Helmut Hildebrandt: Ausgewählte Schriften zur Historischen Geographie deutscher Landschaften. Quellen der Überlieferung - funktionale Strukturen - Prozesse und determinierende Kräfte - aktuelles Bildungspotential. Mainz 2003 (Mainzer Geographische Studien 48). 286 S.

HANS BECKER trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er in seiner Einführung zu diesem Band ausgewählter Schriften des inzwischen emeritierten Mainzer Geographieprofessors HELMUT HILDEBRANDTs schreibt, dass dessen Oeuvre die verschiedenen Paradigmenwechsel der historisch-geographischen Forschung in den letzten drei Dekaden in Deutschland trefflich nachzeichne. Aus der um 1970 ausklingenden Phase der Dominanz der auf die Erklärung heutiger Raumzustände aus der Vergangenheit zielenden genetischen Kulturlandschaftsforschung stammen zwei Beiträge: der erste zu den Grundzügen der ländlichen Besiedlung in nordhessischen Buntsandsteinlandschaften im Mittelalter, der zweite zur Genese von Breitstreifenaltfluren in Hessen.

Mancher dahinter stehende Forschungsstreit mutet uns heute geradezu als Muster abgehobener akademisch-weltfremder Diskussionen an, obwohl die Objekte der Diskussion noch in denr Landschaften vielfach sichtbar waren und durchaus einer Erklärung bedurften. Im Nachhinein zeigt sich, dass nicht die Fragestellungen an sich falsch waren, vielmehr die methodischen Zugängen zeittypisch allzu eng, und zudem verhinderte wohl bisweilen die Diskussion in einer von Autoritäten bestimmten Atmosphäre andere, offenere Ergebnisse. Der Wert solcher landeskundlicher Grundlagenforschung zeigt sich heute auch in der gleichsam indirekten Inventarisierung von traditioneller Landschaftsstrukturen zu einem Zeitpunkt, als sie noch weitgehend intakt waren.  
Nach der harschen und in vielem berechtigten Kritik an den Inhalten und Methoden der traditionellen Kulturlandschaftsforschung (und auch am Gehabe mancher ihrer VertreterInnen) in den ausgehenden 1970er Jahren ging HILDEBRANDT nicht den Weg vielermancher, sich dem Zeitgeist gemäßere Themen zu suchen. Vielmehr wandte er sich verstärkt Zeiten und Fragestellungen zu, in denen er eher den Historiker als den Kollegen aus dem eigenen Institut als Gesprächspartner fand, denn die Anbindung an gegenwärtige Verhältnisse wurde erst gar nicht mehr versucht. Entsprechend dominierten nun die Archivalien als Erkenntnisquelle. Dafür steht zum einen der manche überkommene Vorstellung revidierende Beitrag zu den historischen Feldsystemen in Mitteleuropa in der Zeit vom 9.-11. Jh., zum anderen ein mit MARTIN GUDD verfasster Aufsatz zu Getreidebau, Missernten und Witterung im Vogelsberg während des 16. und frühen 17. Jhs. Der letztgenannte Beitrag zeigt aber auch schon einen Weg gleichsam zurück in die Geographie über die historische Klima- und Witterungsforschung unter Einsatz naturwissenschaftlicher Methoden.  
Der letztlich nie aufgegebene morphographische Ansatz öffnete schließlich den weiterhin historisch-arbeitenden Geographen seit den frühen 1990er Jahren den Weg hin zu einer Anwendung historisch-geographischen Wissens in der räumlichen Planung. Auch zur Entwicklung dieses Feldes hat H. HILDEBRANDT Wichtiges beigetragen. Hier sind zu nennen die Fortentwicklung von Methoden zur Inventarisierung persistenter Strukturen und Elemente und deren Vermittlung an eine breitere Öffentlichkeit mit dem Ziel eines pfleglichen Umgangs damit - dafür steht ein Landschaftsführer über Geländedenkmäler am Landgraben von Zimmerschied bei Nassau an der Lahn - sowie Empfehlungen zur Kulturlandschaftspflege unter Wald - dafür stehen Thesen zu einer historisch-geographischen Fachplanung im Rahmen der Forsteinrichtung.       
Bei allen Veränderungen zeichnet sich das Werk HILDEBRANDTs durch eine bemerkenswerte Geschlossenheit aus. Die Konzentration auf ländliche Mittelgebirgsräume im weiteren Umfeld von Mainz erlaubten ihm die Vertiefung ins Detail bei gleichzeitiger beständiger Ausweitung des Methodenspektrums. Es ist dem Mainzer Geographischen Institut zu danken, diese paradigmatische Entwicklung eines Forscherlebens in einer repräsentativen Sammlung von Aufsätzen dokumentiert und damit zugleich manch versteckten Beitrag leichter zugänglich gemacht zu haben.
Autor: Winfried Schenk

Quelle: Erdkunde, 57. Jahrgang, 2003, Heft 4, S. 334-335