Anke Matuschewski: Regionale Verankerung der Informationswirtschaft in Deutschland. Materielle und immaterielle Beziehungen von Unternehmen der Informationswirtschaft in Dresden-Ostsachsen, Hamburg und der Technologie-Region Karlsruhe. Kiel 2004 (Kieler Geographische Schriften 110). 385 S.
Die Frage, warum angebliche ‚footloose' Branchen, wie auf neue Informationstechnologien gestützte Dienstleistungen, fortgesetzt räumlich konzentriert und lokal gebunden auftreten, ist seit einigen Jahren Gegenstand wirtschaftsgeographischer wie regionalökonomischer Forschung im In- und Ausland. Hiermit ist eine umfassende theoretische Debatte verbunden (z. B. zu Konzepten der interaktions-basierten Regionalentwicklung wie Cluster, Milieu oder embeddedness) und es gibt Versuche, Faktoren der lokalen Einbettung und Verankerung empirisch nachzuweisen.
Das vorliegende Buch - aus der Habilitationsschrift der Autorin hervorgegangen - lässt sich eher der letztgenannten Kategorie zuordnen, nimmt jedoch auch Bezug auf konzeptionelle Überlegungen. Zentrales Anliegen ist, anhand deutscher Beispiele wesentliche Einflussgrößen zu identifizieren, die für die örtliche Bindung und Clusterung von Betrieben der Informationswirtschaft (IW) bzw. ihrer Teilbranchen verantwortlich sind, und dabei (teil)branchen-typische und/oder regions-spezifische Aspekte herauszuarbeiten. Die Resultate können zum einen dazu dienen, theoretische Ansätze zu untermauern oder zu konkretisieren; zum anderen mögen sie dazu beitragen, regionale Förderpolitiken effektiver zu gestalten.
Die ersten Kapitel widmen sich theoretisch-konzeptionellen Grundlagen, diskutieren insbesondere die Bezeichnung ‚Informationswirtschaft', ihre terminologischen Varianten und Verständnisweisen, operationalisieren und strukturieren den Begriff für den eigenen Ansatz. In Bezug auf Faktoren der regionalen Verankerung wirtschaftlicher Aktivität sowie auf die Leitidee des Clusters wird (allzu) selektiv Forschungsliteratur des In- und Auslands aufgearbeitet (mit verschwimmenden Grenzen zu Milieu und Distrikt). Auf dieser Basis entwickelt die Autorin ihren eigenen Forschungsansatz, der - in etwas reduktionistischer Sicht - Beziehungen als wesentlichen Einbettungs- und Cluster-Faktor betont und dabei drei Ebenen als relevant erachtet: Das lokalisierte Produktionssystem als funktionale Einheit, das Milieu als soziale kognitive Einheit sowie die Region als räumliche Einheit. Einfluss und Interdependenzen jener Ebenen sollen aufgezeigt werden, dazu ihre Veränderungsdynamik. Die Autorin leitet vier Haupt-Fragenkreise ab: 1. Beziehungen von Unternehmen der IW; 2. Unterschiede innerhalb der IW (bezogen auf die drei Sparten Informationstechnik/-verarbeitung, -übermittlung sowie -inhalte); 3. raumspezifische Unterschiede; 4. Veränderung der Unternehmensbeziehungen. Diese sind eingangs genannten übergreifenden sechs ‚Kernfragen der Untersuchung' untergeordnet.
Im Zuge methodologischer Überlegungen wird die Frage aufgegriffen, wie das Phänomen lokaler Verankerung vor jenem konzeptionellen Hintergrund empirisch erfassbar und greifbar zu machen ist. Das eingehend vorgestellte Untersuchungsdesign berücksichtigt, dass hierfür Merkmale der Betriebe bzw. Teilbranchen selbst sowie des Umfeldes zu betrachten sind, Sekundär- durch Primärdaten ergänzt werden müssen. Der Ansatz einer vergleichenden Detail-Untersuchung von drei Beispielregionen ist generell geeignet, den Einfluss branchen- und/oder regionsspezifischer Faktoren herauszustellen; er erfordert allerdings eine wohlüberlegte, auf sinnvoller Vergleichbarkeit (d. h. Kombination bestimmter Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten) basierende Auswahl betreffender Regionen bzw. Betriebe. Dies ist im vorliegenden Fall der Regionen Hamburg, Karlsruhe und Dresden-Ostsachsen diskutabel. Die Autorin erwähnt die Vergleichs-Problematik, die v. a. in großen interregionalen Differenzen bei Alter und Genese der betrachteten IW-Cluster, bei dort dominierende IW-Teilbranchen, d. h. Zusammensetzung der Befragungssamples, sowie bei Umfeldstrukturen begründet liegt. Die sich ergebende Frage, inwiefern bei dieser Konstellation erfasste interregionale Unterschiede der Verankerung de facto auf den Einfluss regions- oder aber branchenspezifischer Faktoren zurückführbar sind, wie die Autorin ermitteln möchte, wird jedoch kaum diskutiert und bleibt letztlich ungelöst. Die Empirie selbst verknüpft quantitative und qualitative Aspekte, spricht die o. g. drei Beziehungs-Ebenen an und umfasst eine persönliche teilstandardisierte Unternehmensbefragung sowie leitfadengestützte Expertengespräche. Der Einbezug von insgesamt 148 Unternehmen sowie 55 sonstigen Einrichtungen liefert eine hinreichend solide Basis.
