Ludger Basten: Postmoderner Urbanismus. Gestaltung in der städtischen Peripherie. Münster 2005 (Schriften des Arbeitskreises Stadtzukünfte der Deutschen Gesellschaft für Geographie 1). 376 S.

Der Diskurs um Gegenwart und Zukunft der Städte stand in der europäischen und mehr noch in der nordamerikanischen Stadtforschung seit den 1980er Jahren im Zeichen von Paradigmen wie Postmoderne oder Postfordismus. Im Bewusstsein tiefgreifend veränderter sozio-ökonomischer Rahmenbedingungen wurde die These eines möglichen Epochenbruchs durch die Postmoderne diskutiert. In der Raumentwicklung fand diese Diskussion ihren Ausdruck u. a. in einer neuen Bedeutung von Zentrum und Peripherie der Stadt. Auch die Ablösung des alten fordistischen Akkumulationsregimes durch ein zunehmend von Flexibilität dominiertes System wurde mit bestimmten baulich-räumlichen Folgen assoziiert. Dieser Diskurs regte - zumindest im angloamerikanischen Sprachraum - zahlreiche theoretische und konzeptuelle Forschungen an. Dazu gehörte auch die Proklamation einer neuen, paradigmatisch an Los Angeles orientierten "School of Urban Studies", die sich in (selbst-)bewusster Absetzung vom alten Chicagoer Modell der Stadtentwicklung positionierte.

