Gunter Maier, Franz Tödtling: Regional- und Stadtökonomik 1: Standorttheorie und Raumstruktur. Heidelberg u.a. 3. aktualisierte Aufl. 2001.

Gunter Maier, Franz Tödtling: Regional- und Stadtökonomik 2: Regionalentwicklung und Regionalpolitik. Heidelberg u.a., 2. erweiterte Aufl. 2002.

Über Regional Science oder Regionalökonomik zu schreiben heißt derzeit, über ein Paradoxon zu berichten. Einerseits haben die Wirtschaftswissenschaften den Raum neu entdeckt ("spatial turn in economics"). Michael Porter trug und trägt als Betriebswirt maßgeblich zur globalen Popularisierung des Clusterkonzepts bei - und erntet damit, was andere lange vor ihm in Form von Theorien gesät haben. Der die Variable Raum bis dato weitgehend ignorierende Volkswirt Paul Krugman begründet, ähnlich erfolgreich wie Porter, in Wissenschaft und Politik eine New Economic Geography - und bedient sich dabei Jahrzehnte zuvor von der Regional Science entwickelter Erkenntnisse. Andererseits profitiert die Regionalökonomik, deren Kernthema räumliche Sachverhalte der Ökonomie sind, erstaunlich wenig von diesem rational gut nachvollziehbaren Bedeutungsgewinn.

