Stefan Krätke (Hg.): Medienstadt. Urbane Cluster und globale Zentren der Kulturproduktion. Opladen 2002. 267 S.
Die Entwicklung in Richtung einer "Informationsgesellschaft" wird in der raum- und wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion u. a. mit der Entstehung eines eigenständigen, "neuen" ökonomischen Sektors assoziiert. Dieser neue Sektor dockt zugleich an traditionellen Wirtschaftszweigen an: insbesondere den Medien (Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen) und den kulturellen Institutionen wie beispielsweise der Kunst, der Musik oder den Museen und ihrer marktförmigen Vermittlung. Diese Bereiche vermischen sich mit denen der neuen Medien und der Werbewirtschaft im Bild einer "Kulturindustrie" neuen Typs. Sie wird in der vorliegenden Abhandlung von Krätke auch als eine der Leit-Industrien des 21. Jahrhunderts (Hervorh. im Original) bezeichnet: indem sie die Inhalte ("content") liefert, die dann mit Hilfe der neuen Technologien verbreitet, ausgetauscht und kommerziell vertrieben werden.
Die Überformung der traditionellen Medienlandschaft mit neuen Technologie- und Wertschöpfungssektoren ist durch zwei Merkmale gekennzeichnet. Zum einen ging und geht sie einher mit der Herausbildung eines neuen kulturellen Leitmilieus - vorwiegend bestehend aus coolen jungen Leuten, tätig eben in alten und neuen Medien, bei Werbeagenturen, in Film-, Musik- und Kunstproduktion, aber auch bei Webdesignern, Softwarehäusern, IT-Dienstleistern etc. Diese spezifischen Lifestyle-Gruppen, die im Kontext der New Economy schon Gegenstand regelrechter Mythenbildung waren, unterscheiden sich von tradierten Arbeitsmilieus auch in Dienstleistungsberufen recht deutlich (Meschnig, Stuhr 2001; Thrift 2000). Zweitens wird die These vertreten, dass mit der Entstehung der neuen Medien und Kulturproduzenten auch spezifische Raumansprüche verbunden seien. Diese würden sich idealtypisch in Technologiezentren, in High-Tech Business Parks oder ähnlichen Standorten niederschlagen, wie etwa im Silicon Valley in Kalifornien oder entlang der Route 128 um Boston/Massachusetts, wo zahlreiche der Unternehmen der Soft- und Hardwareentwicklung und -fertigung ansässig sind. Diese These galt aber auch in besonderer Weise für die sogenannten kreativen "Districts" großer Städte. Unter ihnen gelten etwa Los Angeles, San Francisco und New York City (insbes. Manhattan) in den USA bzw. Paris, London oder München und Berlin für Europa als prototypisch. Solcherart urbane Affinitäten der kreativen Milieus wurden mittlerweile in einer größeren Zahl von Fallstudien nachgewiesen, ganz gleich ob es sich um traditionelle Sektoren wie das Verlagswesen oder aber die Internet-"content production" handelt (vgl. Zook 2000).
In der Bewertung und Erklärung dieser Prozesse werden verschiedene Diskussionsstränge zusammen geführt: zum einen der Kontext neuer Technologien und die damit verbundene Weiterentwicklung des tertiären Sektors, zum anderen regionalwissenschaftliche bzw. wirtschaftsgeographische Ansätze, die sich mit Agglomeration und Urbanisierung, mit Industriedistrikten und wissensbasierten, kreativen Milieus befassen. Schließlich werden die analysierten Entwicklungen auch in den Zusammenhang der Globalisierung und der Herausbildung von Global Cities gestellt, die als dominante Netzknoten der neuen Ökonomie gesehen werden. Stefan Krätke bezieht sich in seiner Monographie zur "Medienstadt" auf diese theoretischen Hintergrundfiguren, und eine der Leistungen dieser Schrift ist es sicherlich, diese grundverschiedenen Facetten zu einem recht kohärenten Gesamtbild zusammen zu fügen.