Umso erstaunlicher muss es auch im Rückblick erscheinen, dass diese Diskussion lange ohne nennenswerten Niederschlag in der deutschsprachigen geographischen Stadtforschung blieb. Theoretische wie empirische Beiträge zu dieser Fragestellung kamen vorwiegend aus der Stadtsoziologie und -ökonomie oder aus den politischen Wissenschaften. Erst in jüngerer Zeit hat sich die Geographie verstärkt hiermit auseinander gesetzt. Eines der aktuellen Werke dazu hat Ludger Basten verfasst. Die Arbeit stellt die überarbeitete Fassung seiner Habilitationsschrift an der Ruhr-Universität Bochum dar; sie eröffnet zugleich eine neue Schriftenreihe mit Publikationen aus dem DGfG-Arbeitskreis "Stadtzukünfte". Im Mittelpunkt der Arbeit steht die städtebauliche Gestaltung an der Peripherie der Städte, die im Kontext einer gesellschaftstheoretischen und architektonischen Postmoderne-Diskussion untersucht wird.
Kern der empirischen Arbeit sind zwei Fallstudien, die ambitionierte Städtebauvorhaben der 1990er Jahre repräsentieren: das Kirchsteigfeld in Potsdam/Brandenburg sowie Panorama Village in Surrey/British Columbia (Kanada). Es handelt sich im ersten Fall um eine mehrgeschossige Siedlungserweiterung auf einem knapp 60 ha großen Gelände, das heute von ca. 5.000 Einwohnern in rund 2.340 Wohneinheiten vorwiegend zur Miete bewohnt wird. In Panorama Village wohnen ca. 2.000 Einwohner in ca. 750 Wohneinheiten (kleine freistehende Einfamilienhäuser, Townhouses), größtenteils selbst genutztes Eigentum. Auf der Basis einer gründlichen Theoriediskussion im Kontext der Postmoderne versucht der Autor anhand von strukturierten Interviews mit Experten (Architekten, Entwicklern, Stadtplanern) sowie Bewohnern der beiden Gebiete, dem Gestaltungsanspruch, den Nutzungsperspektiven und der Bedeutung dieser Vorhaben für die Stadtentwicklung nachzugehen. Dieser Versuch, dies sei vorweg festgestellt, ist dem Autor gelungen.
Die Arbeit ist sehr klar gegliedert. Aufbauend auf eine theoriegeleitete Einführung stellen die beiden Fallstudien den Kern der Arbeit dar. Ihnen ist jeweils eine ausführliche Darstellung des gesellschaftstheoretischen, stadtstrukturellen und städtebaulichen Kontextes vorangestellt. Auf diese Weise werden die beiden Fälle in eine allgemeine Diskussion eingebettet. Die Fallstudie Kirchsteigfeld folgt auf eine Ausarbeitung zur postmodernen Stadtentwicklung, die sich diesem Themenkreis entsprechend stark auf internationale (vorwiegend nordamerikanische) Diskurse bezieht; die kanadische Fallstudie wird eingebettet in eine Abhandlung zur städtebaulichen Reformbewegung des "New Urbanism", die seit Mitte der 1990er Jahre in Nordamerika sehr populär ist und auch dem hier untersuchten Fall als Begründungskontext dient. Die beiden Fallstudien sind jeweils analog aufgebaut: Auf eine Darstellung der Entstehungsgeschichte und der Eckdaten des Vorhabens folgt die Auswertung der Experteninterviews, anschließend eine synthetisierte Darstellung der Bewohnerperspektive. Ein zusammenfassendes Fazit beschließt die Arbeit und versucht, auf die eingangs gestellten Fragen nach der Realität eines postmodernen Urbanismus Antworten zu geben.
Postmoderner Urbanismus als wichtiger Bezugspunkt dieser Arbeit wird unterschiedlich definiert bzw. konzeptualisiert: Erstens handelt es sich um eine Annäherung an die Stadtstruktur, die abhebt auf die besondere Bedeutung städtischer Ränder und eine tendenzielle Umkehr der klassischen Hierarchie zwischen Zentrum und Peripherie. Zweitens geht es um einen gestalterischen Zugang zum gebauten Raum bzw. zum Stadtraum, um städtebauliche und architektonische Konzepte. Dabei spielen drittens Bilder, Zeichen, Symbole als Gegenstand individueller Konstruktionsleistungen einen zentrale Rolle. In diesem an gesellschaftstheoretischen und architektonischen Postmoderne-Diskursen orientierten Ansatz fallen daher symbolische Repräsentationen und ihre je spezifische Wahrnehmung zentral ins Gewicht. Soweit postmoderne Gestaltung thematisiert wird, ist diese stark durch anti-modernistische Bezüge und den Rekurs auf eine traditionelle Bildersprache geprägt. Es verwundert nicht, dass zwischen der bewussten Bezugnahme auf die "europäische" Stadt durch die Architekten Krier und Kohl (Kirchsteigfeld) und dem am neo-traditionalistischen Bauen orientierten Panorama-Village viele Analogien bestehen. (Es ist insofern auch kein Zufall, dass die Protagonisten des "New Urbanism" mittlerweile eine europäische Dependance, den "Council of European Urbanism", gegründet haben.)
Aus stadtgeographischer Perspektive ist an beiden Leitbildern bemerkenswert, dass sie eine enge Verbindung zwischen städtebaulicher Formgebung und lebensweltlicher Nutzung unterstellen, etwas überspitzt eine Art "form determines function". Aus den Ergebnissen der Interviews der beiden Fallstudien wird jedoch ein auffallender Kontrast zwischen dem diesbezüglich ausgeprägten normativen Impetus der Architekten bzw. Städtebauer und den Nutzern bzw. Bewohnern sichtbar: Während die einen die städtebauliche Anlage und architektonische Formgebung ausdrücklich mit Vorstellungen über die gesellschaftliche Bedeutung und Funktionsweise des Raums begründen, geben die Bewohnerinterviews Zeugnis von einem sehr pragmatischen Umgang der Bewohner mit dem Raum. Auch wenn diese die architektonische (nicht städtebauliche) Gestalt ihres Quartiers durchaus sehen, basiert ihre Wahrnehmung wesentlich auf Brauchbarkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen, nicht zuletzt der eigenen Wohnung bzw. des eigenen Wohnhauses. Stärker noch als das Kirchsteigfeld ist Panorama Village auch Ausdruck einer anti-städtischen, anit-urbanistischen Perspektive, in dem sich die Sehnsucht nach Dorf und Kleinstadt sowie die Flucht vor den Problemen der Großstadt spiegelt.
Zugleich fungiert die Peripherie, die hier in Gestalt zweier Wohnquartiere untersucht wird (der ursprüngliche Versuch der Mischung von Wohnen und Arbeiten ist in beiden Fällen gescheitert), als Anker eines komplexen Systems von Alltagsbewältigung und Aktionsraum. Für eine Mehrzahl der Befragten ist der Standort keineswegs ihr Lebensmittelpunkt, sondern Knotenpunkt in einem vernetzten System raum-zeitlich übergreifender Aktivitäten. Insofern passt dieser Befund auch gut zur Konstruktion des Postmodernen, das mit den alten Vorstellungen der Stadt als Einheit von Lebens-, Wohn- und Arbeitsort tendenziell bricht. Die neo-traditionalistische städtebauliche Gestaltung der beiden Standorte kontrastiert damit auffallend. Dies steht jedoch nicht zwingend im Widerspruch dazu, denn die traditionelle Bauweise symbolisiert eine Art beharrendes Element in einer Lebenswelt, die zunehmend als "fließend" wahrgenommen wird.
Die Arbeit endet mit einem persönlichen, in gewisser Weise postmodernistischen Fazit des Autors, in dem er seine wissenschaftliche Vorgehensweise in den Kontext seiner subjektiven Setzungen und Annahmen stellt, die das Ergebnis der Forschung mitbestimmen und jeweils transparent gemacht werden müssen. Bei aller Sympathie für diese Redlichkeit des Forschers und seine Offenheit: Das kursorische "ja und nein" als Antwort auf wichtige Fragen am Schluss des Fazits hinterlässt eine gewisse Irritation. Denn anders als die abgewogenen, aber gut nachvollziehbaren Befunde und Interpretationen erzeugt dieses Fazit genau denjenigen Eindruck des Beliebigen, dem postmoderne Diskurse als Kritik immer ausgesetzt waren.
Insgesamt wird mit dem "Postmodernen Urbanismus", gemessen an der theoretischen Basis der Arbeit, ihrer sorgfältigen empirischen Grundlage und der klaren Strukturierung, eine beispielhafte Stadtgeographie neueren Typs praktiziert. In der Auswahl ihres Gegenstandes macht sie zugleich (ungewollt) deutlich, wie kurzlebig bestimmte Konjunkturen in der Wissenschaft sein können (um das Wort von der Mode zu vermeiden). Zumindest aus heutiger Sicht scheint das in der Einführung der Arbeit dokumentierte Diktum, dass die Städte nunmehr am Rand pulsieren, schon fast wieder einer vergangenen Zeit anzugehören, wo aktuell von einer vermeintlichen Renaissance der Innenstädte etc. die Rede ist. Möglicherweise ist der (richtige) postmoderne Kern an dieser Botschaft schlicht die Mahnung, nicht den jeweils letzten Trend zu überhöhen, sondern Stadt- und Gesellschaftsentwicklung im größeren raum-zeitlichen Maßstab zu betrachten. Hierzu hat die Arbeit von Ludger Basten einen wichtigen Beitrag geleistet. Die mit diesem Band zugleich gestartete Publikationsreihe weckt die Hoffnung, dass theoriegeleitete Forschung in der deutschsprachigen Stadtgeographie künftig den Stellenwert erhält, der ihr zusteht.
Autor: Markus Hesse

Quelle: Geographische Zeitschrift, 94. Jahrgang, 2006, Heft 2, Seite 118-120