Vittorio Magnago Lampugnani, Matthias Noell (Hg.): Handbuch zum Stadtrand. Gestaltungsstrategien für den suburbanen Raum. Basel et al. 2007. 318 S.

Vorweg: Ein schönes Buch! Das bezieht sich sowohl auf die ästhetisch hervorragende, leicht verspielte grafische Gestaltung als auch auf Breite und Tiefe des Inhalts, der nicht am ausschließlich Architektonischen kleben bleibt und die Attitüde der gegenwärtig tonangebenden Architektengeneration diskret im Hintergrund lässt, neben dem Baulich-Gestalterischen zugleich alles Stadtplanerische im Griff zu haben. Dem widerspricht nicht der Verweis auf städtebauliche Handbücher aus der Feder von Architekten – Manuale, die schon ab Ende des 19. Jh. erschienen und die nie „die objektiven Instrumente, die sie oft zu sein vorgaben“, waren (S. 17).

„Das vorliegende Handbuch will mit der Vorstellung einer möglichen methodischen Handlungsweise an Gestaltungsfragen einige Forschungslücken schließen und Anregungen zu einer städtebaulichen Qualifizierung des suburbanen Raums geben“ (S. 50). Dieser geht es nicht um die „individuelle Einzellösung“, sondern um die „Suche nach übergeordneten, übertragbaren Gestaltungsstrategien“, um „durch punktuelle Interventionen zur Schaffung von Lebensqualitäten in diesem Raum beizutragen“ (S. 51). „Dem Benutzer ist es freigestellt, ob er das Handbuch zum Stadtrand als praxisorientiertes oder als städtebautheoretisches Nachschlagewerk verwendet. Für eine Verbindung der Begriffe ,suburbaner Raum‘ und ,städtebauliche Gestaltung‘ bedarf es beider Zugänge“ (S. 69). Das Verfasserteam geht von der Realität der Zwischenstadt und ihrem Wachstum aus, macht jedoch auch auf den demographischen Wandel aufmerksam. Dieser drückt sich global in zunehmender Bevölkerungszahl und Städtewachstum aus, wobei allerdings in Europa, Nordamerika und Japan die Einwohnerzahlen jetzt schon stagnieren oder rückläufig sind: „Urbanistisch geht es also dort um innovative Bewirtschaftung des Vorhandenen, nicht um Expansion“ (S. 9). „Dabei sprechen nicht nur ökologische Gründe gegen eine schrankenlose Verstädterung“ (S. 8). Verwiesen wird auf ökonomische Fehlleistungen durch Folgekosten, „von denen jene der Nachurbanisierung mit ihren Infrastrukturaufwendungen lediglich die Spitze des Eisberges darstellen“ (S. 8).

Das Buch gliedert klar in Theorie und Methode (Kap. 1; S. 26ff.), Begriffe (Kap. 2; S. 70ff.), Fallstudien aus dem suburbanen Raum (Kap. 3; S. 100ff.), Referenzen aus der Geschichte des Städtebaus (Kap. 4; S. 170ff.) und Stadträumliche Strategien für den suburbanen Raum (Kap. 5; S. 266ff.). – Davon hat den Stadtgeographen, den Humanökologen, den Städte- und Raumplaner, aber auch den Stadtökologen eigentlich alles zu interessieren. Der Rezensent sieht den geographischen Schwerpunkt in den Kapiteln 1, 2 und 4. Die „Fallstudien aus dem suburbanen Raum“ (Kap. 3) lassen sehr das dem Buch zugrundeliegende dreijährige Forschungsprojekt durchscheinen und beziehen sich auf die Agglomeration Zürich. Die bildhaftgrafischen „Stadträumlichen Strategien für den suburbanen Raum“ (Kap. 5) stellen eher visuelle Denkanstöße dar, die konkret vor allem stadtplanerisch tätige Architekten interessieren. Das Kapitel 1 „Theorie und Methode“ öffnet für den suburbanen Raum eine weite Perspektive zwischen Städtebau sowie Stadt- und Landschaftsplanung und ihren Möglichkeiten und Grenzen im dynamischen Prozessgefüge der Zwischenstadt. Hier wird auch auf humangeographische Arbeiten zurückgegriffen (u.a. G. Weiss 1993, P. Reuber 1995, P. Weichhart 1990), wobei dem Geographen einmal mehr bewusst wird, dass da seitens der Human- und Stadtgeographie ein weites praxisbezogenes Feld bislang nur ganz schmal bestellt wurde und immer noch schmal bestellt wird: Stadtgeographie und Humanökologie könnten nach Meinung des Rezensenten fachwissenschaftlich viel mehr in der Stadtplanungspaxis aktiv sein und sich damit auch mehr den stadtplanerisch tätigen Architekten annähern. – Kapitel 2 „Begriffe“ stellt nicht nur einen anregenden Fundus für Begriffsklärungen dar, sondern liefert auch Denkanstöße dazu, wie sich die Stadtgeographie und ihre Theorie und ihr Begriffssystem vermehrt in den interdisziplinären Kontext der Stadtentwicklung hineinbegeben können. – Das Kapitel 4 „Referenzen aus der Geschichte des Städtebaus“ nimmt sich bildhaft der Vorgänge beschreibenden Begriffe „Schaffung von Identifikationsorten“, „Verdeutlichung von Grenzen“, „Vernetzung“, „Schaffung von Kohärenz“ und „Stärkung des öffentlichen Raums“ mit jeweils drei bis fünf Beispielen an (mit Ausnahme von zwei überseeischen alle über Europa gestreut, u.a. mit „Weiße Stadt, Berlin“ [S. 192-195] und „Wohnkomplexe IIV, Eisenhüttenstadt“ [S. 240-243]). Auch das ist Stadtgeographie!

 Fazit: Vordergründig kann man das Buch als Architekturband wahrnehmen. Tatsächlich bietet es mehr: Es spricht, wie schon gesagt, auch die geographische Stadtforschung an, die sich Anregungen für einen stärkeren Praxisbezug holen könnte, es spricht aber auch den nicht fachlich gebundenen Stadtbewohner an, der wissen will, was mit seinem Lebensraum geschah und geschieht. Die klare Sprache, ohne Fachjargon, und die reichhaltige Illustrierung machen es jeder an der Stadtstruktur und Stadtentwicklung interessierten Person leicht, den Horizont zu erweitern und kompetent in der lebenswichtigen Frage der Gestaltung des suburbanen Raumes mitzureden. Verlag und Verfasserteam sind zu dem hervorragendem Werk zu beglückwünschen, für das man eine möglichst weite Verbreitung erhofft. Um an den Rezensionsbeginn zurückzukehren: Ein im besten Sinne „schönes Buch“.

Autor: Hartmut Leser

Quelle: Die Erde, 139. Jahrgang, 2008, Heft 3, S. 249-250