Das Buch gliedert sich in mehrere Teile. In den ersten drei Kapiteln wird dieser umfassende theoretische Bezugsrahmen aufgearbeitet, was auf eine fundierte und zugleich lesefreundliche Weise geschieht. Kapitel 3 umfasst, gewissermaßen als Abschluss dieses ersten Teils, eine institutionelle Ordnung der Kulturindustrie. Deren verschiedenen Elemente werden nach Wertschöpfungsstruktur, Vermarktungsbedingungen und Arbeitsteilung unterschieden. Dabei werden auch bereits einige zentrale Grundwidersprüche und Konfliktlinien der Kulturindustrie deutlich, etwa zwischen dem Anspruch, individuelle Produkte mit Originalitätsanspruch ("Schöpfungen") massenhaft vermarkten zu wollen, oder die Taylorisierung der einzelnen Formate, die im Ergebnis zu völlig trivialen Endlosschleifen führen (Rambo I-IV, Big Brother oder Rateshows auf allen Kanälen). Auch die Kannibalisierung der mitunter konkurrierenden Vertriebswege von annähernd identischen Informationen durch die gleichen Akteure (Bsp. Tageszeitungen per print und on-line) gehört hierzu.
Mit Kapitel 4 beginnt der empirische Teil des Buchs. Dieser basiert zum einen auf zwei lokalen Fallstudien zur Filmwirtschaft in Potsdam-Babelsberg und zum kulturökonomischen Komplex (neudeutsch "Cluster") in der Berliner Innenstadt. Beide Komplexe sind sowohl überregional vernetzt als auch miteinander verbunden und bauen auf verschiedenen historischen Entwicklungspfaden ihres Standortes auf. Die beiden Fallstudien werden ergänzt durch zwei Untersuchungen auf der Ebene des Städtesystems: einer Analyse zur regionalen Verbreitung der Kulturökonomie in Deutschland, deren Schwerpunkte bekanntlich in den Metropolregionen Berlin, München, Hamburg und Köln liegen; einer empirischen Darstellung des Netzwerkes der "World Media Cities" - also solcher Metropolen unter den Global Cities, die besondere Affinitäten zur Kulturökonomie aufweisen. Dazu gehören hier sowohl die traditionell als World- oder Global City klassifizierten Städte Los Angeles, New York, London, Paris und Tokyo. Anhand des Datenmaterials der "Globalization and World Cities" Study Group (GaWC) der Loughboro University, England, werden auf unterschiedlich definierten und abgegrenzten Skalenniveaus auch sogenannte Beta- oder Gamma-"World Media Cities" dargestellt, wie Amsterdam, Budapest, Chicago, Madrid, Prag, Toronto, u.v.a.m. In Deutschland zählen vor allem die bereits genannten Groß- bzw. Millionenstädte dazu, aber auch Frankfurt/Main, das aufgrund seines starken Besatzes mit unternehmensnahen Dienstleistern der Medienwirtschaft den Status einer Beta-World City zugewiesen bekommt.
Ein abschließendes Kapitel subsumiert den Erkenntnisstand der empirischen (Fall-)Studien und diskutiert die Frage, inwieweit es eine Konvergenz von "Urbanität und Medienszene" gibt, wobei mit letztgenanntem Begriff vor allem die bereits genannten Lifestyle-Typen bzw. sozialen Milieus im Mediensegment der New Economy gemeint sind. Soweit diese Frage skizzenhaft beantwortbar erscheint, wird sie vom Autor bejaht. Die These von der Konvergenz bündelt sich in der unterstellten Beziehung zwischen dem Prozess der Globalisierung an sich sind der Entwicklung der Kulturindustrien, die in aller Regel städtische Industrien bzw. - vielleicht passender - Wertschöpfungsnetze sind.
Das Buch liefert einen guten Überblick über die Elemente und Rahmenbedingungen der Medienwirtschaft und ihre räumliche Ausformung, insbesondere mit Blick auf Metropolregionen und Städte. Die einzelnen Kapitel sind theoretisch wie empirisch fundiert und werden in einer gut lesbaren Form präsentiert. Dieser vorzügliche Gesamteindruck des Werks lässt es gerade auch für Einführungszwecke etwa in der Lehre geeignet erscheinen. Für vertiefende Interessen eignen sich zudem parallele Aufsatzpublikationen des Autors zum gleichen Thema.
Literatur
Meschnig, A., Stuhr, M. 2001: www.revolution.de. Die Kultur der New Economy. Berlin.
Thrift N. 2000: Performing Cultures in the New Economy. In: Annals of the Association of American Geographers, December, vol. 90 (4). S. 674-692.
Zook, M. A. 2000: The web of production: the economic geography of commercial Internet content production in the United States. In: Environment and Planning A, vol. 32. S. 411-426.
Autor: Markus Hesse