Britta Freis und Marlon Jopp: Spuren der deutschen Einheit. Wanderungen zwischen Theorien und Schauplätzen der Transformation. Frankfurt/M. 2001. 532 S.

Die Autoren legen mit "Spuren der deutschen Einheit" eine ambitionierte empirische Studie zum ostdeutschen Transformationsprozeß vor. Einerseits verfolgen sie dabei den Anspruch, die "Strukturationstheorie" (Giddens) und die "Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen" (Werlen) theoretisch aufzubereiten und zu operationalisieren. Zum anderen sollen öffentliche Diskurse auf "soziale Spannungen" zwischen Ost- und Westdeutschen, und zudem noch die Veränderung des alltäglichen dörflichen Lebens in Ostdeutschland mit Hilfe des entwickelten Instrumentariums untersucht werden.

Ein solches Anliegen ist im Hinblick auf die andauernde Aktualität der Nach-Wende-Thematik wie auch in Bezug auf die Bearbeitung gegenwärtig in Diskussion stehender Theorieentwürfe von besonderer Bedeutung. Die gründliche theoretische und durchaus kritische Auseinandersetzung im ersten Teil betont nicht nur die soziale Herstellung raum-zeitlicher Phänomene und die Bedeutung handlungstheoretischer Ansätze zu deren Untersuchung. Sie folgt auch dem Anspruch, die herangezogene sozialgeographische Theorie mit Konzepten der sozialwissenschaftlichen Transformationsforschung zu verbinden. Angesichts der oftmals rein strukturanalytisch und technokratisch ausgerichteten Arbeiten zu Transformationsprozessen stößt die Arbeit damit in ein innovationsbedürftiges Feld sozialwissenschaftlicher Forschung vor. Im umfangreichen empirischen Teil werden die eröffneten theoretischen Perspektiven sowohl auf eine Untersuchung von Medieninhalten, als auch auf eine Analyse des sozialen Wandels nach der Wende in Dörfern "im Weimarer Land" angelegt. So wird nicht nur die Abstraktionsebene der theoretischen Konzepte heruntergebrochen, auch werden Schlüsselbegriffe einer handlungszentrierten Sozialgeographie im Hinblick auf den Prozeß des sozialen Wandels einer Operationalisierung zugänglich gemacht.
 Diese "Wanderungen zwischen Theorien und Schauplätzen der Transformation", so der Untertitel der Arbeit, führen aber auch an nicht überbrückte Gräben. Die auftretenden Widersprüche sind einerseits einer gewissen Inkompatibilität der gewählten Theorie- Konzepte selbst geschuldet, zum anderen erwachsen sie aus einer nicht immer konsequent erfolgten Umsetzung dieser Konzepte für die empirische Praxis. So bleibt eine kompatible Verbindung der Transformationsanalyse mit dem Herstellungsparadigma der herangezogenen sozialgeographischen und soziologischen Theorien ein problematisches Unterfangen. Im Sinne dieser Theorien wäre die Transformation - insbesondere bei Fokussierung der räumlichen Komponente - als ein gesellschaftlicher Prozeß des Wandels der Herstellungsweisen von Raum zu untersuchen, nicht aber als sozialer Wandel im Container (Ostdeutschland/ Weimarer Land). Daß diese Konsequenz von den Autoren nicht durchgehend gezogen wird, ist um so bedauerlicher, zieht man das vorhandene Potential ihrer empirischen Untersuchung in Betracht. Allein die Schilderung der dörflichen Interviewsituationen, die von Freis/Jopp auf gelungene Weise mit ausgewählten Originalzitaten der Befragten verbunden wird, böte reichhaltiges Material für eine Betrachtung der Verortungsmodi kultureller Eigenarten und die alltägliche (Re-)Konstruktion einer in sich geschlossenen Ost- resp. Westgemeinschaft. Statt dessen werden "die Ostdeutschen" und "die Westdeutschen" bisweilen als unproblematische "common-sense"-Kategorien gehandhabt und damit der reflexiven Betrachtung entzogen. Die an sie geknüpften ontologisch konzipierten Differenzen - mitsamt ihrer räumlichen Projektion - können dann nicht durchbrochen werden. Sie fungieren vielmehr als eine nicht weiter befragte Ausgangsbasis, auf der sich nicht nur Nach-Wende-Transformationsprozesse und Stand der "inneren Einheit" messen und erklären, sondern auch Lösungsvorschläge ("die Westdeutschen müssen begreifen, daß...") artikulieren lassen (S.479).
