Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland. Hg. vom Institut für Länderkunde, Leipzig. Band 4: Bevölkerung.Mithg. von Paul Gans und Franz-Josef Kemper. 164 S. Heidelberg, Berlin 2001. 164 S.
Der vorliegende Band "Bevölkerung" ist Teil des auf 12 Bände konzipierten "Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland", der sich nicht als "Deutscher Nationalatlas" versteht und daher auch wohltuend auf Begrifflichkeiten aus dem Kontext "Volk und Nation" verzichtet. Der Band ist Spiegelbild einer seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts - nicht zuletzt durch WOLFGANG KULS initiiert - konsequent auf demographischer Fundierung neu konzipierten Bevölkerungsgeographie. Unter diesem Gesichtspunkt ist es allerdings bedauerlich, dass im Vorwort des Bandes sehr umständlich nach einer "griffigen" Definition des Terminus Bevölkerung gesucht wird. Die einzelnen Bände des Atlaswerkes, von dem inzwischen fünf erschienen sind, sollen für die gesamte Bundesrepublik Deutschland themenorientiert räumlich differenzierte Informationen präsentieren, die im vorliegenden Fall auch dokumentieren, welche Folgen die 40-jährige Trennung in zwei deutsche Teilstaaten gezeitigt und wie sich das Zusammenwachsen im vergangenen Jahrzehnt gestaltet hat.
Dem einleitenden Kapitel, das die Entwicklung der demographischen Komponenten in Deutschland seit der Reichsgründung analysiert und aktuelle Aspekte der Alterssicherung sowie der Raumordnung und Migration thematisiert, folgen fünf umfangreiche analytische Kapitel zu den Themenbereichen: Bevölkerungsverteilung und -entwicklung, Bevölkerungsstruktur, sozioökonomische Strukturen, natürliche Bevölkerungsentwicklung und Migrationen. Abgeschlossen wird der Band durch eine zusammenfassende Darstellung der gegenwärtigen Bevölkerungsstruktur und -dynamik sowie mit einem Ausblick auf die zukünftige Bevölkerungsentwicklung. Zu den einzelnen Teilkapiteln findet man im Anhang - sofern notwendig - erläuternde Anmerkungen sowie ein ausführliches Quellenverzeichnis mit Verweisen auf die aktuelle weiterführende Literatur. Entsprechend der Gesamtkonzeption des Atlaswerkes werden die einzelnen Themenbereiche durch eine gelungene Komposition von Text, Grafiken, Bildern und Karten hervorragend aufgearbeitet. Ein kleiner Wermutstropfen sind die gelegentlich umständlichen Formulierungen, vereinzelt merkwürdige Trennungen sowie kleinere Auslassungen im Text. Da ein Nationalatlas immer auch eine Repräsentationsfunktion zu erfüllen hat, wäre ein sorgfältigeres Lektorat angezeigt gewesen. Es ist zweifelsohne anerkennenswert, dass in den jeweiligen Kontexten wissenschaftliche Fachbegriffe in den blau unterlegten Kastentexten definiert werden, unverständlich bleibt jedoch, warum die Definition ein und desselben Begriffes z. T. variabel ausfallen muss (z. B. "generatives Verhalten" auf den Seiten 17, 76, 92 und 95). Möglicherweise wird der aufmerksame Leser auch etwas stutzig, wenn ihm die auf ZELINSKY zurückgehende Grafik des Mobilitätsübergangs auf den Seiten 22 und 126 unterschiedlich präsentiert wird. Warum fehlt im Register der Begriff "Mobilitätstransformation" (S. 126) und warum gibt es unter dem Begriff "Modell des Mobilitätsübergangs" nur einen Verweis auf Seite 22?
Diese und andere Fehler mindern nun aber die Qualität des ausgezeichnet gestalteten Bandes, der in weiten Teilen wie ein Begleitband zu einem Lehrbuch der Bevölkerungsgeographie anmutet, nur geringfügig. Durch das stets ausgewogene Verhältnis von Text und grafischen Elementen gelingt es den Autoren, wissenschaftliche Inhalte interessierten Laien fundiert zu vermitteln. Hier und da wird allerdings des Guten zu viel getan; etwa bei der Darstellung des "Bevölkerungspotenzials" und der "Mittleren jährlichen Veränderung des Bevölkerungspotenzials 1970-1998" (S. 40ff.) unter dem thematischen Schwerpunkt "Bevölkerungsverteilung und -entwicklung". Dabei handelt es sich eher um eine wissenschaftliche Fragestellung deren praktische Relevanz nur schwer vermittelbar ist. Die unverkennbare räumliche Korrelation mit der Autobahndichte hilft hier auch nicht weiter. Ein Verzicht auf diese Thematik hätte eine Vertiefung der unmittelbar anschließenden Analyse der "Bevölkerungsentwicklung in Europa" ermöglicht, denn es gehört nicht zuletzt zu den Vorzügen dieses Atlaswerkes, dass die bevölkerungsgeographischen Prozesse der Bundesrepublik Deutschland in den einzelnen Kapiteln immer in den europäischen Kontext eingebettet werden.
Die insgesamt sehr beachtenswerten Teilbeiträge zu Fragen der Alters- und Haushaltsstruktur, Frauenerwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit und sozialen Sicherung können ebenso zu einer Versachlichung der tagespolitischen Diskussion beitragen wie die Ausführungen über die Komponenten der natürlichen Bevölkerungsbewegung und die differenzierende Darstellung der Wanderungsbewegungen. Eine über die vorliegenden Beiträge hinausgehende tiefergreifende Analyse des Arbeitsmarktes und des Erwerbsleben ist offensichtlich dem noch nicht erschienenen Teilband "Arbeit und Lebensstandard" vorbehalten. Ob dieser Band auch Informationen über das Gesundheitswesen aufbereiten wird?
Dem Band "Bevölkerung" ist eine weite Verbreitung und dem Atlaswerk eine rasche Vollendung zu wünschen.
Autor: Hans Böhm