Norbert Gestring u. a. (Hg.): Jahrbuch StadtRegion. Schwerpunkt: Einwanderungsstadt. Opladen 2001. 264 S.
Das Jahrbuch StadtRegion ist etwas Neues. Zum ersten Mal 2001 erschienen, hat es den Anspruch, den Wissenschaftstransfer und Austausch zwischen Forschung und Praxis im Bereich der stadt- und regionalspezifischen Themen zu befördern. Das Jahrbuch ist ein interdisziplinäres Forum, das von fünf Stadtsoziolog(inn)en bereitgestellt und herausgegeben wird. Neben einem "Schwerpunkt" bietet es eine Rubrik "Analysen und Kommentare", Rezensionen sowie "Dokumentationen und Statistik". Am ersten Band haben Vertreter vieler Fachrichtungen mitgewirkt, was sicher an der hohen Aktualität des Themas liegt.
Besonders erfreulich sind die Rezensionen, die einen angenehmen Service für den interessierten Leser darstellen, sowie die Rubrik "Dokumentation und Statistik". Werner Petrowsky hat hier einen Überblick über die amtliche Statistik zusammengestellt, in der er sowohl die Erhebungsbasis wie auch die Aussagekraft der Quellen thematisiert, daneben aber auch eine Fülle von Daten für Städte über 100.000 Einwohnern systematisch gesammelt hat. Jörg Pohlan entwickelt in dieser Rubrik ein Monitoring der Städte und Regionen, in dem er weitere Daten zur Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung, zu Finanzen, Wirtschaft und Beschäftigung dokumentiert und kommentiert. Von den Beiträgen in der Rubrik "Analysen und Kommentare" widmen sich zwei dem Schwerpunktthema Zuwanderung, welche unten kurz besprochen werden. Die anderen Beiträge - von Paolo Perulli über den Aufstieg und Niedergang der "Partei der Bürgermeister" in Italien sowie von Uwe-Jens Walther über die Entstehung, die Aufgaben sowie die ambivalente Zielsetzung des Bund-Länder Programms "Soziale Stadt" - möchte ich im Folgenden nicht besprechen, sondern mich dem "Schwerpunkt" des Jahrbuchs widmen.
Der erste Beitrag von Rosemarie Sackmann diskutiert die Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Integrationspolitik gegenüber Zuwanderern und greift hiermit ein hochaktuelles und spannendes Thema auf. Sackmann skizziert als kommunale Integrationsmaßnahmen die Beschäftigungsförderung, die Wohnraumversorgung, die Quartierserneuerung als sozialpolitische Strategie, die Unterstützung der Selbstorganisation wie auch die Beauftragung kommunaler Ausländerbeauftragter. Sie bilanziert, dass die kommunale Integrationspolitik nach wie vor in hohem Maße von der nationalen Politik abhängig sei, doch hätten die Kommunen "ein großes Gestaltungspotential innerhalb eines gegebenen Modells, wenn sie die entsprechenden Ressourcen haben" (S. 30f.). Da sie über diese Ressourcen in der Regel aber nicht verfügen, bedarf es nach Sackmann staatlicher Programme zur finanziellen Förderung kommunaler Integrationspolitiken. Für diese sei eine klare Zielformulierung notwendig, da ansonsten die Gefahr bestehe, dass aufgrund des breiten Spektrums, welches die Integrationspolitik notwendigerweise abdecken muss, diese unübersichtlich und wenig koordiniert bleibe. Der Beitrag gibt einen guten Überblick über das Feld kommunaler Integrationspolitik und greift aktuelle Betätigungsfelder und Diskussionen auf. Jedoch bleiben die Thesen von Sackmann recht vage, da sie das breite Spektrum des Themas auflistet, sich jedoch selbst nicht für eine Fragestellung entscheiden kann. An einigen Stellen hätte man sich gewünscht, Ergebnisse einer detaillierteren Untersuchungen zur Stadtpolitik präsentiert zu bekommen, die beispielhaft die Veränderungen und Probleme einer kommunalen Integrationspolitik skizzieren.
