Anke Matuschewski: Regionale Verankerung der Informationswirtschaft in Deutschland. Materielle und immaterielle Beziehungen von Unternehmen der Informationswirtschaft in Dresden-Ostsachsen, Hamburg und der TechnologieRegion Karlsruhe. Kiel 2004 (Kieler Geographische Schriften 110). 385 S.

Die Informationswirtschaft als Untersuchungsbranche wurde von ANKE MATUSCHEWSKI als Zugang zur Aufgabenstellung und Zielsetzung der vorliegenden Habilitationsschrift gewählt. Mehrere Argumente werden genannt, um die Auswahl der Untersuchungsbranche zu begründen. Zum einen wäre die Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK-Technologien) für Wirtschaft und Gesellschaft zu nennen. Kommunikationsprozesse werden vereinfacht und der Informationsaustausch über Distanzen hinweg beschleunigt, so dass der Informationswirtschaft zum Beispiel eine besondere Rolle bezüglich der Globalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten beizumessen ist.

Ebenso gehen gesellschaftliche Entwicklungsprozesse mit Veränderungen innerhalb der Informationswirtschaft einher. Als Stichwort sei auf die aktuelle Entwicklung zur Wissen- und Informationsgesellschaft hingewiesen. Ein weiteres Argument für die Auswahl der Untersuchungsbranche basiert auf den positiven Zuwachsraten in der jüngeren Vergangenheit. Insbesondere in den Zeiten der new economy-Euphorie wurde die Informationswirtschaft als treibende Kraft des Wirtschaftswachstums bzw. die IuK-Technologien als ‚Jobmaschine' bezeichnet. Die Standortstrukturen der Informationswirtschaft sind durch eine Konzentration der Unternehmen auf wenige Standorte und eine regionale Clusterbildung gekennzeichnet, so dass in der vorliegenden Studie die beiden Themenbereiche ‚Informationswirtschaft' und ‚regionale Verankerung' aufgegriffen und miteinander in Beziehung gesetzt wurden.
Entsprechend des gewählten Zugangs über die Untersuchungsbranche wird zunächst der Begriff der Informationswirtschaft definiert und über die Aufzählung entsprechender Wirtschaftszweige abgegrenzt. Im Gegensatz zu vielen anderen Branchen, die im Fokus wirtschaftsgeographischer Studien stehen, ist die von MATUSCHWESKI untersuchte Informationswirtschaft sehr heterogen strukturiert. Zur Informationswirtschaft werden in der von ihr vorgenommenen Abgrenzung sowohl die Bereiche der Informationstechnik (Soft- und Hardware), der Informationsübermittlung sowie die Herstellung und Verbreitung der Informationsinhalte gezählt. Dadurch sind so unterschiedliche Tätigkeitsbereiche wie die Produktion von Computerbauteilen, Fernsehgeräten und Radios Informationstechnik/Hardware), die Bereitstellung und der Betrieb von Fernmeldenetzen (Informationsübermittelung) oder Journalisten, Zeitungsverlage und Werbeagenturen (Informationsinhalte) in der Untersuchung enthalten. Die einzelnen Teilbereiche sind in sehr verschiedene Wertketten eingebunden, bedienen anders strukturierte Märkte und sind unterschiedlichen Rahmenbedingungen unterworfen. So hat beispielsweise die Herstellung eines Rundfunkgerätes nicht viel mit der Produktion einer Radiosendung gemeinsam. Auch von staatlichen Regulierungsmaßnahmen sind beide Bereiche ganz anders betroffen. Eine solch umfassende Perspektive mag auf den ersten Blick sehr sinnvoll erscheinen und der komplexen Struktur der nformationswirtschaft gerecht werden. Im Verlauf der Arbeit entstehen dadurch meines Erachtens jedoch einige Schwierigkeiten bezüglich des Vergleichs zwischen den drei ausgewählten Untersuchungsregionen, da durch jede der drei Regionen unterschiedliche Schwerpunkte innerhalb der Informationswirtschaft repräsentieren werden: Die Region Dresden-Oberes Elbtal besitzt u.a. durch die Ansiedlung der großen Computerchiphersteller AMD und Infinion einen Schwerpunkt im Bereich der Informationstechnik (Hardware), die TechnologieRegion Karlsruhe im Bereich der Software, während das Hamburger Mediencluster seinen gewachsenen Schwerpunkt in der Produktion der Informationsinhalte hat. Im Zuge des interregionalen Vergleichs ist daher bei einigen der identifizierten Unterschiede leider nicht eindeutig feststellbar, ob die wesentliche Ursache in den jeweiligen Branchenstrukturen zu sehen ist oder ob demgegenüber regionsspezifische Eigenschaften zum Tragen kommen.
Die theoretischen Bezugspunkte hinsichtlich des zweiten Themenbereichs der regionalen Verankerung entstammen aus den aktuell in der Wirtschaftsgeographie diskutierten Konzepten, wobei die derzeit nahezu allgegenwärtige Clus-terdebatte zentrale Bausteine liefert. Die Bezugspunkte aus der Literatur werden in einen eigenen theoretischen Rahmen überführt, in dem MATUSCHEWSKI zwischen der Ebene des lokalisierten Produktionssystems als funktionale Einheit, der Ebene des Milieus als soziale und kognitive Einheit sowie der Ebene der Region als räumliche Einheit differenziert. Die Region bildet demnach eine räumliche Einheit auf der einen Seite durch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Gemeinsamkeiten, andererseits könne eine Region zudem mit ihren Merkmalen und Elementen prägenden Einfluss auf die in der Region ansässigen Akteure haben.
