Sigrun Kabisch und Sabine Linke: Revitalisierung von Gemeinden in der Bergbaufolgelandschaft. Opladen 2000 (Forschung Soziologie, Bd.97). 298 S.
Unter dem Stichwort "Revitalisierung" findet man in der wissenschaftlichen Literatur heute in der Regel Abhandlungen zu Entwicklungsproblemen innerhalb von Großstadtquartieren oder Debatten über Niedergang und Zukunftschancen von Zentren altindustrialisierter Regionen. Die Sanierung der ehemaligen Braunkohlentagebaugebiete überlappt sich zwar mit der Entwicklungsproblematik altindustrialisierter Gebiete, das wissenschaftliche Interesse ist hier jedoch in starkem Maße auf ökologische, technologische, landschaftsgestalterische, Landnutzungs- und planerische Aspekte ausgerichtet. Die soziale Dimension, die in der Revitalisierung der Tagebaugemeinden in spezifischer Weise ihre Wirkung entfaltet, blieb weitgehend ausgeblendet. Diese offensichtliche Forschungslücke war für die Autorinnen Anlass, mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ein regionalsoziologisches Forschungsprojekt zu starten, dessen Ergebnisse im vorliegenden Buch öffentlich gemacht werden.Im Forschungsansatz präzisieren die Verfasserinnen die andersartigen Entwicklungsbedingungen, die in den Tagebaurandgemeinden Ostdeutschlands im Vergleich zu denen Westdeutschlands gegeben waren, die letztlich auch die Entwicklung der Sanierungsprogramme für die ehemaligen Braunkohlentagebaugebiete begründeten. Für ihre Untersuchung gehen die Autorinnen vom Konzept der eigenständigen oder endogenen Regionalentwicklung als Grundorientierung für die ehemaligen Bergbauregionen aus und leiten daraus die Fragestellung nach den sozialen Potenzialen in den Orten ab, die sie als wesentliche Motoren für die Mobilisierung von regionalen Eigenkräften identifizieren. Es werden vier soziale Potenziale beschrieben, die für die Revitalisierung bedeutungsvoll sind. In einem weiteren Schritt wird versucht, diese zu operationalisieren. Die Systematik, die sechs Bereiche (von siedlungsstrukturellen Bedingungen bis zu kommunal-administrativen Bedingungen) unterscheidet, spiegelt zugleich die Komponenten der Untersuchungsmethodik. So werden wichtige Merkmale der Ortscharakteristik raumanalytisch erfasst und über eine Bewohnerbefragung die Wahrnehmung und Bewertung vorhandener Strukturen und Prozesse sowie konkrete Handlungsmuster ermittelt und analysiert. In der Verknüpfung von objektiver und subjektiver Perspektive im Hinblick auf den Revitalisierungsprozess wollen die Autorinnen Aufschluss darüber geben, in welchem Maße soziale Potenziale diesen Prozess befördern können. Wenn auch die eigentliche Untersuchung nicht vollständig dieser Systematik folgt, so wird doch das Prinzip des komplexen Herangehens bei der Beurteilung des Revitalisierungsprozesses durchgehalten. Die Verfasserinnen gewinnen aus der Analyse der sozialstrukturellen Merkmale der Bevölkerung in Verbindung mit der siedlungsstrukturellen und wirtschaftlichen Charakteristik drei Ortstypen, auf die sie dann die Wahrnehmungen und Bewertungen der Bewohner zur Wohnzufriedenheit, zum sozialen Leben und zur Lebensqualität im Zusammenhang mit Tagebau und Sanierung abbilden. Bei den in Übersichten nach den einzelnen Ortstypen zusammengefassten Ergebnissen zeigt sich eine große Konformität. Dieses enge Wechselverhältnis zwischen der Entwicklung materieller Strukturen und subjektiven Bewertungen und Handlungsmustern wird auch bei der Behandlung der einzelnen Fallbeispiele (drei Ortschaften werden als Typrepräsentanten detailliert vorgestellt) nachgewiesen.
Sicher könnte man einzelne zusammenfassende Einschätzungen und Wertungen stärker hinterfragen, z. B. wie ist die Wohnzufriedenheit für die einzelnen Ortstypen bestimmt worden, da diese sich nachweislich aus mehreren Merkmalen zusammensetzt. Hier erweist es sich für den Leser als Nachteil, dass der sicherlich sehr umfangreiche Fragebogen nicht in einen Anhang aufgenommen wurde. Andererseits kann den Verfasserinnen ein seriöser Umgang in Bezug auf die Befragungsanalytik bescheinigt werden. An einigen Stellen ist der Textinhalt Opfer der modernen Schreibtechnik geworden (Textlücke zwischen S. 22/23, Typvertauschung zwischen Espenhain und Strömthal auf S. 133). Auch hätte der Geograph an einigen Stellen noch Diskussionsbedarf, z. B. beim Potenzialbegriff oder bei der inhaltlichen Abgrenzung von Siedlung einerseits und Gemeinde andererseits.
Insgesamt stellen die Autorinnen mit ihren ausgewählten Beispielen (14 Gemeinden des ehemaligen Tagebaus Espenhain) nicht nur in sehr anschaulicher Weise die differenzierte Bewältigung der bergbaulichen Vergangenheit in Gemeinden des mitteldeutschen Braunkohlenreviers dar, sie formulieren auch verallgemeinernd Schlussfolgerungen mit Handlungsorientierungen für den Revitalisierungsprozess, die für lokale und regionale Akteure auch anderer Problemregionen wertvoll sein können.
Autorin: Gabriele Saupe