Die beispielhafte Analyse städtischer Integrationspolitik leistet Viktoria Waltz, die in ihrem Beitrag in der Rubrik "Analysen und Kommentare" die best practice-Beispiele aus Nordrhein-Westfalen zur Integration von Zuwanderern an drei Fällen erläutert. In Solingen wurde nach den Brandanschlägen ein "Ausschuss für Zuwanderung und Integration" gegründet, der ein Leitbild und ein Konzept mit mehreren Projekten erarbeitet. In Essen wurde ebenfalls ein Leitbild entwickelt und ein partizipativer Planungsprozess in Gang gesetzt, an dem neben einer Fülle von Behörden auch einige "mit Migrationsfragen befasste Vereine" (S. 126) und der Ausländerbeirat beteiligt wurden. Zu Marxloh listet die Autorin vor allem die umfassenden Maßnahmenkataloge und Aktivitäten auf, die aufgrund der "sich hochschaukelnden interkulturellen Konkurrenzen und Konflikte" im Rahmen des Programms "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" ergriffen wurden. Der "äußere Augenschein" zeige, dass sich der Stadtteil positiv verändert hat, auch wenn "nicht alle Aktivitäten ... (...) als gelungen bezeichnet werden (können)" (S. 124). Die Gründe hierfür lägen jedoch - und hier stimmen Waltz und Sackmann überein - überwiegend außerhalb der kommunalen Verantwortung, daher seien dies gute Beispiele für eine kommunale Integrationspolitik. Das von Waltz empfohlene konzeptionelle Leitbild für die lokale Migrationspolitik "mit ausgewiesenen lang- und mittelfristigen (Qualitäts-)Zielen, konkreten Maßnahmen und Umsetzungskontrollen" und vermehrten Beteiligungsinstanzen bleibt jedoch wenig fassbar. Vielleicht liegt es daran, dass nicht klar wird, aufgrund welcher Kriterien sie die genannten best practice-Beispiele ausgewählt hat und welche besondere Qualität sie im Vergleich zu anderen und weniger erfolgreichen Projekten haben. Deutlich wird, dass Zuwanderung und politische Partizipation noch ein neues und wenig erforschtes Gebiet sind, in welchem die Wissenschaftler noch dabei sind, die Fülle an Informationen zu sammeln und zu ordnen. Dabei stellt es ganz sicher ein lohnendes Thema der Sozialwissenschaften dar.
Einem "alten" Thema der Stadtforschung widmet sich Felicitas Hillmann, die in ihrem theoretisch fundierten und gut zu lesenden Beitrag die ethnischen Ökonomien untersucht. Ihre Fragestellung ist, ob diese eine Chance für die Städte und ihre Migrant(inn)en darstellen. Sie referiert eingangs die Entstehung von ethnisch segmentierten Arbeitsmärkten in den Großstädten, die durch Informalisierung, Internationalisierung und Ethnisierung geprägt seien. Durch die rückläufige Integration von Zuwanderern in die formellen Arbeitsmärkte erlebt das ethnische Gewerbe ein neuerliches Wachstum und erfährt zunehmende Beachtung. Am Beispiel von Berlin zeigt Hillmann dann, dass die Zunahme des ethnischen Unternehmertums und die hohe Arbeitslosigkeit unter Zuwanderern in den 1990er Jahren zeitgleich stattfindet. Dies läßt zwei Erklärungsmöglichkeiten für das ethnische Gewerbe zu: als letzte ökonomische Überlebensstrategie oder als Sprungbrett der Integration auf der Basis gestiegener ökonomischer Chancen. Beide Deutungsmuster lassen sich nach Hillmann bei den Gewerbeaktivitäten der türkischen Unternehmen belegen. Denn neben einem starken Anstieg von türkischen Unternehmen, der vom türkischen Unternehmerbund Berlin-Brandenburg - und im übrigen auch von den meisten Forschungen zum ethnischen Gewerbe in Deutschland - als Erfolgsgeschichte verkauft wird, führen