Die empirischen Arbeiten sind einer Habilitationsschrift entsprechend sehr umfangreich angelegt. Die regionalen Fallstudien basieren dadurch auf einem umfassenden und qualitativ guten Datenmaterial. Insgesamt wurden 148 teilstandardisierte Fragebögen in persönlichen Unternehmensbefragungen ausgefüllt. Dies ist eine arbeitsintensive aber gegenüber einer rein schriftlichen Befragung deutlich bessere Vorgehensweise, durch die viele zusätzliche Hintergrundinformationen gesammelt werden konnten. Auch Verständnisfragen und einzelne Begriffe konnten dadurch direkt mit dem Gesprächspartner geklärt werden. Ergänzt wurde diese Unternehmensbefragung durch 55 leitfadengestützte Experteninterviews mit Vertretern aus dem unternehmerischen Umfeld (Wirtschaftsverbände, Universitäten, öffentliche Einrichtungen, Technologiezentren und -transferstellen etc.). Entsprechend umfangreich und umfassend stellen sich die Kenntnisse der Autorin über die Informationswirtschaft in den drei Untersuchungsregionen dar.
Den Hauptteil der Arbeit bilden die drei Fallstudien zu den Regionen Hamburg, Karlsruhe und Dresden, in denen die Ergebnisse der empirischen Erhebung dargelegt werden. Der Leser wird ausführlich über die Unternehmensstruktur, die Beschäftigungssituation und den Arbeitsmarkt, über Kunden-, Geschäfts- und Kooperationsbeziehungen sowie über vorhandene Netzwerke, das unternehmerische Umfeld und eine vorgenommene Standortbewertung informiert. Hervorzuheben ist die tabellarische Zusammenschau zum Ende jeder Fallstudie. Die einzelnen Fallstudien sind sehr systematisch angelegt, da die Ergebnisse jeder Region nach denselben Aspekten und anhand identisch aufgebauter Tabellen dargelegt werden. Insgesamt fällt dieser Abschnitt für meinen Geschmack jedoch zu lang aus, da sich Erläuterungen und Hintergrundinformationen, die weniger regionsspezifisch, sondern allgemeiner Art sind, in den Ausführungen sinngemäß wiederholen. Zudem werden im Zuge der Fallstudien nur sehr selten Vergleiche zwischen den Regionen gezogen, so dass die Lektüre während des Hauptteils ein wenig langwierig wird.
Der anschließend vorgenommene interregionale Vergleich wurde von mir daher mit Spannung erwartet und er konnte diese Erwartungen auch erfüllen. Der systematische Aufbau innerhalb der einzelnen Fallstudien wird konsequent zusammengefügt, wobei nicht nur zwischen den drei Regionen, sondern auch die verschiedenen Teilbranchen der Informationswirtschaft miteinander verglichen werden.
In der ausführlichen Zusammenfassung wird auf die jeweilige Kombination verschiedener Faktoren bezüglich der clusterbildenden Prozesse in den einzelnen Regionen verwiesen. Eine übergeordnete 'grand general theory' bezüglich der Entstehung und Entwicklung von Clustern sei daher nicht möglich. Als zentraler Bereich der regionalen Verankerung der Informationswirtschaft wird der Arbeitsmarkt hervorgehoben, der als wesentliches Element der Clusterbildung zudem einen Standortfaktor darstellt, der von den Akteuren selbst maßgeblich gestaltbar ist. Hinsichtlich der regionalen Verankerung kommt MATUSCHEWSKI wie viele jüngere Studien auch zu dem Schluss, dass räumliche Nähe zwar keine zwingende Notwendigkeit sei, aber häufig einen sehr begünstigenden Faktor darstellt. Auch wenn einige Unternehmen die räumliche Nähe als weniger relevant wahrnehmen und sich gerne als ungebunden präsentieren, so konnte an mehreren Stellen gezeigt werden, dass ihre Handlungen und Interaktionsbeziehungen durchaus auf dem Nutzen der Vorteile basieren, die sich durch eine räumliche Nähe ergeben. Den Abschluss der Arbeit bildet die Zusammenstellung konkreter regionalpolitischer Handlungsfelder und Maßnahmen sowie ein Ausblick auf weitergehenden Forschungsbedarf.
Aus fachtheoretischer Perspektive stellt die Arbeit eine solide Anwendung und Umsetzung der aktuellen Diskussionsstränge auf das Beispiel der Informationswirtschaft dar, ohne den Anspruch zu erheben, eine inspirierende Neu- oder Reformulierung der Theorieansätze vorzunehmen. Dementsprechend erfolgte die Herleitung der Fragestellung und Zielsetzung auch nicht anhand offener und ungeklärter Fragen auf der fachtheoretischen Ebene. Das Thema wurde vielmehr über die Informationswirtschaft als untersuchenswerte Branche motiviert - eine durchaus legitime Vorgehensweise. Wer sich aus wirtschaftsgeographischer Perspektive über die Informationswirtschaft im Sinne der vorgenommenen Abgrenzung informieren will, der findet in dem vorliegenden Buch eine Fülle an Informationen. Wer außerdem auf der Suche nach wirtschaftsgeographischen Informationen über die einzelnen Standortregionen Hamburg, Karlsruhe und Dresden ist, der bekommt ebenfalls wertvolle Hinweise und Ergebnisse aus dem umfassend erhobenen empirischen Material. Auch die Umsetzung der Ergebnisse in konkrete Maßnahmen der Regionalpolitik wird nicht wie so oft vernachlässigt, sondern findet seinen Raum.    
Autor: Ivo Mossig

Quelle: Erdkunde, 60. Jahrgang, 2006, Heft 1, S. 81-83