Marcus Knupp: Wochenmärkte im Jemen. Ein traditionelles Versorgungssystem als Indikator gesellschaftlichen Wandels. Köln 2001 (Kölner Geographische Arbeiten 75). 152 S.

Die ökonomische Situation des Jemen hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert. Neben den Problemen, die die Wiedervereinigung mit sich brachte, wirkte vor allem die Ausweisung der meisten jemenitischen Gastarbeiter aus Saudi-Arabien während des Golfkrieges und das damit verbundene Ausbleiben von Geldtransfers aus dem Ausland verheerend. Auch die Aufnahme einer eigenen Erdölförderung im Jemen vermochte daran nur wenig zu ändern. Es gehört daher zu den besonders spannenden wirtschaftsgeographischen Fragen, zu untersuchen, wie der Handel allgemein und insbesondere der des informellen Sektors der Wochenmärkte auf die neuen Rahmenbedingungen reagierte. Die vorgelegte Studie geht allerdings über den Fokus der Wochenmarktstrukturen weit hinaus und untersucht, inwieweit Wochenmarktsysteme als Indikator für allgemeine gesellschaftliche Veränderungsprozesse operationalisiert werden können. Dem immer aktuellen Zusammenspiel von Beharrung und Wandel wird dabei besondere Aufmerksamkeit zuteil.

Von den drei Hauptteilen der Arbeit behandelt der erste zunächst Landesnatur, Geschichte sowie gesellschaftliche und ökonomische Situation des Landes. Daran schließt sich ein Überblick über die Bedeutung periodischer Märkte im allgemeinen und die im Jemen im Besonderen an. Den dritten Abschnitt bildet die Detailanalyse jemenitischer Wochenmärkte.
Bei der Definition jemenitischer Wochenmärkte hält sich der Autor streng an traditionelle begriffliche Abgrenzungen und stellt diesen Bereich des informellen Sektors dem etablierten Bazarhandel und den in jüngster Zeit explosionsartig gewachsenen Straßenmärkten gegenüber. Dabei werden insgesamt fünf Typen von Wochenmärkten identifiziert, die
sich in erster Linie nach ihrer ökonomischen Bedeutung im Verhältnis zu anderen Formen des (permanenten) Handels gegeneinander abgrenzen.
Die Studie vergleicht Wochenmärkte in vier unterschiedlichen Teilregionen des Jemen: im Stadtumland von S.anca¯', im nördlichen H_awla¯n, im unmittelbaren Grenzbereich zu Saudi-Arabien, im Bereich des Wa¯di¯ Mu¯r an der Küste des Roten Meeres sowie im Bereich des nördlichen Lah.ag? bei Aden. Damit wird nicht nur der unmittelbare Vergleich von zentralen und peripheren Standorten, sondern auch der zwischen unterschiedlichen Großlandschaftsräumen möglich. Dass mit dem nördlichen Lah.ag? ein Bereich aus der ehemaligen Volksrepublik Jemen hinzukommt, ist deshalb besonders wichtig, weil dadurch belegt wird, dass das weitgehende Fehlen von Wochenmärkten in den östlichen Landesteilen des Jemen nicht allein mit unterschiedlichen Wirtschaftsideologien aus der Zeit vor der Wiedervereinigung erklärt werden kann. Ein wesentlicher Vorteil der Studie besteht darin, dass hier nicht nur eine Momentaufnahme präsentiert wird, sondern die zeitliche Dimension darüber hinaus durch das Aufzeigen möglicher Szenarien sowie den historischen Vergleich mit den Ergebnissen von Vorgängerarbeiten angesprochen wird. Bezüglich des Stadtumlandes von S.anca¯' sind dies die Arbeiten von DOSTAL (1974, 1979 u. 1985) sowie von BETZLER (1987), in der Küstenregion der Beitrag von ESCHER (1976) und auf die Nordgebiete bezogen die Studie von GINGRICH und HEISS (1986).
Der Band ist mit Karten, Diagrammen und Fotos reichhaltig ausgestattet. Zusätzlich aufgelockert wird der Textteil durch kompakte Informationskästen zu bestimmten Einzelthemen (z. B. Schmuggelhandel, Märkte als Kommunikationszentren, Frauen auf Märkten). Dabei erweisen sich die eingebauten Händlerkarrieren nach dem von BANTLE (1994) für die libyschen Märkte in Tunesien vorgeschlagenen Muster als besonders geeignet, Dynamik und ökonomische Anpassungsfähigkeit der Wochenmärkte zu veranschaulichen.
Allgemeine Überlegungen zur Theorie periodischer Märkte werden in der vorgelegten Arbeit zwar angesprochen, treten insgesamt jedoch eher in den Hintergrund. Dabei wirkt erfreulich, dass nicht jedes Fallbeispiel gleich zur Entwicklung eines neuen Theorienmodells hochstilisiert wird, wie es sonst häufig genug der Fall ist. Aufbauend auf einem umfangreichen, räumlich wie zeitlich breit gestreuten Datenmaterial sowie ausgerüstet mit solidem methodischen Rüstzeug wird die Struktur der Wochenmärkte in repräsentativen Teilregionen des Jemen dokumentiert und analysiert. Dabei wird klar, dass die jemenitischen Wochenmärkte ein vitaler und dynamischer Teil der heutigen Handelsstrukturen und nicht etwa ein ökonomisches Auslaufmodell darstellen. Frühere Ansichten, die periodische Märkte eher als eine Zwischenstufe auf dem Weg von der Subsistenzwirtschaft zu marktwirtschaftlichen Strukturen interpretierten (WIRTH 1976), werden somit einmal mehr in Frage gestellt. Allgemein ist die derzeitige Situation der Wochenmärkte im Jemen gekennzeichnet durch eine fortschreitende Differenzierung des Warenspektrums und eine zunehmende Professionalisierung der Händler. Auffallend ist, dass bei gleichzeitiger Mobilitätssteigerung von Händlern und Marktbesuchern dennoch eine Verstetigung des Einzelhandels und eine Zunahme der permanenten Handelseinrichtungen (Bazargeschäfte, tägliche Märkte) bei allgemeiner Konzentration des Handelsvolumens auf einige wenige Standorte verzeichnet werden kann. Zu den jüngeren nicht-ökonomischen Merkmalen jemenitischer Wochenmärkte gehört vor allem deren Verlust der Funktion als Foren politischer Angelegenheiten.
Der besondere Wert der vorgelegten Studie über Wochenmärkte im Jemen liegt nicht nur darin, dass ökonomische Strukturen unterschiedlicher Landesteile sowie verschiedene zeitliche Momentaufnahmen dokumentiert und miteinander verglichen werden, sondern vor allem darin, dass die Analyse von Wochenmärkten auf ihre Eignung als Indikator für gesamtgesellschaftliche Veränderungen herangezogen wird.
Autor: Andreas Dittmann
Quelle: Erdkunde, 57. Jahrgang, 2003, Heft 1, S. 70