Horst Kopp (Hg.): Länderkunde Jemen. Wiesbaden 2005. 231 S.
Die von HORST KOPP herausgegebene "Länderkunde Jemen" ist übersichtlich gegliedert und umfasst sechs Themenschwerpunkte. Der Herausgeber bezeichnet im Vorwort das Werk als ein Wagnis in mehrfacher Hinsicht: "Der Verlag möchte mit einer wissenschaftlich fundierten, aber gut lesbaren und aussagekräftig illustrierten Landeskunde ein neues Publikum gewinnen, [...] ohne sich jedoch zu sehr in wissenschaftlicher Spezialisierung zu verlieren." Zudem waren He-rausgeber und Autoren gezwungen, "einen Spagat zwischen fachlicher Seriosität und notwendigerweise simplifizierender Verkürzung" zu wagen.
Dies ist ihnen, ohne die eigentliche Besprechung vorwegzunehmen, in wirklich beeindruckender Weise gelungen. Die Vielzahl von Bildern, Profilen, Übersichten und Statistiken machen das Buch zu einem ausgezeichneten Nachschlagewerk.
Prägnant formulierte Stichpunkte wie zu Qat, Agrarlandschaftswandel, Entführungen, Schminken und Düfte jemenitischer Frauen, Juden und Ismaeliten fallen ins Auge und konzentrieren sich auf das Wesentliche.
Kapitel 1 (S. 1-43) umreißt in aller gebotenen Kürze die geographischen Grundlagen, Lage, Grenzen und Größe des Jemen, sein für die Arabische Halbinsel wohl einzigartiges Relief "als Ergebnis geologisch-tektonischer Entwicklung und klimagesteuerter Verwitterung" (S. v), Klima und Hydro-graphie sowie Böden, Flora und Fauna. Kapitel 1.3 beschreibt die Großlandschaften des Jemen, d.h. die Tihâma (Küstenebene), die südliche Küstenebene, die südöstlichen Küstenebenen, die Gebirgstihâma, den westlichen Gebirgshang, das Hochlandbecken und die Hochlandschwellen, den östlichen Gebirgshang, das östliche Gebirgsvorland, das südliche Schollenland, die südliche Hadramaut-Tafel, das Wadi-Hadramaut-System, die nördliche Hadramaut-Tafel, die Rub al-Khali (das Leere Viertel - die größte Flugsandwüste der Welt), die Ramlat as-Sab'atayn und die vor der Küste Jemens liegende Insel Sokotra. Abbildung 32 zeigt die natur-räumliche Gliederung des Jemen auch für den Laien sehr anschaulich. In Kapitel 2 (S. 45-104) "Mensch und Siedlung" arbeitet H. KOPP hauptsächlich die sozialen, soziologischen und gesellschaftlichen Probleme des Jemen auf. In dem Unterkapitel 2.1 "Demographische Grunddaten: Wachstum und Verstädterung" konstatiert der Herausgeber und Hauptautor: "Im Jemen leben gegenwärtig etwa 20 Millionen Menschen, um 1970 waren es erst 6 Millionen, 2025 werden es allen Prognosen zufolge bereits 40 Millionen sein. Mit 3,5% jährlichem Wachstum gehört der Jemen zu den Welt-Spitzenreitern - mit allen dadurch ungelösten Problemen"
(S. 45).
Eine interessante Feststellung bezüglich der in Saudi-Arabien als Staatsdoktrin geltende Reformbewegung der Wahhabiten trifft H. KOPP im Unterpunkt Religionsgruppen: "Gegenwärtig betreiben fundamentalistisch-konservative wahhabitische Prediger mit Unterstützung aus Saudi-Arabien eine sehr aggressive Missionierung, können damit aber bei den religiös eher liberal eingestellten Jemeniten nur wenig punkten" (S. 48). Dabei wird verschwiegen, dass der wenige Zeilen später erwähnte Volksislam, insbesondere die Heiligenverehrung, die von der Wahhabiya besonders stark bekämpft wurde, der wahhabitischen Propaganda entgegenwirkt. JOHANN HEISS erörtert in Kapitel 2.4 die soziale Gliederung im räumlichen Kontext, insbesondere die Stämme, die Gruppe der Sâdah (Pl. von Sayyid - Nachkommen Muhammads) und der Ahl ath-Thalth ("Leute des Drittels") sowie das Verhältnis von Zentralgewalt und den Partikulargewalten, d.h. den Stämmen. Der Autor zieht folgendes aufschlussreiches Resumée: "Auf fatale Weise entwicklungshemmend wirken im Ergebnis zwei Tatbestände: Zum einen besitzt der Staat noch lange nicht das Gewaltmonopol im gesamten Land, und zum anderen verteilt er seine Leistungen nicht nach rationalen, landesplanerischgestaltenden Gesichtspunkten, sondern nach Macht und Einfluss einzelner Stämme" (S. 77).
