Bodo Freund: Hessen. Gotha, Stuttgart 2002 (Perthes Länderprofile). 384 S.

Die in den letzten Jahren zu beobachtende Renaissance der Landeskunde als geographisches Paradigma schlägt sich in einer beachtlichen Zahl länderkundlicher Darstellungen nieder, die inzwischen in fast allen einschlägigen Verlagen wieder ihren Platz eingenommen haben. Zu ihnen gehört auch die Reihe der Perthes Länderprofile, in der das vorliegende Werk über Hessen erschienen ist. Der Autor, obwohl seit einigen Jahren an der Berliner Humboldt-Universität tätig, ist aus seiner Zeit an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt als profunder Kenner vor allem des südhessischen Raumes ausgewiesen.

Dies kommt auch, um ein Ergebnis der Bewertung des Bandes vorwegzunehmen, in der starken Betonung Südhessens zum Ausdruck. Die einleitenden Kapitel sind zunächst der Frage nach der Identifizierbarkeit Hessens gewidmet. Dies ist ein geschickter Einstieg, ist Hessen doch in seinen heutigen Grenzen erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Die Diskussion wird auf drei Ebenen geführt: geschichtlicher Werdegang, historisch-kulturelle Gemeinsamkeiten und raum- und imageprägende Tätigkeit der Landespolitik. Dies ist im Ansatz nachvollziehbar und gerechtfertigt, jedoch hätte man sich eine stärkere Verknüpfung der Elemente im Sinne der übergeordneten Fragestellung gut vorstellen können.
Das zweite Hauptkapitel ist einer Überblicksbetrachtung Hessens unter den deutschen Bundesländern gewidmet. Der Vergleich zu den übrigen Bundesländern tritt dabei jedoch in den Hintergrund, von einigen Kartenübersichten abgesehen, deren Interpretation überwiegend dem Leser vorbehalten bleibt. Vielmehr geht es in dem Kapitel darum, einige Grundstrukturen Hessens aufzuzeigen. Dabei wird man eine etwas ausführlichere Darstellung der physischen Raumstrukturen vermissen. Morphologie und Geologie werden insgesamt fünf Textseiten gewidmet, dokumentiert durch eine Karte der naturräumlichen Gliederung Hessens. Böden, Hydrographie und Vegetation werden leider nicht eigenständig behandelt, auch nicht in Kartenübersichten, die beispielsweise bei Fragen der Landnutzung hätten eingefügt werden können. Diesem Thema wird dagegen ein großer Raum gewidmet, wobei es verdienstvoll ist, dass die prozessbedingten Veränderungen im Vordergrund der Betrachtung stehen. Leider sind die Kartendarstellungen nicht immer auf dem neuesten Stand (Ertragsmesszahlen 1983, Dauergrünland 1987, Bodennutzungssysteme 1991 usw.), wohl vor allem deshalb, weil jüngere Angaben nicht immer verfügbar sind. Auffällig in diesem Kapitel ist die starke Betonung der wirtschaftlichen Strukturen. Demgegenüber fehlt zum Beispiel eine Darstellung der Bevölkerungsentwicklung und -strukturen im Überblick. Hier ist man auf gelegentliche Hinweise in den regionalen Kapiteln angewiesen. Die regionale Betrachtung nimmt mit Abstand den größten Raum ein. Dabei ist die bereits angesprochene Unausgewogenheit auf den ersten Blick erkennbar. So werden dem Rhein-Main-Gebiet 175 Seiten, Mittelhessen dagegen lediglich 25 und Nordhessen 37 Seiten gewidmet. Ähnliches gilt auch für den Bildanhang. Natürlich geht es nicht darum, die Dominanz Südhessens in irgend einer Weise in Frage zu stellen. Allerdings ist die quantitative Diskrepanz der Behandlung so eklatant, dass sie doch nicht unerwähnt bleiben kann. Sie ist aber möglicherweise nur für einen Rezensenten aus dem mittelhessischen Marburg ein Problem.
Einige Unausgewogenheiten ergeben sich auch innerhalb der Kapitel. So erstreckt sich Teilkapitel 3.2.1. (Frankfurt am Main - alte Stadt, junger Aufstieg) über 50 Seiten, Teilkapitel 3.2.4. (Stadtgestalt und Stadtkultur) umfasst dagegen lediglich fünf Seiten. Etwas erschwerend für die Benutzung des Bandes ist die Tatsache, dass häufige Vermischungen kleinregionaler Beispiele mit landesweiten Übersichten erfolgen. Dies gilt auch für die Dokumentationsteile, insbesondere die Abbildungen, die auf diese Weise wenig systematisch in den Text eingegliedert sind. Ein Beispiel: Eine Karte zur landwirtschaftlichen Bodennutzung findet sich logisch richtig eingeordnet im Kapitel über die Landnutzung Hessens (S. 60), die landwirtschaftlichen Betriebssysteme Hessens werden dagegen im Zusammenhang mit der Behandlung des Kasseler Raumes am Ende des Bandes (S. 326) vorgestellt. Gelegentlich unterlaufen kleinere Nachlässigkeiten hinsichtlich der Daten, zum Beispiel in Tab. 4.1. (S. 268), wo die Jahreszahlen für die Wahlergebnisse in den Landkreisen Mittelhessens verwechselt wurden.
Der Versuch einer zusammenfassenden Bewertung ist nicht ganz einfach: Das Werk besticht durch eine bewundernswerte Vielfalt und Reichhaltigkeit an Informationen über Hessen, mit vielen Detailkenntnissen, die nur aus einer langen Beschäftigung mit dem Raum erklärbar sind. Sicherlich ist es auch ein Ergebnis zahlreicher Lehrveranstaltungen (Vorlesungen, Seminare, Exkursionen), die hier ihren Niederschlag gefunden haben. Die angesprochenen Unausgewogenheiten in der sachlichen und regionalen Behandlung machen eine gewisse Eingewöhnung bei der Lektüre notwendig, jedoch schmälert dies kaum den Wert der Arbeit, die künftig eine wichtige Informationsressource über Hessen darstellen wird und die auch über die regionalgeographische Betrachtung hinaus interessante Diskussionsansätze liefert.
Autor: Alfred Pletsch

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie, Jg. 47 (2003) Heft 2, S.131-132