Johannes Müller: Kulturlandschaft China. Anthropogene Gestaltung der Landschaft durch Landnutzung und Siedlung. Gotha 1998. 343 S.

Titel und Untertitel dieses voluminösen, sorgfältig recherchierten und anspruchsvoll illustrierten Werkes sind missverständlich. Dies gilt auch für die Zielsetzung, "den gestaltenden Einfluß des Menschen auf die Landschaft zu beschreiben und in Photographien darzustellen" (S. 18). Tatsächlich geht es um die Beschreibung speziell der Agrarlandschaften Chinas als Ergebnis des gestaltenden Einflusses des Menschen auf die Naturlandschaft. Die Kulturlandschaft "Stadt" bleibt dagegen völlig ausgeklammert.
Im Mittelpunkt steht ein zentrales Thema der Landschaftsökologie: das Beziehungsgefüge Mensch-Umwelt, die Frage nach den landschaftlichen Veränderungen, die der Mensch in seinem Bemühen um eine dauerhafte Existenzgrundlage verursacht hat. Fokussiert wird auf die Ackerbaulandschaften unter Einschluss der ländlichen Siedlungen und ihrer Architektur. Die Landwirtschaft als solche und die Kausalanalyse ihrer natürlichen Bedingungen werden bewusst nicht behandelt.
Das Buch von JOHANNES MÜLLER verkörpert traditionelle "Landschaftsgeographie": beschreibend, nicht oder kaum problemorientiert. Diese vom Autor mit Absicht gewählte Perspektive sollte man im Auge behalten, will man dem mit viel Liebe zum Detail geprägten Werk, Ergebnis regelmäßiger China-Reisen seit Anfang der 80er Jahre, gerecht werden.
Das erste Drittel des Buches bildet den allgemeinen Teil und führt in das Thema ein. Dargestellt werden die Charakterzüge des Kulturlandschaftsbildes Chinas, der gestaltende Einfluss des Menschen auf die Landschaft, die großräumigen Landnutzungszonen Chinas sowie insbesondere zwei Themenkomplexe: die agrarökologischen Faktoren und ihre Kontrolle durch den Menschen (Erosionskontrolle und Relief, Bewässerungskontrolle und Reisanbausysteme, Nährstoffkontrolle und Bodenfruchtbarkeit, Viehhaltung, Groß- und Kleinviehbestand, Kontrolle des Agrar-Ökosystems und Arbeitsintensität) sowie die gesellschaftlichen Faktoren und ihr Einfluss auf die Kulturlandschaft (Besiedlungs-, Landnutzungs- und Architekturgeschichte, Sozialstruktur und Rechtsnormen, autochthones Umweltverständnis, baulich-physiognomische Struktur der chinesischen Dörfer, Bauprinzipien der ländlichen Architektur Chinas). Die Fakten werden u.a. in zehn regional sehr differenzierten und anschaulichen Farbkarten (unter Mitverwendung originär-chinesischer Quellen) didaktisch hervorragend präsentiert. Der inhaltlich überzeugende Abschnitt bereichert durch zahlreiche landschaftsräumliche Vergleiche Chinas mit Europa. Die Ausführungen zu China - mitunter unnötig redundant - sind allerdings weitgehend bekannt und bieten kaum mehr als eine Kompilation bestehender Literatur, mit Ausnahme der im Schrifttum stiefmütterlich behandelten ländlichen Architektur.
Die Stärke des Bandes liegt in der Präsentation von 26 Fallbeispielen, die etwa Zweidrittel des Gesamtvolumens ausmachen und die Grundlage für den Versuch einer Regionalisierung der Kulturlandschaftstypen Chinas bilden - auf der Grundlage der obigen Themenkomplexe. Diesem Ziel dienen 420 äußerst eindrucksvolle Farbphotos, die in thematischer Anlehnung an den allgemeinen Teil souverän kommentiert werden - auf der Basis eigener Erhebungen, ermöglicht durch teilweise mehrtägige Wanderungen auf Fußpfaden. Beim Anblick der bisweilen atemberaubenden Aufnahmen gerät der westliche Leser ins Staunen und fragt sich, ob diese die chinesische Welt am Ende des 20. Jh. verkörpern, ob die Auswahl der oft entlegenen Fallbeispiele nicht allzu romantisierende, nostalgische Vorstellungen vermittelt. Der Autor selbst versucht dieses Problem mit dem Hinweis zu entschärfen, dass es ihm letztlich um die Dokumentation der unglaublichen Vielfalt von Lebensäußerungen im Mensch-Umwelt-Beziehungsgefüge gehe (S. 83). Auch unter diesem Vorbehalt sehe ich ein Defizit dieses Buches im vollständigen Ausklammern von Agrarlandschaften innerhalb oder im Umfeld von Städten und Stadtregionen, also gerade solcher Landschaftsbilder, die zwar ästhetisch wenig(er) befriedigend sein mögen, doch volkswirtschaftlich und für die Vielfalt der Lebensäußerungen - nicht zuletzt auch unter landschaftsphysiognomischen Aspekten - von großer Bedeutung sind.
Das Buch schließt mit einer Regionalisierung der Kulturlandschaften Chinas unter besonderer Betonung des Wertes ihrer Vielfalt, gebündelt in zwei Farbkarten zu den Agrar-Ökosystemen und zur traditionellen Architektur Chinas.
Im Zuge der Wirtschaftsreformen hat in der VR China seit 1980 ein landschaftsökologisch gravierender Wandel stattgefunden, dergestalt, dass das Werk von JOHANNES MÜLLER schon jetzt als eine bedeutende Dokumentation schwindender Kulturlandschaftsbilder angesehen werden kann: Vermächtnis für lokale und regionale Identität, aber auch -
hoffentlich - Potential für einen behutsamen, nachhaltigen Tourismus, interessiert an der Wahrung der Vielfalt der
chinesischen Kulturlandschaft.    
Autor: Winfried Flüchter

Quelle: Erdkunde, 55. Jahrgang, 2001, Heft 3, S. 304-305