Konkurrenz, Preisdruck und nachlassende Kaufkraft in den verarmten Bezirken mit hohem Ausländeranteil zur Geschäftsaufgabe vieler Unternehmen. Dass sich diese überwiegend in Dienstleistungsbereichen finden lassen, die nur geringe Qualifikationsanforderungen voraussetzen (z. B. Zeitungskioske, Bäckereien und Imbissläden), ist ein Hinweis auf relativ geringe Ressourcen des türkischen Gewerbes. Als eine besondere Variante führt Hillmann die türkischen Unternehmen an, die von Frauen geführt werden. Sie können zwar in geringerem Maße von der unbezahlten Mitarbeit von Familienangehörigen Gebrauch machen, seien aber auch nicht von dieser abhängig. Auch definieren sie sich nicht als Teil der "ethnischen Gemeinde", sondern grenzen sich bewusst ab. Ob die ethnischen Ökonomien eine Chance für die Städte und ihre Migrant(inn)en darstellen, kann Hillmann nicht abschließend beantworten. Eigentlich müsste man - so die Autorin im Fazit - ganz anders an das Thema herangehen: Die städtischen Kontexte müssten empirisch einbezogen und mit einer geschlechtsspezifischen Herangehensweise gekoppelt werden. Leider geht sie nicht darauf ein, welchen neuen Erkenntnisgewinn eine solche Perspektive erlauben würde, sondern konstatiert hier lediglich ein Forschungsdesiderat.
Die räumliche Segregation von Zuwanderern stellt ein weiteres traditionelles Thema der Stadtforschung dar. Andreas Pott kritisiert in seinem Beitrag "Der räumliche Blick" das Modell des "Behälterraumes", der die Forschung zur Segregation von Migranten bestimmt und seiner Ansicht nach zu Fehlschlüssen führt. Die gesellschaftliche Konstruktion des Raumes werde nicht hinterfragt, ein fixierter, physischmaterieller Raum diene den Segregationsanalysen als Grundlage ihrer Forschung. Anstatt die sozialen Mechanismen, die sich aufgrund räumlicher Ungleichheiten entwickeln, zu thematisieren, "(fixiert) die Operationalisierung des Raumbezugs ... durch die Analyse von Wohnstandorten (...) also die Migranten und mit ihnen auch sozialstrukturelle Merkmale und soziale Bedeutungen in unzulässig einseitiger Weise auf erdoberflächlich markierbare Stellen oder Ausschnitte im Raumbehälter" (S. 63). Das Ergebnis sei, dass segregierte Stadtviertel als ethnisch-sozialräumliche Schraubstöcke entwickelt werden, als Teufelskreis der Ausgrenzung, als Ghetto und Parallelgesellschaft. In dieser Sicht werden nicht nur Schul-, Arbeits-, Einkaufs- und Urlaubsorte vernachlässigt, sondern wird auch der Vorstellung Vorschub geleistet, räumliche Dispersion würde Integration bedeuten (S. 68). Dagegen konzipiert Pott, die unterschiedlichen Bedeutungen zu erfassen, die die Bewohner den Orten zusprechen, und die Chancen, die sie in ihnen entwickeln können (S. 69ff.). Migranten sollten nicht als Mitglieder eines Raumes, sondern als Teil der Gesellschaft betrachtet werden. Schließlich dürfe die soziale Heterogenität und Dynamik innerhalb von Stadträumen nicht aus den Augen verloren werden. Der stadtsoziologischen Segregationsforschung unterstellt Pott denn auch eine "vorherrschende Problemorientierung", die Eingliederungsleistungen, Erfolge und Potentiale nur unzureichend berücksichtige. Der Beitrag von Pott ist ein wissenschaftlicher Essay in dem Sinn, dass er eine klare These verfolgt und zur Diskussion anregt. Die deutsche Segregationsforschung wird dabei allerdings wenig differenziert behandelt. Eine kritische Analyse der zentralen Befunde, welche die Segregationsforschung erarbeitet hat, fehlt dem Beitrag leider.