Die Darstellung der regionalen Fallstudien wird eingeleitet durch einen vergleichenden Überblick verfügbarer Strukturdaten für alle drei Untersuchungsregionen, was ihre Unterschiedlichkeit bei etlichen Indikatoren zu Wirtschaftsdynamik, Arbeitsmarkt und F&E-Aktivitäten unterstreicht, außerdem ihre Differenzen bei der Bedeutung der IW und der Sparten-Spezialisierung. Zu kurz kommt hier die vergleichende Darstellung wichtiger verankerungsrelevanter Infrastruktureinrichtungen (z. B. Universitäten) und der politischen Förderkulisse (z. B. Ansätze der Spin-off-, Kooperations- oder Clusterförderung); diese Information wird aber später in den Fallstudien-Kapiteln nachgeliefert. Die Ergebnisse der empirischen Arbeiten bieten umfassende Detailinformationen zu diversen regionalen wie überregionalen Verankerungs- und Entwicklungsaspekten der örtlichen IW. In Auswertung der Unternehmensbefragung werden jeweils Ursprung und Strukturmerkmale der Betriebe, Beschäftigung und Arbeitsmarkt-Bezüge, Kundenbeziehungen, (sonstige) Geschäfts-/Kooperationsbeziehungen (zu Dienstleistern, Forschungs-/Ausbildungseinrichtungen, Unternehmen) sowie Netzwerke (hier etwas irritierend als persönliche Beziehungen verstanden) betrachtet. Hinzu kommen Bewertungen zum institutionellen Unternehmensumfeld, zum Standort und zu Förderansätzen. Teils werden den Sichtweisen der Betriebe die der befragten Experten gegenüber gestellt. Kleine strukturelle Inkonsistenzen zwischen den Fallstudien-Kapitelblöcken erschweren zwar das vergleichende Verständnis, v. a. mit Blick auf regionale Identität bzw. Regionalbewusstsein und Förderansätze. Doch bietet die Zusammenschau wesentlicher Cluster-Faktoren am Ende jeder Fallstudie eine gute Basis des interregionalen Vergleichs, bringt die Resultate auf einen gemeinsamen Nenner.
Angesichts der Detailfülle der empirischen Ergebnisse kommt der strukturierenden und wertenden Interpretation vor dem Hintergrund zentraler Forschungsziele besondere Bedeutung zu. Diese Analyse- und Synthese-Aufgabe greift die Autorin in einem eigenen Kapitel auf, orientiert sich dabei in groben Zügen an ihren zuvor formulierten Haupt-Fragenkreisen und ergänzt die Resultate um weitere Auswertungen. Zunächst werden Gemeinsamkeiten herausgestellt, die eventuell als typisch bzw. regelhaft für die IW insgesamt gelten könnten: Sie betreffen betriebliche Strukturmerkmale, Arbeitsmarktbezüge sowie einige Beziehungs-/Netzwerk-Aspekte, wobei eine Typenklassifikation vorgenommen wird. Die Frage, ob erfasste interregionale Differenzen auf orts-, teilbranchen- oder unternehmensbezogene Spezifika der Verankerung zurückführbar sind und welche Faktoren dies v. a. beeinflussen, kann allerdings aufgrund der vielfältigen Strukturunterschiede der drei Untersuchungsregionen nur spekulativ und vage beantwortet werden. Der Mix regional vorherrschender IW-Teilbranchen prägt die Einbettung in hohem Maße, dazu Genese und historische Tiefe der Firmenagglomeration. Besondere Markt- und Wettbewerbsbedingungen der betrachteten IW-Sparten, welche die Räumlichkeit von Beziehungen vermutlich zusätzlich beeinflussen, werden nicht behandelt. Regionsspezifische Faktoren der Verankerung sind noch am ehesten durch Arbeitsmarkt-Charakteristika, die Eignung des institutionellen Umfelds (v. a. Forschungs-/Bildungseinrichtungen) für Kooperationen mit der IW sowie regionalkulturelle Merkmalen repräsentiert. Demgegenüber spielen auch einige Unternehmensmerkmale eine Rolle, was die Autorin anhand der eigenen Typen-Klassifikation demonstriert. Die im Kontext der Forschungsfragen definierten drei Betrachtungsebenen werden hier leider nicht mehr explizit angesprochen.
Gegen Ende des Buches findet sich eine lobenswerte Methodenkritik. Außerdem werden wichtige Resultate nochmals ausführlich resümiert sowie - mehr sporadisch als systematisch - in Relation zum theoretischen Hintergrund gesetzt, jedoch ohne Versuch einer konzeptionellen Weiterentwicklung. Für die regionalpolitisch interessierte Leserschaft listet die Autorin Empfehlungen zur IW-Clusterförderung auf; die fachwissenschaftliche Community wird auf offen gebliebene Forschungsfragen hingewiesen. Insgesamt hat das Buch vielleicht mehr gewollt als erreicht, aber den Forschungsstand zu Faktoren der regionalen Verankerung von IW-Unternehmen in Deutschland sicherlich bereichert. Wieder einmal zeigt sich die erhebliche Komplexität jenes Themenbereichs, der klare Aussagen über generalisierbare raumbezogene Wirkungszusammenhänge - zugegebenermaßen - schwierig macht.
Autorin: Martina Fromhold-Eisebith