Gerhard Hard: Landschaft und Raum. Aufsätze zur Theorie der Geographie. Band 1. Osnabrück 2002. 328 S.

Mit den beiden Bänden ausgewählter Aufsätze aus knapp vier Jahrzehnten erhält der Leser einen umfangreichen Einblick in das geographische Schrifttum G. Hards. Auch wenn sicherlich der eine oder andere interessante, ja disziplinhistorisch eigentlich unverzichtbare Aufsatz in dem hier zu besprechenden Band fehlt, gestattet es die Sammlung doch, nicht nur die wissenschaftliche Entwicklung des Autors nachzuvollziehen, sondern auch die seines Gegenstands: der deutschen (Hochschul-)Geographie.

Diese Parallelsetzung ist nicht nur deshalb möglich, weil Hard immer wieder Themen aufgreift, die auch in der Hochschulgeographie diskutiert werden, sondern auch und vor allem, weil er sich in seiner elaborierten Kritik als ein "passionate lover" erweist. Ein solches Liebesverhältnis zur Geographie ausgebildet zu haben, wurde Hard schon vor Jahren von feministischer Seite attestiert, dort mit dem Tenor, seine Auseinandersetzung mit best. Kollegen um die theoretische Ausrichtung des Fachs zeige Anflüge einer eifersüchtigen Konkurrenz um die eine Geliebte - eben die Geographie. Im Lichte des vorliegenden Bandes scheint diese Interpretation jedoch etwas anders ausgerichtet werden zu müssen. Behält man die Beziehungsmetapher bei, ähnelt Hards Verhältnis zur Geographie eher dem des Prof. Higgins zu Eliza in "My Fair Lady", d. h. dem Versuch, der Geliebten Bildungsniveau zu heben. Im Gegensatz zur musikalischen Vorlage geben die Aufsätze des Bandes jedoch kaum Hinweise darauf, dass bei der Geographie von einem (wissenschaftlichen) Fortschritt gesprochen werden kann.
So thematisieren alle hier abgedruckten Artikel ein über 34 Jahre (und - so könnte hinzugefügt werden - bis heute) virulentes Problem: die Ontologie der geographischen Kernbegriffe. Geht es in den 60er und 70er Jahren um die "Landschaft", folgen in den 80er und 90er Jahren die Auseinandersetzungen mit dem "Raum" als Nachfolger der "Landschaft" im Paradigmenkern der Geographie. In jedem seiner Aufsätze zeigt der Autor die unlösbaren Probleme, die sich die Geographie damit auflädt, dass sie diese Begriffe nicht lediglich als Kommunikat einzelner Personen bzw. Organisationen in bestimmten Situationen zu jeweils eigenen Zwecken auffasst, sondern als ontische Entitäten, die als solche beschrieben und sogar zur Erklärung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisgegenstände verwendet werden. Dass dies sowohl empirisch unfrucht- als auch theoretisch unhaltbar ist, wird immer wieder und aus verschiedenen Perspektiven erläutert und belegt.
Betrachtet man die abgedruckten Artikel als Spiegelbild der Bildungsbemühungen des Autors um die Geographie, erhält das skizzierte scheinbar einheitliche Bild doch zwei wichtige Modifikationen:
Zum einen fällt eine zeitliche Lücke auf. In den späten 70er und frühen 80er Jahren scheint die Theoriediskussion abgeschlossen, die Entscheidung um die paradigmatische Neuausrichtung der Geographie getroffen zu sein. Zumindest legt dies das auffällige Fehlen von Aufsätzen aus dieser Periode in dem vorliegenden Band nahe. Erst mit der Diskussion um das "Regionalbewusstsein" meldet sich Hard wieder eindrücklich zu Wort. Man sieht zunächst Prof. Higgins-Hard förmlich aufatmen, als die Bildungsversuche an der Eliza-Geographie so offensichtlich erfolgreich waren, um ihn dann aufgeschreckt zu erleben mit der Erkenntnis, dass er sich da wohl getäuscht hat. Dies trägt wohl auch zu der zweiten chronologisch identifizierbaren Auffälligkeit der Texte bei: dem Wandel des literarischen Stils. Während die älteren Texte in ihrer überbordenden Fülle an historischphilosophischen Verweisen - geschuldet wohl der Absicht, der "alten" Geographie nicht nur Argumente entgegenzustellen, sondern sie auch mit dem Nachweis der eigenen Bildungsfülle zu beeindrucken, d. h. in gewissem Maße sich als satisfaktionsfähig zu zeigen - zuweilen einen etwas altväterlichen Charakter aufweisen, können die jüngeren Texte nicht nur sprachlich als deutlich moderner bezeichnet werden. Hard schreckt nun nicht mehr davor zurück, die so offensichtliche Ridikülität der kritisierten Positionen auch zu thematisieren. Gerade dieser offensiv-härtere Stil kann aber ebenso als Hinweis auf den mittlerweile resignativen Grundton seiner geographiebezogenen Bildungsbemühungen verstanden werden wie die Bereitschaft, Ansätze schon dann lobend zu kommentieren, wenn sie nur überhaupt dem geographischen Raumfetischismus fernstehen.
Insgesamt ist die vorliegende Sammlung geographietheoretischer Texte eine unverzichtbare Lektüre für jeden, der einen Einblick in die jüngere deutschsprachige Geographiegeschichte gewinnen möchte. Gleichzeitig macht sie den Leser vertraut mit zumindest einigen (wissenschaftlichen) Facetten des wohl wichtigsten und innovativsten Geographen der letzten 50 Jahre.
Autor: Wolfgang Aschauer

Quelle: geographische revue, 7. Jahrgang, 2005, Heft 1/2, S. 115-116