Uta Hohn: Stadtplanung in Japan: Geschichte - Recht - Praxis - Theorie. Dortmund 2000. 536 S. (zugl.: Duisburg, Univ., Habil.-Schr., 1998 u. d. T.: Hohn, Uta: Stadtplanung, Stadterneuerung und Stadtumbau in Japan)
Mit der vorliegenden Publikation wird eine außergewöhnliche, grundlegende Arbeit über die Stadtplanung, Stadterneuerung und den Stadtumbau in Japan einem breiten Leserkreis zugänglich gemacht. Im Zusammenhang mit der gegenwärtig national und international geführten Diskussion über die Zukunft der Städte im neuen Jahrtausend und die damit verbundene Legitimation von Stadtplanung und ihrer Steuerungsfunktion besitzt das Erscheinen dieser Arbeit besondere Aktualität.
Das gilt umsomehr angesichts der Wissensdefizite über den Entwicklungsstand von Stadtplanung in Japan, einem hochentwickelten Land mit außerordentlich hohem Urbanisierungsund Metropolisierungsgrad. Einen potentiellen Gewinn deutscher Stadtplanung aus den japanischen Planungserfahrungen sieht die Autorin vor allem in der stadtplanerischen Diskussion um Urbanität, Dichte, Funktionsmischung und ÖPNV-Konzepte sowie die Leitbilder der kompakten und der Netz-Stadt. Das gilt auch für Erfahrungswerte auf dem Gebiet der Partizipation der Bürger an Planungsprozessen auf der Mikroebene und für Inspirationen durch städtebauliche Projekte (S. 21).
Der Autorin ist auf der Grundlage einer über sechsjährigen intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit japanischer Stadtplanung und Stadtentwicklung, profunder Sprachkenntnis und eines langen Forschungsaufenthalts in Japan eine hervorragend recherchierte und tiefgründige Analyse des dortigen Planungssystems und der Planungspraxis gelungen. Sie wertet dabei eine Fülle von japanischsprachigen Gutachten, Projektunterlagen und Fachliteratur aus. Darüber hinaus tragen zahlreiche Gespräche und Diskussionen mit Experten in Ministerien, Planungsbehörden, Baugesellschaften und mit den Bürgern vor Ort zum Erfolg des Forschungsvorhabens bei. Das methodische Geschick der Autorin, theoriegeleitet die Entwicklung von Stadtplanung, Planungsrecht und Planungspraxis stets mit dem Wechsel von Aspekten und Maßstabsebenen des stadträumlichen Wandels zu verbinden, haben zu dem hohen theoretischen und empirischen Gehalt der Publikation geführt.
Die Publikation gliedert sich in die drei Hauptteile Planungsgeschichte, Planungsrecht und Planungspraxis. Mit dem Überblick über die Entwicklung der Stadtplanung seit der Meiji-Zeit (ab 1868) bis zu den jüngsten Entwicklungen seit der Reform des Stadtplanungs- und Baunormengesetzes 1992 liefert Hohn ein gründliches, in dieser Komplexität bisher unbekanntes Fundament zum Verständnis der aktuellen Stadtplanungspraxis (S. 41-110). Daran schließt sich die Analyse des japanischen Stadtplanungsrechts an, die die für das Aufgabenfeld Stadterneuerung/Stadtumbau wichtigen Regelungen und Instrumente (Planungsgesetze einschl. Förderprogramme) in ihrer historischen Genese, ihrer Relevanz für die Planungspraxis und ihrem planungstheoretischen Gehalt diskutiert (S. 111-272). Schließlich werden im planungspraktischen Teilabschnitt 16 Fallbeispiele von Stadterneuerung und Stadtumbau, geordnet nach sechs Haupttypen, vorgestellt (S. 273-492). Dabei werden die Kriterien stadträumliche Lage, Planungsziele, Planungsträger, Planungsverfahren und Planungsinstrumente bei der Typisierung berücksichtigt und jeweils auch in ihrer Wirksamkeit beschrieben.
