Georg August Wallin: Reisen in Arabien 1845-1848. Hg. und übers. von Uwe Pfullmann. Berlin 2004. 181 S.

GEORG AUGUST WALLIN gehört zweifellos zu den besonders beeindruckenden Orientforschern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er wurde 1811 auf einer finnischen Insel im Bottnischen Meerbusen geboren und war von Herkunft und Sprache her Schwede. Finnland gehörte damals zum zaristischen Russland. Nachdem WALLIN in Helsinki und in St. Petersburg Orientalistik studiert hatte, wurde er an der Universität Helsinki mit einer in Latein abgefassten Arbeit über die "Hauptunterschiede zwischen klassischem und modernem Arabisch" promoviert. Früh erkannte er für sich in der Erforschung Arabiens seine eigentliche Bestimmung. Von der Universität Helsinki erhielt WALLIN eine Forschungsförderung für eine Vergleichsstudie von arabischen Dialekten, die zunächst in Kairo beginnen sollte. Bevor er aufbrach, eignete sich WALLIN medizinische Grundkenntnisse an, da er entschlossen war, sich auf seinen Reisen als Arzt und Impf-Mediziner auszugeben. 1844 kam er in Kairo an und studierte hier zunächst Kalligraphie und islamische Theologie. In Kairo soll WALLIN vom ägyptischen Außenamt angesprochen worden sein, das seine Arabienreise finanzieren wollte und im Gegenzug Informationen über die politischen Entwicklungen auf der Arabischen Halbinsel erwartete.
WALLIN unternahm insgesamt zwei Reisen nach Arabien. Die erste 1845 in den zentralen Norden Arabiens und die zweite von 1847 bis 1848 in den Nordwesten der arabischen Halbinsel. Seit dem ägyptischen Rückzug aus Arabien im Jahre 1821 war es, abgesehen von iranischen Pilgern, keinem Ausländer mehr erlaubt worden, das Innere Arabiens zu betreten. Mitte des 19. Jahrhunderts war die europäische Kenntnis der Arabischen Halbinsel noch ausgesprochen fragmentarisch und meist auf die unmittelbaren Küstenbereiche beschränkt, wie etwa die Reiseaufzeichnungen von Sadlier oder die Karte von Karl Ritter (1852) belegen. Die Machtverhältnisse im Inneren Arabiens waren Ägyptern, Türken und Europäern weitgehend unbekannt, gleichwohl vielfache imperiale Begehrlichkeiten bestanden. In dieser hoch brisanten geopolitischen Situation reiste GEORG AUGUST WALLIN als Muslim und entgegen seinen ursprünglichen Plänen nicht als Arzt, sondern als Pferdehändler verkleidet. Die erste Reise führte ihn über den Sinai, das Bergland von Midian und die Wüste Nefud in den zentralen Norden Arabiens. Im Laufe der Zeit entwickelte WALLIN eine bemerkenswerte Technik, unbemerkt Aufzeichnungen anzufertigen. Ihm verdanken wir die erste detaillierte Beschreibung der Stadt al-Dschof (später auch: Dschof as-Sirhan), deren Wohnquartiere er akribisch analysiert. Der weitere Weg führte ihn bis Mekka und Medina, bevor er Arabien fluchtartig Richtung Irak verlassen musste, als ruchbar geworden war, dass er ein Christ sei. Die zweite Reise unternahm WALLIN in den Hedschas, von wo er über Landstriche berichtete, die vorher noch von keinem anderen europäischen Reisenden beschrieben worden waren.
WALLIN hatte sich für seine Forschungsreisen vier Hauptziele gesetzt. Zunächst galt es, allgemeine topographische Informationen von Gebieten zu sammeln, über die in Europa nur eine unzureichende Kenntnis herrschte. Darüber hinaus lag WALLINs Interesse aber auch im ethnographischen Bereich. So plante er eine umfangreiche Bestandsaufnahme beduinischer Rechtssysteme, ein Unterfangen, dessen Anspruch als für die damalige Zeit weit fortgeschritten gelten kann und das vor allem aus WALLINs Bewunderung für die patriarchalischen Kulturen der nördlichen Arabischen Halbinsel entsprang. Außerdem widmete sich WALLIN mit Begeisterung der Aufnahme oraler Traditionen der lokalen Poesie und plante schließlich, die historischen Migrationsbewegungen der arabischen Stämme zu dokumentieren.
