbewegungen in den ausgewählten Städte eingehend dokumentiert. Eine Typisierung und modellhafte Darstellung der Segregationsprozesse muss jedoch - wie auch der Autor in seinem Fazit feststellt - unvollständig bleiben: "Einerseits zeigt sich, daß Teilgebiete gleichen Typs beispielsweise nicht in allen Fällen eine gleichartige Einwohnerentwicklung und ähnliche (bevölkerungs-)strukturelle Veränderungen aufweisen, andererseits tendieren nicht alle Haushaltstypen zu eindeutig interpretierbaren Zielrichtungen in ihrem Wanderungsverhalten." (90)
Autorin: Petra Dassau