Justin Akers Chacón u. Mike Davis: Crossing the Border. Migration und Klassenkampf in der US-amerikanischen Geschichte. Berlin 2007. 349 S.

Die Geschichte der »weißen Gewalt« (9), mit der die kalifornischen Landarbeiter und ihre politischen Bewegungen seit der Gründung des Bundesstaates immer wieder konfrontiert waren, skizziert Davis im ersten Teil dieses Sammelbandes zur politischen Ökonomie der Migration in den USA. Arbeitsmigranten aus China, Japan, den Philippinen, aus dem Mittleren Westen oder aus Mexiko wurden genauso wie die systemoppositionellen ›Wobblies‹ (Mitglieder der »Industrial Workers of the World«) oder die kommunistischen Gewerkschafter der 1930er Jahre von rechten Bürgerwehren regelmäßig für vogelfrei erklärt und brutal bekämpft. Die häufig sadistische Gewalt selbsternannter Ordnungshüter nutzte nicht nur der rassistischen Binnenintegration der weißen Gesellschaft. Sie dient bis heute auch dazu, die ökonomischen Emanzipationsversuche weitgehend rechtloser Arbeiter zu sabotieren.

Die Geschichte Kaliforniens erscheint »wie ein gewaltiges Fließband, das eine Einwanderergruppe nach der anderen in denselben Hexenkessel aus Ausbeutung und Vorurteilen transportiert« (42). Zur Zeit der Großen Depression sei die kalifornische Landwirtschaft durch das informelle Bündnis aus Agrarunternehmen und bewaffneten Banden sogar in einen regelrechten »Farmfaschismus« (64) verwandelt worden. Diese Herrschaftsordnung konnte u.a. verhindern, dass die arbeitsrechtlichen Reformen des New Deal in die Branche Einzug hielten. Das vollständig von Unternehmerinteressen dominierte Gastarbeiterprogramm ›Bracero‹ verstaatlichte zwischen 1942 und 1964 die private Gewalt. Sobald die Landarbeiter aus Mexiko, die ausschließlich für die Erntesaison importiert worden waren, auch nur den Versuch von Koalitionsbildung unternahmen, wurden sie vom US-Grenzschutz abgeschoben. Als sich in den 1960er Jahren eine Landarbeiterbewegung gegen diese Zustände formierte, spielte die rechte Transportarbeitergewerkschaft IBT (International Brotherhood of Teamsters) bei ihrer Bekämpfung eine wichtige Rolle. Um die von Cesar Chavez forcierte Gründung einer autonomen Arbeiterorganisation zu verhindern, mussten die mexikanischen Erntehelfer bei Arbeitsantritt auch den Beitritt zur IBT erklären. Innerhalb des Teamster-Apparats hatten sie allerdings keinerlei Mitsprache und wurden gezwungen, die schlechten Tarifabschlüsse hinzunehmen, damit die weißen Mitglieder in den Genuss von Privilegien kamen. Setzten sich die Chicanos gegen diese Korruption zur Wehr, mussten sie damit rechnen, dass rechtsgerichtete Lastwagenfahrer mit Ketten und Eisenstangen auf sie losgingen (88ff). Ein Ende derartiger Gewaltanwendung gegen die migrantische Arbeiterklasse verspricht Verf. sich davon, dass weißer Suprematismus sich in einem bald mehrheitlich von Latinos bewohnten Bundesstaat nicht länger aufrechterhalten lassen wird (95).
Im zweiten Teil versucht Akers Chacón die Bedeutung der Arbeitsmigration für die politische Ökonomie der mexikanischen Nordgrenze zu ergründen. Einer der zentralen Widersprüche des Wirtschaftsraums bestehe darin, dass die grenzüberschreitende Mobilität des Kapitals heute mehr denn je mit einer paramilitärischen Kontrolle der Arbeitsmigration einhergeht: »die ›Denationalisierung‹ der globalen Ökonomie« fällt »mit der ›Renationalisierung‹ der Politik in Form einer ausgeprägten, staatlich gelenkten Orientierung auf Grenzsicherung und Einwanderungsbeschränkung zusammen« (108). Verf. lenkt das Augenmerk zunächst auf die Geschichte ökonomischer US-Hegemonie über die Handlungsspielräume der mexikanischen Gesellschaft. Aufgrund des enormen Wohlstandsgefälles konnten und können die in den Norden abgewanderten Arbeitskräfte vom kalifornischen Agrobusiness (»Kombination aus industrieller Technik des 21. und Arbeitsverhältnissen des 19. Jh.