Aufgrund der Bedeutung des Katastrophenschutzes in den erdbebengefährdeten Städten Japans erörtert die Autorin die Entwicklung der Katastrophenschutzplanung, bezogen auf Stadterneuerungs- und Stadtumbauprojekte gesondert (S. 493-514).
Eine bedeutende Rolle spielen in der Publikation eine Beschreibung und Bewertung der Bürgerbeteiligung und ihrer spezifischen Formen (S. 100-103, 515-523).
Folgende inhaltliche Elemente des Buches scheinen dem Rezensenten in Anlehnung an die Ausführungen der Autorin besonders hervorhebenswert:
Im Einführungskapitel (S. 17-29) wirft Hohn eine Reihe von theorierelevanten Fragestellungen zu Erklärungsmustern der japanischen Stadtentwicklung, zu Planungsparadigmen und zum planungstheoretischen Diskurs zwischen Moderne und Postmoderne auf. Sie verweist dabei insbesondere auf die Rolle historischer, soziokultureller und rechtlicher Determinanten, die sich im Zusammenhang mit der Analyse japanischer Stadtentwicklung aufdrängen.
Beim Überblick über die japanische Stadtplanungsgeschichte macht sie eingangs darauf aufmerksam, dass mit Beginn der Meiji-Periode (1868) der Umbau der feudalabsolutistischen Burgstädte im Vordergrund stand. Hierbei war die Übernahme europäischer Städtebauleitbilder zu verzeichnen. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges diente die Stadtplanung in Japan vor allem der Machtdemonstration des Kaiserreiches und wurde für militärische und wirtschaftliche Interessen instrumentalisiert. Soziale Aspekte blieben weithin ausgeklammert (S. 24). Im Stadtplanungs- und Baugesetz von 1919 lägen die Wurzeln eines Zentralismus, der bis heute das Stadtplanungsgeschehen in Japan prägt, auch wenn in jüngerer Zeit mit den Gesetzesreformen von 1968 und 1992 eine Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen und eine Stärkung der kommunalen Ebene sichtbar werde (S. 51). Dennoch ist im Unterschied zur deutschen Planungspraxis in Japan die kommunale Planungshoheit bis in die Gegenwart nur in Ansätzen erkennbar.
Nach einer Periode des Wiederaufbaus (1945-1955) stand die Stadtplanung ganz im Zeichen von Ökonomisierung und Modernisierung unter dem Primat hohen Wirtschaftswachstums (1956-1967), ohne dass ein angemessenes Planungsrecht mit hoher Regelungsdichte bestand. Die Folge war die ungeordnete, zersiedelnde Expansion der Städte samt Umweltzerstörungen. Im Anschluß brachte die Periode vom Erlaß des Zweiten Stadtplanungsgesetzes im Jahre 1968 bis 1992 mit den neuen gesetzlichen Ordnungen von 1968 bis 1970 mehr demokratisches Gedankengut und Werte wie Kultur, Tradition, Umweltschutz und Lebensqualität sowie schärfere Kontrollmechanismen in die Stadtplanung ein. Dies erfolgte unter dem Druck der sich verschlechternden Lebens- und Umweltbedingungen in den Städten und aufkommender Bürgerbewegungen. In der Stadtplanungshierarchie erhielt nun die präfekturale (bezirklich- regionale) Planungsebene primäre Entscheidungskompetenzen. Vorher lagen diese erstrangig zentral beim Bauministerium in Tokyo.
