Anton Escher (Hg.): Ausländer in Deutschland. Probleme einer transkulturellen Gesellschaft aus geographischer Sicht. Mainzer Kontaktstudium Geographie 6. Mainz 2000. VIII u. 128 S.

In diesem Sammelband werden die Vorträge einer Tagung des "Mainzer Kontaktstudiums Geographie" dokumentiert, die dem Thema "Ausländer in Deutschland" gewidmet war. Neugierig macht zunächst einmal der Untertitel des Bandes aufgrund des Begriffs einer "transkulturellen Gesellschaft". Das Vorwort des Herausgebers, das durchaus eine Reihe allgemeiner Betrachtungen einschließlich eines Zitats des "Altmeister(s) deutscher Geistesgeschichte J.W. Goethe" (VII) enthält, geht auf diesen Begriff allerdings nur kursorisch ein und verweist auf den Beitrag von W. Nell mit dem Titel "Multikulturelle oder transkulturelle Gesellschaft?". Der Autor stellt die Diskussion über multikulturelle Gesellschaft im deutschsprachigen Raum zusammen und weist überzeugend auf Defizite, Fehlinterpretationen und Ambiguitäten hin, die dem Konzept anhaften.

Nach seiner Argumentation liegen diesem Konzept Vorstellungen von Homogenität und einer nicht-relativierten kulturellen Identität zugrunde, die für moderne Gesellschaften nicht angemessen sind und die Gefahr von Ethnisierung und kulturalistischen Diskursen beinhalten. Wegen der Ausdifferenzierung von Subsystemen der Gesellschaft sei eine Heraushebung des Subsystems Kultur nicht tragfähig. Vielmehr komme es auf eine "Relativierung kultureller Bindungen und Muster" an, die in der Konzeption einer transkulturellen Gesellschaft verdeutlicht werde. Diese Argumentation erscheint aber wenig schlüssig, werden doch durch die Ausdifferenzierung nicht nur der Bereich der Kultur, sondern auch die übrigen gesellschaftlichen Subsysteme relativiert, so dass man nicht nur von transkulturell, sondern auch von einer "transökonomischen", "transsozialen", "transreligiösen" Gesellschaft sprechen könnte. In der Migrationsforschung könnte der Begriff der transkulturellen Gesellschaft im übrigen auch mit dem eingeführten Konzept der "transnationalen communities" in Beziehung gesetzt werden, der etwas ganz anderes meint, nämlich die Teilnahme von Migrantenkolonien am Leben in mehreren Nationen. Insgesamt zählt der Beitrag von Nell zu den lesenswertesten des Bandes, wenngleich die Lektüre durch Bandwurmsätze und unklare Begriffe aus einer Vielzahl von Zitaten aus wissenschaftlichen Arbeiten und Zeitungsbeiträgen erschwert wird.
Bei den übrigen Beiträgen des Bandes fällt eine Konzentration auf empirische geographische Studien im Rhein-Main-Gebiet auf. Unter ihnen ist besonders gelungen der Aufsatz von R. Pütz über türkische Einzelhändler, weil theoretische Ansätze über ethnic business mit den Ergebnissen von empirischen Fallstudien eng verknüpft werden. Auch im Beitrag von H.-J. Büchner über einen kommunalpolitischen Streit um eine marokkanische Moschee werden theoretische Grundlagen einer "geographischen Konfliktforschung" herangezogen, die im Fallbeispiel jedoch nur partiell zum Tragen kommen. Die Problematik des Aufsatzes von H. Roggenthin über marokkanische Studierende in Mainz liegt gerade darin, dass konzeptionelle und theoretische Grundlagen weitgehend fehlen. Daher ist die Relevanz der geschilderten Fallstudien und Typen nur schwer abzuschätzen. Einen Schwerpunkt im Rhein-Main-Gebiet, das durch internationale Wirtschaftsbeziehungen ausgezeichnet ist, hat auch der Beitrag von B. Freund über hochqualifizierte Migranten, denen bislang in Migrationsstudien nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Auf die Situation von Ausländern und Migranten in Deutschland gehen F. Hamburger mit einer knappen Übersicht zu Migrationsgruppen und Migrationspolitik und P. Gans mit einem materialreichen Einblick in regionale Verteilungen und deren Bestimmungsfaktoren ein. Über eine wissenschaftlich gut fundierte Langzeitstudie zur Berichterstattung der Massenmedien über "Ausländerprobleme" und zu potentiellen Wirkungen hinsichtlich fremdenfeindlicher Straftaten berichtet F. Esser. Wenig überzeugend ist dagegen ein recht nachlässig geschriebener Beitrag von W. Riedel über ethnische Minoritäten und rassistische Vorurteile im Vereinigten Königreich, der sich in die übergreifende Thematik des Bandes auch gar nicht einfügt. Im Sinne des "Kontaktstudiums" sind dagegen zwei fachdidaktische Beiträge, die den Band beschließen, von Nutzen. Den allgemeinen Rahmen einer "interkulturellen Erziehung" im Geographieunterricht behandelt E. Kroß, während J. Barth über ein konkretes interkulturelles Unterrichtsprojekt am Beispiel von Bingen berichtet.
Autor: Franz-Josef Kemper

Quelle: geographische revue, 4. Jahrgang, 2002, Heft 2, S. 63-64