Zum Teil kann diese Lücke von dem kurzen Beitrag von Hartmut Häußermann und Walter Siebel gefüllt werden, die auf vier Seiten eine Kurzfassung eines Gutachtens für die Zuwanderungskommission zu Segregation und Integration geben. Der Beitrag steht unter den "Analysen und Kommentaren" an späterer Stelle im Jahrbuch. Häußermann und Siebel stellen dar, dass die "ethnische Segregation" nicht per se ein Problem darstelle, wie dies bei der sozialen Segregation der Fall sei. Da sich in der Realität jedoch ethnische und soziale Segregation überlagerten, sei es nicht verwunderlich, dass es oftmals zu Konflikten zwischen deutscher Unterschicht und mittellosen Zuwanderern in unfreiwilliger Nachbarschaft komme. Nicht das Zusammenleben unterschiedlicher Gruppen und ihre Kontakthäufigkeit seien also das Problem, sondern die Bedingungen, unter denen sie zustande kommen (S. 135). Sie folgern daraus, dass eine freiwillige Segregation nicht behindert werden solle und sowohl eine (ethnische) Selbstorganisation wie auch eine interkulturelle Organisation unterstützt werden müsse. Die soziale Segregation solle jedoch - aufgrund der negativen Folgen für die Bewohner von ausgegrenzten Quartieren - bekämpft werden (S. 136).
Vor dem Hintergrund der starken Segregation von Zuwanderern in einzelnen Gebieten und auch Schultypen formuliert Georg Auernheimer als letzten Beitrag zum Leitthema "Anforderungen an die Schule im Stadtteil". Für die Integration der Zuwandererkinder seien die bildungspolitischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik ungünstig, da die kurze Grundschulzeit und das mehrgliedrige Schulsystem eine vergleichsweise frühe Schullaufbahnentscheidung erzwingen. Dies führt bei Migranten aufgrund von Anfangsschwierigkeiten in der Unterrichtssprache oftmals zu einer Entscheidung bzw. Empfehlung für die Hauptschule. Das Sonderschulsystem begünstige weitere Segregationstendenzen, da Zuwanderer überproportional auf diesen Schultyp abgeschoben werden. Die Chancen auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz fallen damit deutlich schlechter aus. Insgesamt ist die Verteilung von Ausländerkindern auf die unterschiedlichen Schultypen allerdings ähnlich wie jene von deutschen Arbeiterkindern (S. 80). Als besonders problematisch stuft Auernheimer die Vormittagsschule ein, da speziell für interkulturelles Lernen Nachmittagsangebote wichtig seien, in denen sich zusätzliche Kooperationszwänge und Begegnungsmöglichkeiten ergeben, Differenzen sichtbar und Konflikte besser bearbeitbar werden (S. 79). Das Plädoyer von Auernheimer gilt einer Schulphilosophie, die interkulturelles Lernen als Leitdimension festschreibt, die Schule gegenüber dem Stadtteil öffnet und eine lokale Vernetzung anstrebt. Dazu nennt er zum Beispiel das Angebot von Deutschunterricht für Mütter in den Schulen. Zu den neuen Anforderungen an die Schule gehören auch konfliktregulierende Instanzen in der Schule, die vermeintlich interkulturelle Konflikte zwischen Schülern besprechen und den Umgang zwischen Lehrern und Schülern überprüfen, damit sich kein "heimlicher Lehrplan" der Diskriminierung einschleicht. Die hier skizzierten Beiträge zeigen, dass sich eine Lektüre des Jahrbuch StadtRegion 2001 wirklich lohnt. Für Praktiker und Studierende bietet das Jahrbuch umfassende Informationen und eine Aufarbeitung des aktuellen Wissensstandes, auch dank der Beiträge von Petrowsky, Pohlan und Walther, die hier nicht besprochen wurden. Ein wenig mehr Diskussion und gegensätzliche Thesen hätten dem Schwerpunkt sicherlich nicht geschadet; so gesehen ragt der Essay von Pott unter den anderen Beiträgen heraus. Sehr erfreulich ist die große Aktualität des Jahrbuchs. Man kann daher gespannt sein, wie sich das Jahrbuch StadtRegion weiter entwickelt und welche Schwerpunkte in Zukunft aufgegriffen werden.
Autor: Andreas Kapphan