 Die Problematik einer solchen Verschneidung von Explanans und Explanandum entsteht auch aus der Verbindung des strukturationstheoretischen Regionalisierungsbegriffes mit dem der "alltäglichen Regionalisierung" (S.175). Diese sind in ihrer Ausrichtung durchaus verschieden. Während einerseits der Raum als Dimension des Handelns betrachtet wird, ist er andererseits in der Handlung selbst angesiedelt. Die Autoren arbeiten mit beiden Begriffen synonym, und so verwundert es nicht, daß sie die "räumlichen Redeweisen" von "Ost" und "West" nicht konsequent zum Forschungsgegenstand machen, sondern auch als mehr oder weniger reifizierte, zumindest unbefragt vorgegebene Kategorien zur Analyse desselben heranziehen. Zwar liefern sie keine Karte, "um der bei Geographen so beliebten Verräumlichung sozialer Phänomene keinen Vorschub zu leisten" (S.30), es wird aber nicht ersichtlich, wozu die Beschreibung der von ihnen gewählten Untersuchungsregion "Weimarer Land" verwendet werden könnte, warum sie eine "ländliche Region" (sic!) überhaupt zur Grundlage ihrer Studien machen, was unter der "Erforschung des sozialen Wandels in [sic!] Ostdeutschland" (S.467) zu verstehen ist und auf welcher Grundlage sie zudem ihre Interviewpartner als Ost- oder Westdeutsche identifizieren, wenn eben nicht auf einer abstrakt-räumlichen. So zeigt es sich, daß es nicht reicht, räumliche Redeweisen vermeiden zu wollen, wenn die Chorologik methodisch dennoch (unkritisch) übernommen wird und auf der Gegenstandsebene den zu untersuchenden Herstellungsweisen somit schon vorausgeht.
 In dieser Hinsicht ist schließlich auch die vertretene starke These, derzufolge "die westdeutschen" oder "die ostdeutschen" Medien gezielt ihr jeweiliges Weltbild erzeugen (S. 215), problematisch. Aus ihr resultiert das Bild einer strategisch (starken) "westdeutschen" Position und einer (unterlegenen) "ostdeutschen" Position im medialen Machtgefüge. Die Problematik liegt dabei zunächst in dem personifizierenden Medienbegriff. Die anhand des umfangreichen Materials ansonsten gut herausgearbeiteten Ost-West-Konstruktionen erhalten damit den Anstrich einer ideologisch-strategischen "Falsch"-)Darstellung, was die Voraussetzung eines "richtigen" realen Ost- bzw. Westdeutschland und dessen adäquater Repräsentation impliziert. Mit einer handlungstheoretischen Konzeption, welche die Wirklichkeit gerade in der alltäglichen (signifikativen) Strukturierung der Subjekte sieht, ist dies kaum zu vereinbaren. Problematisch erscheint zudem die Kategorisierung der Medien-Kollektive in "westdeutsch" und "ostdeutsch", obwohl genau diese Art von Differenzierung Gegenstand der Untersuchung ist. Zudem bleibt unklar, ob sich die Differenz nicht vom topographischen Standort des Senders oder der territorialen Herkunft der beschäftigten Journalisten herleitet. Die Autoren werden hier gewissermaßen vom "Reden in Ost-West-Gegensätzen" (S. 216) eingeholt, das sie eigentlich zu dekonstruieren suchen.
 Insgesamt sind die hervorgehobenen kritischen Punkte jedoch weniger als Schmälerung der Leistung der Autoren, denn als konstruktive Anregung für zukünftige, weiterführende Arbeiten zu sehen. Allenfalls wäre eine stärkere Herausarbeitung und Problematisierung wünschenswert gewesen. Doch eine Operationalisierung sozialgeographischen "Umdenkens" - nicht nur für die wissenschaftlichmethodische, sondern auch für die politisch-planerische Praxis - sieht sich grundsätzlich mit dem Problem hochgradig institutionalisierter Raum-Logik konfrontiert, die sie zwar in Frage stellen sollte, aber an der sie sich bezüglich ihrer Praktikabilität auch messen muß. Gerade auch in dieser Hinsicht handelt es sich um eine höchst informative und jederzeit lesenswerte Publikation, welche gleichzeitig nicht nur die Schwierigkeiten der Akteure im Transformationsprozeß, sondern auch jene der Befreiung aus dem Gefängnis des Container-Raumes dokumentiert.
Autoren: Antje Schlottmann und Benno Werlen  

Quelle: Geographische Zeitschrift, 90. Jahrgang, 2002, Heft 3 u. 4, Seite 234-236