Breiten Raum nimmt die Skizzierung von Grundproblemen der Migration ein. Des Weiteren werden das gravierende Problem der Verstädterung und die zunehmende Landflucht sowie Entwicklungstendenzen einzelner Städte thematisiert. Kapitel 3 "Wirtschaft und Landesentwicklung" (S. 105-136) umreißt Struktur und jüngere Entwicklung der jemenitischen Volkswirtschaft, die im Umbruch befindliche Landwirtschaft, das Wasserproblem, Bodenschätze, Energiewirtschaft, Handwerk, Bauwesen, Industrie, Binnen- und Außenhandel, Tourismus sowie verkehrstechnische und soziale Infrastruktur.
UELI BRUNNER skizziert Entwicklungszüge der jemenitischen Geschichte. Der verständlich geschriebene Beitrag über die Ur- und Vorgeschichte des Jemen, die südarabische Epoche mit der legendären Königin von Saba und der islamischen Zeit bietet einen wirklich komprimierten Überblick über die jemenitische Geschichte, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren. Mehrere Synopsen und eine Karte zum antiken Südarabien runden diesen wirklich auch sprachlich anspruchsvollen Abriss jemenitischer Geschichte ab. Allerdings hätte man sich die von CHRISTIAN ROBIN und UELI BRUNNER erstellte "Map of Ancient Yemen" (1:1.000.000) als Beilage zur "Länderkunde Jemen" gewünscht.
Der von THOMAS KOSZINOWSKI verantwortete Beitrag zur politischen Entwicklung von Nord- und Südjemen erläutert den Vereinigungsprozess der beiden jemenitischen Landesteile, das Parteiensystem, die Stämme und ihre Rolle im politischen System. Der Satz "Außenpolitisch wurde der ‚proletarische Internationalismus', d.h. die bedingungslose Unterordnung unter die Interessen der Sowjetunion als des wichtigsten Verbündeten, zum obersten Prinzip erhoben" (S. 160) wirkt sehr plakativ und ist kaum in der Lage, Interessenübereinstimmungen und -divergenzen zu beschreiben. Richtiger liegt KOSZINOWSKI, wenn er die Ursachen in der im Südjemen 1986 ausbrechenden blutigen Auseinandersetzungen zwischen Ali Nasir Muhammad und Isma'il in den Stammesinteressen der jeweiligen Prätendenten sieht. Neben Isma'il selbst starb in den Auseinandersetzungen übrigens auch der erste südjemenitische Fliegerkosmonauten-Anwärter. Dieser Konflikt hatte selbst Auswirkungen auf die in der DDR studierenden Südjemeniten.
Der Sieg des Nordens im Bürgerkrieg am 7. Juli 1994 führte zur Zurückdrängung der von der "Jemenitischen Sozialistischen Partei" vorangetriebenen Säkularisierung und bedeutete für viele Frauen das Ende ihrer Berufstätigkeit, wie der Autor richtig bemerkt.
PETER WALD beschreibt in seinem Beitrag "Kulturen der Antike" (S. 171-216) den Karawanenhandel, die antike Baukunst, die jemenitischen Schriftsysteme, Baukunst und Götterwelt der Südaraber. Geringeren Raum nehmen die Sakralbauten, Handwerk, Malerei und Musik in islamischer Zeit ein. Alles in allem gewinnt man den Eindruck, dass der Jemen vor enormen Problemen steht, da er als typischer "Rentenstaat" kaum eigene wirtschaftliche Anstrengungen initiieren kann. Mit der heutigen Moderne verlieren Stammesgrenzen "ihre trennende Wirkung [...] Damit droht aber auch landschaftliche Individualität unterzugehen, erkennbar am Baustil der Häuser, an Sitten und Gebräuchen" (S. 135). Die beiliegende Touristenkarte der Deutsch-Jemenitischen Gesellschaft mit Umgebungsplänen von San'â', Aden, Ta'izz, Al-Hudaydah, Al Mukallâ und Manâkhah sowie einem Innenstadtplan von San'â' sind eine willkommene Ergänzung dieses gelungenen Werkes.
Fazit: Die Illustration dieser Länderkunde ist vorzüglich und lässt keine Wünsche offen. Die notwendigen Kompromisse, die die Autoren mit dem Reichert-Verlag schließen mussten, haben sich gelohnt. Es bleibt zu hoffen, dass diese Länderkunde Jemen einen breiten Leserkreis von Fachleuten und Laien erreichen wird.
Autor: Uwe Pfullmann