Das anzuzeigende Werk beinhaltet jedoch weitaus mehr als die Übersetzungen der beiden Reiseschilderungen von GEORG AUGUST WALLIN ("Bericht einer Reise von Kairo nach
Medina und Mekka", S. 15-87, und "Die während einer Reise durch einen Teil des nördlichen Arabien im Jahr 1848 aufgenommenen Notizen", S. 89-120). Mit großer Sorgfalt hat der Herausgeber, UWE PFULLMANN, außerdem weitere Texte und Notizen zusammengestellt, die in der Synopse deutlich werden lassen, warum WALLIN zwar zu den aussichtsreichen, aber auch zu den weniger bekannten Arabienreisenden gehört. Die als Anhang beigefügten Erklärungen von W. R. MEAD zu WALLINs "English Connection" und die Erläuterungen von M. TRAUTZ über einen "vergessenen Forscher von Arabien" machen klar, dass es wohl vor allem zwei Umstände waren, die WALLIN weniger populär werden ließen als andere Entdeckungsreisende seiner Zeit. Ein offensichtlicher Grund liegt im frühen Tod von WALLIN, der mit knapp 41 Jahren 1852 in Finnland während der Vorbereitungen für eine weitere Arabienreise starb.
Hervorgehoben werden muss aber auch, dass es WALLIN an ausreichenden Fördermitteln fehlte, mit deren Hilfe er seine Reisen ergebnisorientiert hätte umsetzen können. Einerseits war zwar die Royal Geographical Society in London an Informationen aus dem Inneren Arabiens sehr interessiert, andererseits hatte sie keinerlei Erfahrung mit der Forschungsreisenförderung für Ausländer. Die seinerzeit noch junge Geographische Gesellschaft hatte sogar vorgeschlagen, dass WALLIN eine kombinierte Förderung durch die Royal Geographical Society und deren russisches Gegenstück in St. Petersburg anstreben solle. Letztere verwirrte und beleidigte WALLIN nach einigen Missverständnissen jedoch schließlich mit dem Vorschlag, anstelle von Arabien doch besser die Bereiche von Buchara und Samarkand in Zentralasien zu erforschen. Grundsätzlich hätten beide Gesellschaften eine kombinierte Förderung durchaus befürwortet, was aus heutiger Sicht als ein überaus interessantes Kapitel von Kooperation im historischen Great Game gewertet werden könnte, jedoch beendete der Tod WALLINs die sich anbahnenden Vereinbarungen.
Der Herausgeber vervollständigt den Band mit einer Literaturübersicht, die sowohl von WALLIN verfasste Texte auflistet, als auch solche die über ihn geschrieben wurden. Dabei kommen dem Herausgeber die Erfahrungen zugute, die er mit früheren Editionen thematisch vergleichbarer Werke gesammelt hat. Genannt seien hier nur die Reiseberichte von JULIUS EUTING (Rezension in ERDKUNDE 50, 1996, S. 165), von JOHANN LUDWIG BURCKHARDT (Rezension in ERDKUNDE 50, 1996, S. 76-77) und die von CHARLES MONTAGUE DOUGHTY (Rezension in ERDKUNDE 51, 1997, S. 331-332) sowie die Analyse der politischen Strategien Ibn Sauds (Rezension in ERDKUNDE 57, 2003, S. 69). Eine Auswahl von Fotos wichtiger Reisestationen WALLINs rundet das überaus gelungene Werk ab.    
Autor: Andreas Dittmann

Quelle: Erdkunde, 59. Jahrgang, 2005, Heft 2, S. 168-169