Ida J. Terluin: Rural regions in the EU. Exploring differences in economic development. Utrecht 2001 (Nederlandse Geografische Studies 289). 265 S.

Wenn auch das Gegenteil häufig vermutet wird, sind ländliche Räume keineswegs eine Restgröße der raumwissenschaftlichen Forschung. Insbesondere im Kontext der EU, zumal nach der kürzlich erfolgten Osterweiterung, besteht dazu auch kein Anlass, werden doch nach wie vor große Teile der EU als ländlich eingestuft und leben nicht unbeträchtliche Teile der Bevölkerung in diesen Räumen. Gleichwohl bestehen erhebliche Unsicherheiten, teilweise Fehleinschätzungen in Bezug auf diese Raumkategorie. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung ländlicher Räume, die bis heute nach wie vor häufig als grundsätzlich problematisch und defizitär beschrieben wird. Wie jüngere Studien u.a. der OECD zeigen, sind tatsächlich jedoch erhebliche Unterschiede zu konstatieren, die zwischen prosperierenden ländlichen Regionen auf der einen und entwicklungsschwachen ländlichen Regionen auf der anderen Seite zu differenzieren verlangen.

Wie die sichtbaren regionalen Unterschiede zu erklären sind und welche Faktoren als maßgeblich für die wirtschaftliche Dynamik bestimmter ländlicher Räume angesehen werden können, ist Gegenstand einer Arbeit der Niederländerin IDA TERLUIN, die 2001 als Dissertationsschrift an der Rijksuniversiteit Groningen vorgelegt und angenommen wurde. Die auf Englisch verfasste Arbeit, die im Rahmen der Nederlandse Geografische Studies interessierten Fachkolleginnen und -kollegen zugänglich gemacht worden ist, darf wohl zu Recht als eine der fundiertesten Studien betrachtet werden, die in jüngerer Zeit zu Fragen der ländlichen Entwicklung auf einer europäischen Maßstabsebene vorgelegt worden ist. Die Arbeit überzeugt dabei gleichermaßen aufgrund des zugrunde liegenden Forschungsdesigns, der Verknüpfung von Theorie und Empirie sowie der anwendungsbezogenen Ausrichtung der Arbeit.
Ausgangspunkt der Studie von TERLUIN ist eine Darstellung der wichtigsten Entwicklungstendenzen ländlicher Räume in der EU während der 1990er Jahre, die durch das bereits erwähnte Muster der räumlichen Ungleichentwicklung bestimmt werden. Im Anschluss daran skizziert die Verfasserin die regionalpolitischen Steuerungsansätze, die zur Überwindung räumlicher Disparitäten in der jüngeren Vergangenheit zur Anwendung kamen bzw. noch kommen.
Vor dem Hintergrund dieser regionalökonomischen und regionalpolitischen Situationsanalyse benennt und analysiert die Verfasserin im Folgenden bekannte raumwissenschaftliche und regionalökonomische Theorieansätze, die gegenwärtig zur Erklärung von wirtschaftlichen Entwicklungsprozessen zur Diskussion stehen. Unter diesen werden 7 Ansätze identifiziert, die für die weiteren Betrachtungen zur Entwicklung ländlicher Räume als relevant erachtet werden. Für jeden dieser Theorienansatz wird dabei eine Hypothese (zur wirtschaftlichen Entwicklung) formuliert; zusammen bilden diese die Grundlage für eine Reihe fallstudienorientierter empirischer Untersuchungen, die sich im Folgenden anschließen. Gegenstand dieser Untersuchungen sind die jeweils wirtschaftlich führenden und wirtschaftlich schwächsten Regionen von insgesamt 9 ausgewählten Mitgliedsländern der EU (darunter Deutschland mit den "Regionen" Lüneburg und Niederbayern). Verschiedene Strukturdaten für die Untersuchungsregionen werden dabei im Verfahren des pattern matching in Relation zu den Theorienansätzen bzw. Hypothesen gestellt und auf diese Weise bestimmt, welche Ansätze zur Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklung von ländlichen Räumen geeignet und welche nicht geeignet sind. Das Ergebnis der Untersuchungen zeigt, dass schwerpunktmäßig drei Theorieansätze durch die empirischen Daten in besonderer Weise gestützt werden. Dies sind Ansätze zur Integration von endogenen und exogenen Entwicklungsmodellen, zur gemeinschaftsorientierten ländlichen Ent-wicklung und zur Nutzung von sozialem und kulturellem Kapital.
Die vorangehenden empirischen Untersuchungen und deren kritische Diskussion bieten der Verfasserin abschließend eine geeignete Grundlage für die Formulierung von Empfehlungen für die zukünftige Ausgestaltung einer wirksamen ländlichen Entwicklungspolitik. Im Zentrum entsprechender Ansätze sollten dabei, so TERLUIN, Förderstrategien und
-instrumente stehen, die auf die Stimulierung lokaler Akteure und Initiativen als "Motoren" der regionalen Entwicklung gerichtet sind. Im Vordergrund müssen hierbei Maßnahmen stehen, die auf die Verbesserung der Kapazitäten und Kompetenzen lokaler Akteure gerichtet sind sowie deren optimale Kooperation mit Partnern inner- und außerhalb einer
Region. Eine notwendige Voraussetzung dafür ist nicht zuletzt auch die Anpassung der administrativen Strukturen auf der lokalen, regionalen, nationalen und europäischen Ebene. Diese müssen besser als bisher der Erwartung gerecht werden, lokale Initiativen "von unten" zu stimulieren bzw. dort, wo es solche bereits gibt, deren Bedürfnissen und Ansprüchen möglichst umfassend entsprechen zu können.
Das Verständnis der raumwissenschaftlichen Forschung von den Prozessen lokaler Aktivierung und Entwicklung ist jedoch keineswegs bereits so groß, dass sich die Anforderungen an die Ausgestaltung einer der lokalen Dimension von ländlicher Entwicklung entsprechenden Regionalpolitik hätten hinreichend klären lassen, geschweige denn die Implementierung adäquater Instrumente schon genügend vollzogen wäre. Viele Fragen sind nach wie vor unbeantwortet. Die Forschung kann und muss diesen Klärungsprozess, so die Erwartung der Verfasserin, durch weitere Arbeiten auf dem Feld der ländlichen Entwicklung nachhaltig unterstützen. Ein Katalog möglicher Forschungsthemen, die in dieses Spektrum von Fragen fallen, rundet die Arbeit ab.
Alles in allem: Ein uneingeschränkt empfehlenswertes Buch, das ein vermeintliches Randthema gelungen in den Mittelpunkt rückt. Interessierte (und konzentrierte) Leserinnen und Leser werden mit Sicherheit Gewinn aus der Lektüre ziehen!
Autor: Ingo Mose

Quelle: Erdkunde, 59. Jahrgang, 2005, Heft 1, S. 69-70