Robert Pütz: Transkulturalität als Praxis. Unternehmer türkischer Herkunft in Berlin. Bielefeld 2004. 294 S.
In so gut wie allen Großstädten Europas gehören die von Migranten und Migrantinnen geführten Läden und Dienstleistungsunternehmen zum alltäglichen Bild der Stadt. Die berufliche Selbstständigkeit von Migranten und Migrantinnen hat in der vergangenen Dekade zugenommen. Diese Entwicklung lässt sich in Europa, je nach Land und Zuwanderungsgruppe, mit verschiedenen Ursachen begründen. Generell wird von Fragmentierungsprozessen innerhalb von Stadtgesellschaften ausgegangen.
Diese Fragmentierungsprozesse hängen unter anderem mit der in dieser Dekade sich lokal verortenden Globalisierung zusammen und verlaufen innerstädtisch bevorzugt entlang sozialer, ökonomischer, ethnischer und auch (politisch-) räumlicher Grenzen. Sie zeitigen neue Gewinner und Verlierer. Auf europäischer Ebene finden wir bereits eine Fülle von Maßnahmen, die diesen problematischen Trends zunehmender sozialräumlicher Ungleichentwicklung entgegenwirken sollen. Handlungsbedarf besteht danach zum einen bei den am Arbeitsmarkt marginalisierten Gruppen und zum anderen auf lokaler oder kleinräumlicher Ebene (zum Beispiel in Form des Quartiersmanagements). Das Gros der Migranten und Migrantinnen ist in fast allen Städten Teil beider Zielgruppen: Probleme bezüglich der Arbeitsmarktintegration und vermehrte Segregation sind für diese Gruppe kennzeichnend. Unterstützungsprogramme zielen daher mittlerweile - eben weil man anerkennt, dass es sich vielfach um Formen strukturellen Ausschlusses handelt - bewusst auf die Stärkung endogener Potenziale. Eine Handlungsoption stellt die Unterstützung von lokalen Ökonomien und dezidiert auch von sogenannten ethnischen Ökonomien dar. Je nach Sichtweise lassen sich die existierenden Formen selbstständigen Unternehmertums von Migranten und Migrantinnen als Resultate von Informalisierungsprozessen interpretieren, oder aber sie finden Akzeptanz als eine tragfähige Form sozialer Innovation, vielleicht sogar als Vorreiter kosmopolitischer Lebensformen. Die vorliegende Publikation greift dieses aktuelle Thema mit einer Untersuchung von Unternehmern türkischer Herkunft in Berlin auf. Das Forschungsinteresse des Autors richtet sich auf die kulturgeographischen Aspekte dieser Wirtschaftsform, er will Aufschluss über die kulturellen Bezugssysteme der Akteure und ihre "oftmals inkommensurabel konstruierten symbolischen Ordnungen" erlangen. Um der "Ethnisierungsfalle" (d.h. der Zuschreibung von Verhaltensmustern qua Ethnizität bzw. Staatsangehörigkeit und damit der normativen Reifizierung eines unterstellten "Ethnischen") auszuweichen, entwirft Pütz in Anlehnung an Überlegungen des Philosophen Welsch zur Inter- und Mulitkulturalität den Forschungsansatz der "Transkulturalität als Praxis" und fokussiert "strategische Transkulturalität" als unternehmerische Leistung von Migranten.
