Heiko Schmid: Der Wiederaufbau des Beiruter Stadtzentrums. Ein Beitrag zur handlungsorientierten politisch-geographischen Konfliktforschung. Heidelberg 2002 (Heidelberger Geographische Arbeiten 114). 284 S.

HEIKO SCHMID legt mit seiner Dissertation eine in dreierlei Hinsicht bemerkenswerte Studie vor:
Erstens handelt es sich um eine solide, empirisch-stadtgeographische Arbeit, in der sowohl der Niedergang als auch der Wiederaufbau des im Bürgerkrieg nahezu total zerstörten Beiruter Stadtzentrums einschließlich der objektiv messbaren Rahmenbedingungen und unter besonderer Berücksichtigung von stadtplanerischen Leitlinien sauber dokumentiert wird (vor allem auf den Seiten 71-119). In Fortsetzung der Arbeiten von WIRTH 1966 und RUPPERT 1969 erhalten wir damit einen guten Einblick in die Entwicklung einer orientalischen Stadt über mehrere Jahrzehnte hinweg.

Das eigentliche Anliegen SCHMIDs besteht aber zweitens in einem Beitrag zur handlungstheoretisch fundierten politisch-geographischen Konfliktforschung. Dafür bietet das Beispiel Beirut reichlich Stoff, der freilich nicht leicht zu erschließen ist, was wohl der Hauptgrund für die Bearbeitungszeit von mehr als fünf Jahren sein dürfte. Ein solcher Ansatz legt das Schwergewicht auf die Analyse von Handlungsprozessen und ist deshalb kurzfristig gar nicht realisierbar. - Der hierzu in der Arbeit enthaltene Teil zu den theoretischen Grundlagen und den daraus abgeleiteten methodischen Überlegungen zur empirischen Operationalisierung (S. 5-70) kann in jeder Hinsicht als vorbildlich angesehen werden. Ebenso gut gelungen ist dann die empirische Konfliktanalyse selbst, die den Hauptteil der Arbeit einnimmt (S. 121-239). Hier gelingt es SCHMID ausgezeichnet, Interessen, Ziele und Machtpotentiale der am Wiederaufbau beteiligten Akteursgruppen und die daraus entstehenden Konflikte herauszuarbeiten. Stadtentwicklung - noch dazu in einem so spektakulären Beispiel des Neuaufbaus eines gesamten Zentrums - wird damit letztlich ganz klar als Ergebnis von Entscheidungen politisch handelnder Interessengruppen deutlich gemacht. Das ist zwar prinzipiell keine neue Erkenntnis, bringt aber unter dem theoretischen Ansatz der Konfliktforschung überraschend neue Einsichten in das Funktionieren "orientalischer" Gesellschaften.
Implizit erreicht SCHMID auf diesem Wege drittens eine Prozessanalyse der Beiruter Gesellschaft selbst, die sich nach den schmerzhaften Erfahrungen des Bürgerkrieges in der Transformation zu zivilgesellschaftlichen Formen befindet und damit - was eine interessante neue Forschungsfrage wäre - möglicherweise an Vorkriegs-Strukturen anknüpft.
Alle drei Aspekte machen die Dissertation SCHMIDs weit über den Kreis der "Orient-Stadtgeographen" hinaus äußerst lesenswert. Sie ist ein herausragendes und vorbildliches Beispiel dafür, dass sich genuin geographische Fragen der Raumgestaltung und Raumentwicklung letztlich nur mit Hilfe eines theoriegeleiteten, breiten und integrativ eingesetzten Spektrums methodischer Ansätze beantworten lassen. Handlungstheorie und Konfliktforschung bieten zweifellos auch in anderen Teilbereichen der Kulturgeographie Möglichkeiten für Erkenntnisfortschritte.    
Autor: Horst Kopp

Quelle: Erdkunde, 57. Jahrgang, 2003, Heft 2, S. 156