Marit Rosol: Gemeinschaftsgärten in Berlin. Eine qualitative Untersuchung zu Potenzialen und Risiken bürgerschaftlichen Engagements im Grünflächenbereich vor dem Hintergrund des Wandels von Staat und Planung. Berlin 2006. 384 S.
„Gemeinschaftsgärten“ sind hierzulande kein allzu weit verbreitetes Phänomen, ja sogar der Terminus, eine Übersetzung des in Nordamerika gängigen community gardens, ist unüblich. In ihrer Dissertation demonstriert Marit Rosol, warum die Beschäftigung mit diesem speziellen Typus des urbanen Freiraums gleichwohl auch für die deutschsprachige Stadtgeographie interessant und relevant ist. Ihre zentrale Frage dabei lautet: „Welchen Beitrag können Gemeinschaftsgärten zur Lösung der Krise des öffentlichen Grüns leisten?“ (3).
Neben der umfangreichen und für sich genommen aufschlussreichen Empirie zu Berliner Gärten sind m. E. insbesondere zwei Leistungen dieser Arbeit hervorzuheben: erstens die abduktiv hergeleitete Definition von „Gemeinschaftsgärten“ im bundesdeutschen Kontext und zweitens die Diskussion der Gärten im Kontext sich wandelnder Staatlichkeit.
Da Rosol bei der Definition von „Gemeinschaftsgärten“ in der deutschsprachigen Literatur auf keine wissenschaftlichen Untersuchungen oder auch nur gegenstandsadäquaten Vorschläge zurückgreifen kann, arbeitet sie zunächst Charakteristika und Funktionsweisen von Gemeinschaftsgärten heraus. Diese Pionierarbeit erfolgt in abduktiver Weise, d. h. die wesentlichen Bestimmungen werden empirisch aus der Untersuchung von neun Berliner Gärten (sowie 14 weiteren im „erweiterten Sample“) abgeleitet und anschließend im Kontext der je relevanten Fachliteratur diskutiert. Auf der Basis von insgesamt 31 problemzentrierten Interviews mit verschiedenen Akteuren (Gärtner/innen, Politik und Verwaltung, Wissenschaftler/innen) und in Abgrenzung zu anderen Freiraumtypen definiert Rosol Gemeinschaftsgärten als Freiflächen, die „durch eine gärtnerische Nutzung, eine gemeinschaftliche Pflege der Flächen und die Orientierung auf eine allgemeine Öffentlichkeit gekennzeichnet sind“ (2). Mit „gemeinschaftlicher Pflege“ ist dabei ein Betrieb der Flächen gemeint, der „weder durch die öffentliche Hand noch privat-individualisiert, sondern gemeinschaftlich und ehrenamtlich in einer Gruppe erfolgt“ (37). Bezüglich der „Orientierung auf eine allgemeine Öffentlichkeit“ gilt, dass die Gärten – wie alle öffentlichen Räume – nicht gleichermaßen für alle zugänglich sind, sondern je unterschiedliche Exklusionen produzieren (209f.).
Die Gemeinschaftsgärten sind damit im Aushandlungsbereich zwischen „öffentlich“ und „privat“, zwischen Staat und Bürger/innen angesiedelt, weshalb Rosol sie in den Kontext sich wandelnder Staatlichkeit und Planung stellt. Eine Neuaushandlung der Grenze privat/öffentlich wurde in den vergangenen rund 20 Jahren wegen der Neubestimmung staatlicher Aufgaben im Rahmen seiner Neoliberalisierung notwendig. Diese hat zudem, wie Rosol zeigt, auch überhaupt erst zur „Krise des öffentlichen Grüns“ geführt hat. In Berlin ist die Finanzierung der Grünflächenversorgung seit 1996 massiven Kürzungen unterworfen, was sich in einer quantitativen und qualitativen Verschlechterung der Versorgungssituation niederschlägt (96-106). Weil gleichzeitig geplante Infrastrukturprojekte aus Gründen der Kostenersparnis eingefroren werden, entstehen städtische Brachen, die einer Zwischennutzung zugeführt werden sollen (206).
