Dietrich Fürst und Hans Joachim Kujath (Hg.): Raumplanerische Herausforderungen durch Veränderungen in Handel, Logistik und Tourismus. Hannover 2004 (Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Forschungs- und Sitzungsberichte 222). 174 S.
Die zweite Hälfte der 1990er Jahre war von erheblichen strukturellen Veränderungen im Handel, bei der Logistik und im Freizeitmarkt geprägt. Mit neuen Angebotsformen im Handel - von Factory Outlet Centern (FOC) bis zu Urban Entertainment Centern (UEC) - und konsumorientierten Freizeitgroßprojekten (wie Multiplex-Kinos, Spaß- und Erlebnisbädern, Snow Domes etc.) entstanden Einrichtungen, die teilweise quer zu den gewachsenen zentralörtlichen Strukturmustern liegen und diese möglicherweise grundlegend beeinflussen können, ohne dass die Raumplanung sich bislang systematisch mit deren Folgen auseinandergesetzt hat. Auch die im Bereich der Logistik eingeführten neuen Organisationsformen mit einer Schaffung von neuen Netz- und Knotenstrukturen sowie eine partiellen Auslagerung der Produktions- und Logistik-Funktion lassen sich nur begrenzt mit klassischen Ansätzen der Raumplanung steuern. Gleichzeitig fehlt bislang eine systematische Aufarbeitung dieser Entwicklungen und ihrer Konsequenzen sowie die Formulierung von Strategien und Steuerungsansätzen für den möglichen raumplanerischen Umgang damit.
Vor diesem Hintergrund war es Ziel des ARL-Arbeitskreises "Neue Formen des Angebots von Gütern und Dienstleistungen" zu klären, welche Konsequenzen sich hieraus für raumplanerisches Handeln ergeben. Hierzu sollte zunächst - nach einer Vorstellung der Rahmenbedingungen (mit einem Fokus auf Internet und "New Economy" sowie den demographischen Veränderungen) die Raumwirksamkeit dieser neuen Angebotsformen überprüft werden, um klären zu können, inwieweit raumplanerische Konzepte davon tangiert sind und inwieweit "planerischer Handlungsbedarf" (S. 6) besteht. Intendiert war, diesen angesichts eines veränderten Verständnisses von staatlichem Handeln, das auch entsprechende Auswirkungen auf die Instrumente und Vorgehensweise der Raumplanung aufweist, zu reflektieren und neue Wege des raumplanerischen Umgangs mit den Herausforderungen zu formulieren.
Der vorliegende Band stellt die Ergebnisse des ARL-Arbeitskreises dar. Der hohe Anspruch kann - um es vorweg zu sagen - in dem vorgelegten Bändchen insgesamt gesehen nur teilweise eingelöst werden. Dabei ist dies angesichts des breit gespannten Bogens und der hochkomplexen Bezüge möglicherweise auch in dieser Form gar nicht möglich.
Im Mittelpunkt des Bandes steht die Aufarbeitung des Ist-Standes im Bereich Handel, Logistik und Tourismus (S. 30 bis 139) sowie dessen Bewertung. Hier wird eine Vielzahl von Informationen zu den in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre abgelaufenen Prozessen aufgearbeitet und auf die daraus resultierenden raumplanerischen Konsequenzen beleuchtet. Damit bietet der Band einen guten zusammenfassenden Überblick über die Entwicklungen in den drei Feldern.
Allerdings ist bei der Darstellung des Handels nicht ganz nachzuvollziehen, warum den FOCs fast 40 und den UECs nur 1,5 Seiten gewidmet werden, da dies der Relevanz der beiden Einrichtungstypen für die Stadt- und Raumentwicklung möglicherweise nicht ganz adäquat erscheint. Noch zum Bereich des Handels werden die Ausführungen zu den Auswirkungen von E-Commerce gezählt, auch wenn dahinter als treibender Motor die Entwicklung im Bereich der IuK-Technologie steht und damit andere Rahmenbedingungen und Wirkzusammenhänge als bei den übrigen Entwicklungen im Bereich des Handels und des Freizeitmarktes. Gleichzeitig ist die Diskussion noch stark vom Eindruck des Internet-Hypes Ende der 1990er Jahre geprägt, als die "New Economy" und ihre vermuteten Auswirkungen in aller Munde war.
Bei der Aufarbeitung der Raumwirkungen neuer Freizeit- und Urlaubsangebote ist zu konstatieren, dass die einleitende Vorstellung der Trends auf der Nachfragerseite (S. 122f.) noch den Diskussionsstand von Ende der 1990er Jahre mit der damals angenommenen weiteren Zunahme von freier Zeit darstellt. Die in den letzen Jahren hier zu beobachtenden Roll-Back-Anzeichen werden dabei noch nicht hinreichend einbezogen. Auch erscheint der starke Bezug auf den Band 10 des Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland "Freizeit und Tourismus" aus dem Jahre 2000 als Primärquelle für diesen Abschnitt eine sehr schmale und darüber hinaus auch nicht mehr ganz aktuelle Literaturbasis. Dementsprechend werden auch die Entwicklungen der letzten Jahre hier nur partiell adäquat aufgearbeitet. Gleichzeitig wird den in den letzten Jahren mehr und mehr verschwimmenden Grenzen zwischen Einkaufen und Freizeitkonsum nicht durch eine entsprechende übergreifende Aufarbeitung dieser Bereiche Rechnung getragen. Damit werden Optionen einer übergreifenden Diskussion über diese beiden unter raumplanerischen Gesichtspunkten vergleichbar wirkenden und auch möglicherweise ähnlich bei der Steuerung zu behandelnden Felder nicht umgesetzt.
Die Entwicklungen im Logistik-Bereich berühren - wie teilweise schon die Darstellung zum E-Commerce - ganz andere Dimensionen als bei Handel und Freizeit, bei denen die Entwicklungen stark vom Wechselspiel zwischen der (primär nationalen) Angebots- und (Endkunden) Nachfrageseite geprägt sind. Die fundamentalen Umstrukturierungen von Logistik-Konzepten sind demgegenüber einerseits sehr viel stärker von unternehmensinternen Entscheidungen dominiert und andererseits auch sehr viel stärker von Entwicklungen auf dem Weltmarkt und den Globalisierungstendenzen gekennzeichnet. Auch wenn es mit den raumrelevanten Auswirkungen eine sehr weite gemeinsame Klammer gibt, stellt sich doch die Frage, ob die Mitbehandlung in diesem Zusammenhang nicht den Rahmen fast etwas sprengt.
Insgesamt handelt es sich bei dem Band um ein ambitioniertes Vorhaben, das allerdings den eigenen Ansprüchen nur partiell gerecht wird. Trotzdem enthält der Band eine Reihe bemerkenswerter Fragmente und Reflexionen, die es verdienen würden, in systematische Form gegossen eine Lücke in der raumplanerischen Literatur zu schließen.
Autor: Andreas Kagermeier