Wilfried Heller: Innenansichten aus dem postsozialistischen Rumänien. Sozioökonomische Transformation, Migration und Entwicklungsperspektiven im ländlichen Raum. Berlin. 227 S.

Wissenschaftlich fundierte geographische Arbeiten über Rumänien haben Seltenheitswert. In den Massenmedien, zumindest im deutschsprachigen Raum, wird in der aktuellen Berichterstattung Rumänien oft ohne seine vielschichtigen regionalen Differenzierungen behandelt, dies im Zusammenhang mit unreflektierten negativen Wertungen, die vielfach auf flüchtigen persönlichen Eindrücken oder überhaupt nur auf der unreflektierten Weitergabe von unbewiesenen Behauptungen bestehen.
Es ist daher zu begrüßen, dass ein profunder Kenner der Geographie Rumäniens, Wilfried Heller, ein neues Buch herausgebracht hat. Der Autor war einer der ersten, der (in politisch noch schwierigen Zeiten) eine flächendeckende Analyse der regionalen Disparitäten in Rumänien erarbeitet hat (Heller 1979).
Er bleibt auch in dieser Publikation seiner Tradition treu, räumliche Gesamtzusammenhänge mit ausgewählten Einzelanalysen zu kombinieren. In den einleitenden Kapiteln des Buches werden daher Informationen über die aktuelle sozioökonomische Differenzierung des Landes gegeben (unter besonderer Berücksichtigung der Demographie und insbesondere der Migration).
Der Hauptteil der Arbeit besteht sodann in der Präsentation der Ergebnisse der Expertenbefragungen und Befragungen von privaten Haushalten. Die für die Detailuntersuchung ausgewählten Dörfer sind über ganz Rumänien verstreut. Somit wird ein Nachteil einiger anderer Arbeiten vermieden, die sich meist auf Teile von Siebenbürgen oder des Banats beziehen. Die Expertengespräche wurden auf mehreren Ebenen durchgeführt: auf der nationalen Ebene (Interviews in Bukarest), auf der regionalen Ebene (Interviews in den Hauptstädten von Verwaltungskreisen) und auf der lokalen Ebene (in den ausgewählten Gemeinden).
Die Befragung bezieht sich vor allem auf folgende Bereiche: politische und rechtliche Verhältnisse, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungssituation, Lebensstandard und Einkommensverhältnisse, Landwirtschaft, übrige Wirtschaft und Wirtschaft allgemein, Infrastruktur und Dienstleistungsbetriebe, Migration, demographische und soziale Verhältnisse, Wohnungsbau und Raumordnung, Umweltprobleme.
Ein großer Verdienst der Publikation ist es, dass die genannten Problembereiche jeweils von Experten auf den drei genannten verschiedenen Ebenen beurteilt werden. Hierbei kamen größere Unterschiede zutage: So wird beispielsweise die Wanderung auf der nationalen Ebene negativ bewertet, auf der regionalen Ebene neutral bis leicht negativ, und auf der lokalen Ebene erfolgt eine ambivalente Einschätzung mit Nennung einiger Vorteile.
Wichtig ist, dass die Ergebnisse der Expertenbefragungen auch durch eine Befragung von Privathaushalten (ca. 1000 Personen, von denen 822 Haushaltsvorstände waren) ergänzt wurde (in Zusammenarbeit mit Studierenden der Soziologie der Universität Cluj-Napoca) (wiederum in den ausgewählten Gemeinden). In diesen Befragungen werden einige Spezifika der Entwicklung in Rumänien, die in der Literatur recht wenig belegt sind, sehr gut herausgearbeitet. So ist z. B. auf die größer werdende Gruppe von Städtern hinzuweisen, die in das Dorf pendeln, um dort das ihnen übereignete Land zu bearbeiten. Aufgrund der Ergebnisse der Haushaltsbefragung geht der Autor auch der Frage nach den "Verlierern des Umbruches" nach. Seiner Meinung nach gehören hiezu zweifellos zahlreiche Frauen und ehemalige Industriearbeiter, auch wenn sie von der reprivatisierten Landwirtschaft aufgefangen wurden. Der abschließende Satz zur Frage, wie die Veränderungen des gesellschaftlichen Umbruchs wahrgenommen werden, kann auch aufgrund der Forschungen des Rezensenten unterstrichen werden: "Obwohl zahlreiche Menschen durch die Probleme, die der gesellschaftliche Umbruch mit sich gebracht hat, verunsichert und resigniert sind, kann trotzdem nicht von einer Interesselosigkeit oder gar Lethargie der Bevölkerung hinsichtlich gemeinschaftlicher Belange gesprochen werden, was mit den geäußerten Wünschen und Forderungen der Befragten im Hinblick auf Dorfentwicklungsmaßnahmen begründet werden kann." (85)
Der Hauptteil des Buches und die Feldarbeit sind im Jahre 1996 entstanden. In der Zwischenzeit sind durch die Aufnahme Rumäniens als offizieller Beitrittsbewerber der EU einige Veränderungen vor allem auf institutioneller Ebene eingetreten. Für die räumliche Entwicklung interessant ist die Einführung neuer EU-konformer Gebietsgliederungen, die Gründung von Entwicklungsagenturen (wenn auch teilweise nur auf dem Papier) und überhaupt das Einführen eines komplett neuen Raumordnungsdenkens. In diesem Zusammenhang entstehen auch zahlreiche neue offizielle und offiziöse Untersuchungen über die Regionalentwicklung Rumäniens. Es wäre nun sehr interessant, die Gedankengänge, die der vorliegenden Studie zugrunde liegen, weiterzuführen und im Hinblick auf den Einfluss der EU-Konzeptionen zu ergänzen. Der Verdacht liegt nahe, dass viele der ins Gespräch gekommenen EU-Konzeptionen in der breiten Bevölkerung noch weitgehend unbekannt sind und hier eine große Aufgabe im Bereich der Information besteht.
Insgesamt ist zu betonen, dass das vorliegende Buch unter anderem durch die räumliche Ausgewogenheit und die Originalität des Materials (Befragungen) eine wichtige Grundlage für alle weiteren regionalen Untersuchungen Rumäniens darstellt. Es sollte in der Literaturliste jeder künftigen geographischen Untersuchung über Rumänien nicht fehlen. Auch dem interessierten Laien sei diese Lektüre empfohlen.
Literatur
Heller, Wilfried 1979: Regionale Disparitäten in Griechenland und Rumänien. Göttingen (= Göttinger Geographische Abhandlungen 74).
Autor: Michael Sauberer

Quelle: geographische revue, 3. Jahrgang, 2001, Heft 1, S. 76-78