In dieser Situation wird bürgerschaftliches Engagement vom Senat und den Bezirksämtern als potentieller Lückenbüßer entdeckt, der in den entstandenen Brachflächen und anderswo die heruntergefahrene städtische Grünversorgung ausgleichen soll (110-112). Diese neue Offenheit gegenüber den freiwillig Gärtnernden unterscheidet sich fundamental von den Erfahrungen, die etwa die Aktivistinnen des „Kinderbauernhof Mauerplatz“ in den 1980er Jahren machen mussten, als ihr Versuch „im dicht bebauten Kreuzberg einen pädagogisch betreuten grünen Freiraum vor allem für Kinder zu schaffen“ (164) alles andere als willkommen war. Dass dem heute nicht mehr so ist, liegt offenbar weniger an plötzlichen Sympathien für derartige links-alternative Projekte als vielmehr daran, dass vom Berliner Senat die „Förderung von Freiwilligenengagement […] in direktem Zusammenhang mit einem gewandelten Staatsverständnis gebracht [wird]“ (107). Mit dem Rückzug des Staates bzw. Berlins aus der Grünflächenversorgung entsteht somit eine Situation, die „einerseits Freiräume für BewohnerInnen schafft, andererseits auch die Gefahr einer Abwälzung bislang staatlicher Aufgaben sowie eine ungleiche Versorgung mit öffentlichen Freiräumen befürchten lässt“ (2).
Die Erwartungen des Staates an die Gärtner/innen und ihr „bürgerschaftliches“ oder besser „freiwilliges Engagement“ kontrastiert Rosol mit den Motivationen der Gemeinschaftsgärtner/innen selbst. Unter ihnen findet sie drei Motivationstypen: erstens die gärtnerisch Motivierten, für die die praktische Arbeit (z. T. in Verbindung mit pädagogischen Ansprüchen) im Vordergrund steht; zweitens die durch die (gesellschaftlichen) Freiräume Motivierten, denen es primär um die sozialen und z. T. politischen Aspekte der Gemeinschaftsgärten geht; drittens die „Treuen“, für die das Engagement aus Verantwortungsgefühl und Gewohnheit zu einer Art Selbstzweck geworden ist.
Diese Motivlagen sind nicht in Übereinstimmung zu bringen mit den Erwartungen der Bezirksverwaltungen, denen es primär um eine „Abgabe von Pflege- und Hilfstätigkeiten und einen damit verbundenen Entlastungseffekt“ (239) geht. Denn die aus sozialen oder pädagogischen Gründen Gärtnernden würden „keinesfalls in einem hierarchischen, von außen gesteuerten Projekt mitarbeiten“ (267). Eine Gärtnerin wird mit den Worten zitiert: „Also, nur um sauber zu machen, Dreck wegzuräumen und so, das kann nicht der Spaß sein.“ (276f.) Neben dieser Motivlage stehen aber dem Outsourcing an Freiwillige auch handfestere Gründe entgegen. Denn ohne juristische, organisatorische und (wenn auch geringe) finanzielle Unterstützung seitens der Stadt wäre ein Großteil der Gartenaktivitäten gar nicht möglich (273-278).
Aus diesen Gründen und bezogen auf ihre zentrale Fragestellung hält Rosol Gemeinschaftsgärten abschließend nur dann für einen Beitrag „zur Lösung der Krise des öffentlichen Grüns“, wenn die Gärtner/innen seitens Politik und Verwaltung nicht – negativ – als bloße Lückenbüßer/innen für vormals öffentliche Aufgaben und als Möglichkeiten des Geldsparens angesehen werden, sondern wenn sie – positiv – als Beitrag zur Grünversorgung betrachtet und entsprechend behandelt werden. Auch dann würde die Stadt von einer Unterstützung der Gärtner/innen profitieren, da auf diese Weise „unansehnliche Brachen beräumt, begrünt und nutzbar gemacht werden können“ (278). Dies bedeutet allerdings, dass die Städte in gewissem Umfang Geld investieren und den Gärtner/inne/n weitgehende „Gestaltungsmacht“ (278) übertragen müssen, weil diese nur dann auch tatsächlich bereit und in der Lage sind, diese Aufgaben zu übernehmen. Im Sinne einer „Aktionsforschung“, die „auf gesellschaftliche Problemstellungen rekurriert und bewusst in ‘das Feld’ eingreift“ (11), leitet Rosol aus Empirie und Theorie im Schlussteil entsprechende Handlungsempfehlungen ab.
Dass die freiwillig Engagierten also keine Erfüllungsgehilfen des neoliberalen Stadtumbaus sind, weder willentlich noch de facto, sondern sich eine solche Rolle weder gefallen lassen würden noch könnten, ist m. E. die zentrale Erkenntnis dieser detaillierten, gut zu lesenden und klar strukturierten Untersuchung. Auch wenn angesichts des Umfangs von über 350 Seiten Text in kleiner Schriftgröße an manchen Stellen eine Verdichtung der Darstellung wünschenswert gewesen wäre, handelt es sich insgesamt um eine sorgfältig durchgeführte Studie, deren zentrale Ergebnisse einen wichtigen Beitrag zur empirischen Erdung aktueller Debatten um „aktivierenden Staat“ und das Outsourcing städtischer Infrastrukturen leisten.
Autor: Bernd Belina