Manfred Janssen und Frank Sibohm (Hg.): Perspektiven der europäischen Integration - Sozioökonomische, kulturelle und politische Aspekte. Opladen 2000 (Forschungen zur Europäischen Integration, Band 1). 229 S.

Der vorliegende Sammelband referiert Ergebnisse eines von der Hans-Böckler Stiftung geförderten Promotionskollegs zum Thema "Europäische Integration" an der Universität Osnabrück. Das Buch enthält nach einem Vorwort von Werner Fiedler (Leiter der Promotionsförderung) ein für die Konzeption des Bandes zentrales Einleitungskapitel der Herausgeber. Sie skizzieren hier kurz diejenigen Dimensionen der Europa-Integration, die den thematischen Spannungsbogen des Kollegs bilden und stellen danach die Autoren und Teilbeiträge des Bandes im Gesamtkontext vor. Integration meint hier nach dem Verständnis der Herausgeber die sukzessive Fusion nationalstaatlicher Kompetenzen in einem "supranationalen Institutionensystem" mit dem Ziel des Übergangs "von vormals nationalstaatlichen Gesellschaften zu einer europäischen Gemeinschaft" (Janssen/Sibom, S. 9).

Bereits hier wird die Generalperspektive des Projektes deutlich: Die europäische Integration stellt sich den Wissenschaftlern als Machbarkeitsproblem, dem "in der Realität" Implementationsprobleme in verschiedenen Dimensionen gegenüberstehen. Eine Einbindung poststrukturalistischer Ansätze, die das Phänomen der europäischen Integration eher diskursanalytisch konzeptionieren und untersuchen, erfolgt hier nicht.
Das Buch repräsentiert mit seinen Beiträgen die erfreuliche interdisziplinäre Breite des Kollegs, die von der Geographie über die Politik- und die Sozialwissenschaften bis zu den Erziehungswissenschaften reicht. In der Heterogenität der Perspektiven wird deutlich, wie viele und verschiedene Segmente gesellschaftlicher und politischer Strukturierung durch den europäischen Integrationsprozess berührt und beeinflusst werden, und wie weit diese Veränderungen von der Politik über Arbeit und Bildung bis in die Alltagskultur der Menschen hineinreichen. Die einzelnen Teilbeiträge sind, wie das in einem Sammelband unvermeidlich ist, von unterschiedlicher Qualität. Inhaltlich lassen sie sich zwar grob den im Untertitel des Buches umrissenen Themenfeldern Kultur, Sozioökonomie und Politik zuordnen, die Fokussierung der Artikel ist dann aber sehr differenziert und reicht - den Fragestellungen der verschiedenen Projekte entsprechend - von eher konzeptionell und allgemein angelegten bis zu sehr speziellen, praxisorientierten Untersuchungen. Im einzelnen werden nach einem allgemeineren Beitrag über die "Wissens- und Informationsgesellschaft als politisches Leitbild gesellschaftlicher EUIntegration" (Frank Sibom) v.a. drei inhaltliche Aspekte erörtert:
- der erste Block beschäftigt sich mit dem Themenfeld Arbeitsmärkte und Mobilität (Manfred Janssen) sowie mit Fragen der Arbeitspolitik (Gewerkschafts- und Lohnpolitik: Alexandra Baum; französische Streikbewegung 1995: Maike Koops)
- der zweite Block diskutiert zwei Teilaspekte des Themenfeldes Bildung: die bildungspolitische Verankerung der Interkulturalität in den Mitgliedsstaaten (Birgit Steckelberg) sowie schulische Aspekte der Integration am Beispiel des Jenaplans (Udo Lünnemann)
- der dritte Block enthält Beiträge zum Themenfeld der politischen Integration. Hier geht es im einzelnen um die Innere Sicherheit (Wilhelm Knelangen), die Europäisierung der Parteien (Joey-David Ovey) und um die Umweltpolitik (Iris Weber)
Was der Einführung und auch einem Teil der Beiträge fehlt, ist eine Einordnung und vergleichende Einbindung der Ansätze des Osnabrücker Kollegs in das doch mittlerweile sehr breite Feld der Forschungen zur europäischen Integration. Nicht nur auf internationaler Ebene, sondern gerade auch in Deutschland sind hier interessante Projekte vorhanden, die teilweise komplementäre, teilweise aber auch kontrastierende Konzepte anbieten. Erinnert sei nur beispielhaft an die Publikationen aus dem DFG-Schwerpunktprogramm "Regieren in entgrenzten Räumen", dass unter der Federführung der Mannheimer Politikwissenschaftlerin Beate Kohler-Koch vor allem im Bereich der politischen Integration konzeptionelle Meilensteine gesetzt hat und mittlerweile in seine zweite Phase gegangen ist. Ein kurzer Abriss und eine kritische Standortbestimmung in Relation zu solchen und ähnlichen Projekten hätte hier gut den Anschluss des eigenen Kollegs an den Forschungsstand in der interdisziplinären und internationalen Scientific Community herstellen können.
Das Buch ist damit insgesamt vor allem empfehlenswert für Leser, die bereits ein allgemeines Vorverständnis über das Forschungsfeld der europäischen Integration mitbringen und sich auf dieser Grundlage für Ergebnisse der oben skizzierten, spezielleren Forschungsfragen interessieren, die im Rahmen des Osnabrücker Promotionskollegs behandelt worden sind.
Autor: Paul Reuber  

Quelle: Geographische Zeitschrift, 91. Jahrgang, 2003, Heft 1, Seite 54-55