Der Autor will einen "Beitrag zur Theoriebildung" leisten und zu "einem differenzierteren Verständnis der Selbständigkeit von Menschen türkischer Herkunft in Deutschland" beitragen. Das Buch ist in sechs Kapitel unterteilt: Das erste umreißt die Begrifflichkeiten; Kapitel zwei integriert die Sozialstatistik; Kapitel drei verdeutlicht die "Macht der Strukturen": Arbeitsmarktzugang und rechtlicher Rahmen; Kapitel vier und fünf verdeutlichen die Herausbildung ethnisch-national etikettierter Nischenmärkte und wie Netzwerke als "türkische Netzwerke" konstruiert werden. Kapitel sechs widmet sich anhand eines Fallbeispieles dem Konzept der "strategischen Transkulturalität". Pütz entscheidet sich für einen Methodenmix: Neben die kursorische Darstellung der vorhandenen Strukturdaten und eigenen quantitativen Erhebungen tritt die Auswertung von insgesamt 45 narrativ-biographisch geführten Interviews (unter den Interviewten sind sechs Frauen und 24 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, aber türkischer Abstammung). Sechs Expertengespräche (ausschließlich mit männlichen Gesprächspartnern) runden das Untersuchungsdesign ab. Der Autor geht davon aus, dass die Mehrzahl der türkischen Unternehmer einer marginalisierten Position verhaftet bleibt. Andere entwickeln trotz Restriktionen eine erfolgreiche Karriere. Das Untersuchungsinteresse richtet sich auf den Zusammenhang zwischen biographischen Ressourcen und Handlungskompetenz der Unternehmer. Präsentiert werden fünf biographische Fallstudien, die jeweils einen Aspekt der Transkulturalität betonen. Die Selbstdarstellung der mit einer Ausnahme männlichen Interviewpartner wird durch die Interpretation des Autors ergänzt. Da die Konstruktion von Tanskulturalität mit der Trennung eines "Innen" und "Außen" verbunden ist, verwundert es nicht, dass Fragen der Identitätsstiftung und -findung in der Interpretation des Autors ausführlich und teilweise wertend behandelt werden. Besonders erfolgreich ist demnach, wer seine Identität nicht als zerrissen, sondern als transkulturell wahrnimmt und nutzen kann. Nach dieser Argumentation kann die Zugehörigkeit zu einer herausgehobenen, im vorliegenden Fall ethnisch konnotierten Gruppe letztlich doch als Ressource angesehen werden.
Das Buch ist für die Geographie in jedem Fall bereichernd, da es für einen reflektierten Umgang mit ethnischen Kategorisierungen plädiert. Auch ist das Konzept der "strategischen Transkulturalität", das auf den Zusammenhang von Kultur und ökonomischen Handeln verweist, eine Erklärungshilfe für die Herstellung und Entstehung erfolgreichen Unternehmertums. Inhaltlich hätte sich die Rezensentin jedoch eine noch differenziertere Auseinandersetzung mit den schon vorliegenden Forschungsergebnissen gewünscht. Die meisten zitierten Autorinnen und Autoren sind sich der ihren Forschungen innewohnenden Problematik des Begriffs "ethnischer Ökonomie" bewusst und argumentieren weniger holzschnittartig als vom Autor behauptet. Eine würdigende Auseinandersetzung mit neueren Ansätzen, wie dem der mixed embeddness oder der "Transkulturalität" bezüglich der afrikanischen Diaspora fehlt; geschlechtsspezifische Unterschiede innerhalb der ethnischen Ökonomien finden ebenfalls keine Erwähnung. Letztlich scheint es doch so zu sein, dass jeder seines Glückes Schmied ist, insofern man sich die passenden Zuschreibungen jeweils zurechtlegen kann. Hier wären konkrete Forschungsergebnisse zu den eigentlichen Unternehmen (Umsatz, Größe der Räume, vergleichende Beschäftigtenzahlen) zum Verständnis der Mehrheit "ethnischer" Unternehmer hilfreich gewesen. Gleichwohl ist die Studie von Pütz geeignet, den Blick auf die Verbindung von Kultur und Unternehmertum zu schärfen. Es handelt sich dabei um ein Arbeitsfeld, das aufgrund der zunehmenden Bedeutung des Kulturbegriffs noch weiter an Bedeutung gewinnen wird. Gerade auch Anschläge wie jüngst die in London verweisen auf konflikthafte Wirklichkeiten, die sich einem einfachen "kulturalistischen" Interpretationsschema entziehen (werden). Sie bedürfen zu ihrem Verständnis eben solcher theoriegeleiteter, überwiegend qualitativer Forschung.
Autorin: Felicitas Hillmann