Die 80-er Jahre waren in Japan eine Zeit einer ausgeprägten Deregulierungsphase und "Bubble-Economy" ("Seifenblasen- Wirtschaft"), in der dem Privatsektor durch Milderung der Planungs- und Bauvorschriften besondere Anreize für private Bauprojekte angeboten wurden. Als Gegenströmung zu der von Teilen des Großkapitals und der Bauindustrie initiierten und dominierten Stadtentwicklung entfaltete sich gerade in dieser Zeit auch die Partizipation der Bürger am Planungsgeschehen auf Mikroebene in städtebaulichen Problemgebieten (S. 89). Der Einbruch der "Bubble-Economy" (1990-92) fand dann seine Widerspiegelung in den Stadtplanungs- und Baunormengesetzen von 1992 und 2000 mit einer weiteren Stärkung der präfekturalen und kommunalen Ebene. Dennoch wird die kommunale Ebene von der präfekturalen dominiert.
Unter den rechtlichen Grundlagen der Stadterneuerung und des -neubaus wird in der Publikation der Flächennutzungsplanung als dem Fundament japanischer Stadtplanung breiter Raum gegeben (S. 111- 172). Verschiedene Plantypen werden in ihrer Umsetzung auf räumlicher Ebene diskutiert. Ausführlich werden auch Überlagerungen der Plantypen durch andere Rechtskonstruktionen (Sondernutzungsdistrikte u. a.) kommentiert und der Versuch einer Bewertung unternommen. Mit der Distriktplanung (Quasi-Bebauungsplanung) wurde erst 1980 der Stadtplanung ein Instrument zur verschärften städtebaulichen Kontrolle auf der Mikroebene zur Verfügung gestellt. Es folgen in der Publikation ausführliche Kommentierungen zum Stadterneuerungsgesetz von 1969 und dem besonders wichtigen Bodenumlegungsgesetz (S. 221-240). Die Fülle der in der Arbeit untersuchten rechtlichen Grundlagen wird schließlich mit der Vorstellung von Gesetzen und Programmen zur Wohn- und Wohnumweltverbesserung sowie zur Schaffung neuer Wohngebiete abgerundet (S. 241-271). Die Wirksamkeit der Rechtsordnungen wird jeweils an Beispielprojekten behandelt.
Die planerische Praxis der Stadterneuerung in Japan wird lebendig bei den äußerst vielschichtig dargestellten Fallbeispielen, die sich nicht nur auf die Tokioter Region, sondern auch auf die hochurbanisierten Räume von Osaka-Kobe, Nagoya und das Regionszentrum Sendai in Nordjapan beziehen. Die Darstellung dieser Fallbeispiele (S. 273-492) erschließt dem an Japan interessierten Leser über die Planungsproblematik hinaus eine Fülle von geographischen Informationen und Einsichten zur jüngeren Entwicklung der japanischen Stadträume, die das Buch für einen großen Interessentenkreis so wertvoll machen. Dazu trägt auch die gediegene Ausstattung der Publikation (allein 343 mehrfarbige Abbildungen) wesentlich bei. In einem Glossar werden zusätzlich japanische Fachbegriffe erläutert (S. 586-611).
Das zum Abschluß des Buches vorgenommene Resümee macht noch einmal auf Stärken und Schwächen der japanischen Stadtplanung und den dringenden weiteren Reformbedarf aufmerksam. Nicht zuletzt sollte die Erfahrung, dass die äußerst freizügige, mit niedriger Regelungsdichte ausgestattete Planung der 50-/60-er Jahre in ihren Auswirkungen noch heute die Stadterneuerungsplanung in Japan vor extreme Probleme stellt, auch Signalwirkung für die Diskussion in Deutschland besitzen.
Die Publikation besitzt den Charakter eines Handbuches zur japanischen Stadtplanung und ist schon ob der oft vorgenommenen Vergleiche zur deutschen Stadtplanungstheorie und -praxis ein höchst anregendes Werk. Sie ist breitgestreuten Fachkreisen, Stadtplanern, Geographen, Architekten, Regionalwissenschaftlern und nicht nur diesen, zur Information und Auswertung zu empfehlen.
Autor: Hans Viehrig