Die Anzahl entsprechend ausgerichteter Lehrstühle nimmt im deutschsprachigen Raum eher ab, spezialisierte Tagungen verlieren an Attraktivität und die Zahl der Lehrbücher ist bestenfalls konstant, was zumindest nicht auf eine steigende Nachfrage bei Studierenden schließen lässt. Zu den positiven Beispielen derartiger Lehrbücher im deutschsprachigen Raum zählen die beiden Bände der an der Wirtschaftsuniversität Wien tätigen Ökonomen Maier und Tödtling. Beide Bücher verdienen angesichts der genannten Rahmenbedingungen allein schon deshalb Beachtung, weil sie mittlerweile in dritter bzw. zweiter Auflage vorliegen. Die inhaltliche Struktur des ersten Bandes blieb gegenüber den ersten Auflagen unverändert. Unter anderem werden die unternehmerische Standortwahl, die Rolle der Transportkosten in der neoklassischen Standorttheorie, einige behaviouristische Konzeptionen der Standorttheorie sowie Strukturen der Bodennutzung auf jeweils ca. 25 Seiten vorgestellt. Diese Kapitel enthalten, ebenso wie die beiden abschließenden, sich der Siedlungsstrukturen und der Stadtentwicklung widmenden, wenig Neues, aber viel Richtiges.
Insbesondere für Wirtschaftsgeographen lohnender dürfte die Lektüre der zweiten, nicht unwesentlich erweiterten Auflage des zweiten Bandes sein, der mit "Regionalentwicklung und Regionalpolitik" untertitelt ist. Die Grundpositionen der neoklassischen Standorttheorie und der Polarisationstheorie werden anschaulich und angemessen umfangreich präsentiert. Neu ist ein Kapitel zur endogenen Wachstumstheorie und zur New Economic Geography. Hier gelingt den beiden Autoren das Kunststück, formalisierte Modelle von beträchtlicher Komplexität überwiegend in sprachlicher Form verständlich zu erklären, so dass auch mathematisch durchschnittlich versierte Studierende der Wirtschaftswissenschaften und relevanter Nachbardisziplinen die Inhalte genuss- und erkenntnisreich konsumieren können. Die formale Darstellung mancher Modelle kann der interessierte Nutzer in den Materialien zu den Lehrbüchern im Internet nachlesen. Allerdings hätte sich der Rezensent insbesondere das nur zwei Seiten umfassende Kapitel zur New Economic Geography etwas umfassender gewünscht. Weiterhin hochaktuell ist das Thema des längsten Kapitels ("Innovationenansatz"), auch wenn es inhaltlich kaum verändert wurde. Komplett verändert wurde dagegen das Kapitel zur Praxis der Regionalpolitik, das trotz seines Schwergewichtes auf Österreich mit der Skizzierung der Regionalpolitik der Europäischen Union Standardinhalte beispielsweise wirtschaftsgeographischer Grundlagenvorlesungen aktuell wiedergibt. Aus didaktischer Perspektive gefällt an beiden Bänden, dass die Autoren jedes Hauptkapitel knapp zusammenfassen und einige wenige Übungsaufgaben und Kontrollfragen auflisten. Studierende werden auch die Website zur Unterstützung der Lehrbücher goutieren, die unter anderem ergänzende Informationen zu den Buchinhalten, Korrekturen und die Möglichkeit zur Kommunikation mit dem Nutzer anbietet (http://www-sre.wu-wien.ac./lehrbuch).
Wie für alle Lehrbuchautoren stellt sich auch für Maier und Tödtling das Aktualitätsproblem. Natürlich kann ein Lehrbuch nie die Aktualität etwa von Zeitschriftenaufsätzen aufweisen, was auch nicht notwenig ist. Bei ausreichend kurzen Produktzyklen, sprich: vielen Neuauflagen, gibt es schließlich ausreichend Gelegenheit zur Aktualisierung. Dies scheint derzeit in der Regional Science oder der Regionalökonomik nach Meinung der Autoren stärker vonnöten zu sein als während der vergangenen fünf Dekaden, seit Walter Isard das "spaceless wonderland" des bis dato dominierenden ökonomischen Mainstreams entzauberte. Für weitere Neuauflagen wäre zu wünschen, dass die Autoren neue Entwicklungen etwas umfassender rezipieren. Derzeit bilden in den Literaturverzeichnissen beider Bände, besonders auffällig aber im ersten Band, nach 1990 erschienene Publikationen die seltene Ausnahme. Inhaltlich hätte der Rezensent erwartet, dass die Erkenntnisse zu "knowledge spillover" wenigstens kurz thematisiert worden wären. Grundsätzlich sei angeraten, darüber nachzudenken, ob in zukünftigen Auflagen die bisherige Schwerpunktsetzung auf regional relevante Theorien und - deutlich schwächer - auf Regionalpolitik um einen dritten Aspekt ergänzt werden könnte: Methoden der empirischen Standort- und Regionalforschung. Abgesehen von einer Präsentation der regionalen Input-Output-Analyse, an einer zudem etwas ungewöhnlichen Stelle des ersten Bandes (es geht dort um nachfrageorientierte Ansätze zur Erklärung von Regionalentwicklung), findet der Leser keinerlei Hinweise auf spezifische Methoden. Schließlich ist der Teiltitel "Stadtökonomik" etwas irreführend, da dieses Themengebiet gegenüber der Regionalökonomik quantitativ stark in den Hintergrund getreten ist.
In gewisser Hinsicht bestätigt die Struktur beider Bände das eingangs geschilderte Paradoxon. Es gelingt nur partiell, die gestiegene Relevanz des Räumlichen im Ökonomischen durch entsprechende Auswahl an Theorien, politischen Implikationen und Beispielen zu verdeutlichen. Neu in dieses Fachgebiet einsteigende Studierende, die die aktuelle Debatte um die New Economic Geography in den Wirtschaftswissenschaften und in der Wirtschaftsgeographie nicht kennen, erfahren nur wenig von der Lebhaftigkeit dieses wissenschaftlichen Diskurses, wenn sie allein diese beiden Lehrbücher lesen. Sie erfahren aber sehr viel über teils recht alte Ansätze der Regional Science, deren Bedeutung in Lehre, Forschung und regionalpolitischer Praxis seit ihrer Hochzeit in den fünfziger und sechziger Jahren erheblich abgenommen hat. Hier ist den Autoren noch mehr Mut bei der Ersetzung alter durch neuere Inhalte zu wünschen. Bei zu erwartenden weiteren Auflagen sollte dies nachgeholt werden. Die Inhalte beider Lehrbücher sind für Studenten, Lehrende und Wissenschaftler all jener Disziplinen von Interesse, die bei der Erklärung von Regionalentwicklung nicht auf ökonomische Theorien verzichten wollen und die an ökonomischen Theorien insbesondere die räumliche Komponente interessiert. Wirtschaftswissenschaftlern und Wirtschaftsgeographen, aber auch Stadt- und Regionalsoziologen sowie Politologen mit entsprechender Spezialisierung bieten beide Bücher auch in ihren Neuauflagen einen lesenswerten, leicht verdaulichen Überblick zu Standorttheorie, Raumstruktur, Regionalentwicklung und Regionalpolitik.
Autor: Rolf Sternberg

Quelle: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie Jg. 47 (2003) Heft 3/4, S. 268-269