«, 168) ebenso profitabel ausgebeutet werden wie von den industriellen Sweatshops (Ausbeutungsbetrieben) der Grenzregion: »Die Maquiladora-Industrie ist ein Monument der Macht des US-Imperialismus, Regeln aufzustellen, die ausschließlich Konzernen zugute kommen. Die Grenze wird eingesetzt, um die Entlohnung der Beschäftigten auf beiden Seiten auf einem Minimum zu halten, und trennt sie künstlich, sodass eine gemeinsame Reaktion verhindert wird.« (134) Inzwischen ragen an der Grenze zu Mexiko riesige Betonplatten zur Grenzsicherung in den Himmel, die die US-Luftwaffe im zweiten Golfkrieg zum Bau von Landebahnen für ihre Galaxy-Transportmaschinen benutzt hat (237). Wie andere Bestandteile der »Großen Mauer des Kapitals« (Davis) scheinen diese Sperranlagen es darauf anzulegen, Arbeitsmigration komplett zu unterbinden. Das ist zum ersten unrealistisch. Zwar werden jährlich mehr als eine Million Migranten von den Grenztruppen festgenommen (244), trotzdem erreichen aber weiterhin Hunderttausende von Latinos auf ›illegalen‹ Wegen us-amerikanisches Territorium.
Zum zweiten hat das erhöhte Risiko des Grenzübertritts die Rückkehrquoten deutlich verringert. Drittens erfüllt die durch das drakonische Grenzregime produzierte Rechtlosigkeit vieler Migranten eine ökonomische Funktion. Denn sie hält jenes Serviceproletariat in Schach, das wohlhabenderen US-Bürgern gegen Armutslöhne die unangenehme Arbeit abnimmt: »Der Zugang zu einem großen Pool ungeschützter Arbeitskräfte, die auf einem Weg in das Land einreisen mussten, der sie rechtlos macht, lässt den Arbeitgebern fast vollständige Freiheit bei der Festlegung von Arbeitsbedingungen und Löhnen. [...] Die umfassende Aneignung des Staatsapparats der Migrationskontrolle durch das Kapital hat den ›Illegalen‹ hervorgebracht, eine vollkommen künstliche Konstruktion, deren einziger Zweck darin besteht, der internationalen ›amerikanischen‹ Arbeiterklasse ihre demokratischen Rechte vorzuenthalten.« (231)
Akers Chacóns Argumentation ist nicht nur mit dem Problem einer zuweilen unkonzentrierten Übersetzung behaftet. Schwerer wiegt die Neigung des Verf. zum Manichäismus. Attackiert er den »Kapitalismus der Konzerne« (99), gibt es aus der Lohndrückerei qua illegalisierter Migration kein Entrinnen (z.B. 106, 143, 218). Wendet sich Verf. hingegen gegen die – angeblich vom selben ›Akteur‹ protegierte – Einwanderungsopposition (die u.a. genau dieses Argument ins Feld führt), erscheint das Phänomen ökonomischer Konkurrenz plötzlich als ein kapitalistisches Märchen und der Wohlfahrtseffekt von Migration allgemein (181-97). Rivalisierende Interessen innerhalb des herrschenden Blocks werden ebenso kleingeschrieben wie Widersprüche innerhalb der »multiethnische[n], multinationale[n] Arbeiterklasse« (203). Zwar ist an einigen Stellen durchaus von konkurrierenden »Kapitalfraktionen« (208, 278) und an einer anderen von rechtsextremen Minutemen als »Opfer[n] von Outsourcing« (298) die Rede. In der Hauptsache aber scheinen Migrationsprozesse durch »die kapitalistische Klasse« (108) manipuliert und durch Arbeiter unterstützt. Neigen sich Perioden ökonomischer Prosperität ihrem Ende, versucht das Kapital demnach, seine eben noch zu Ausbeutungszwecken angeworbenen Arbeitskräfte mittels Fremdenfeindlichkeit wieder außer Landes zu treiben. »Inmitten des wirtschaftlichen Zusammenbruchs Ende der 1920er Jahre griffen die kapitalistische Klasse und ihre Sprecher in der Hoover-Administration nach dem Rettungsanker rassistischer Schuldzuweisung, um sich über Wasser zu halten. Durch den Angriff [...] hoffte die Elite des Landes, den Unmut der weißen Arbeiterklasse von sich selbst abzulenken.« (224) Solche Simplifizierungen versperren nicht nur den Blick auf die tatsächlichen Bewegungsspielräume, die sich Migranten gegen die vielfältigen und nicht immer auf einen Nenner zu bringenden Widerstände in der Einwanderungsgesellschaft erkämpfen konnten. Sie tragen auch wenig zu einer profunden Erklärung jenes Sozialchauvinismus bei, dessen Gewaltgeschichte Davis im ersten Teil so eindrucksvoll dokumentiert hat.
Autor: Malte Meyer

Quelle: Das Argument, 51. Jahrgang, 2009, Heft 3, S. 529-531