Harald Bodenschatz (Hg.): Renaissance der Mitte. Zentrumsbau in London und Berlin. Berlin (Stadtforschung und Denkmalpflege der Technischen Universität Berlin 2) 2005. 461 S.

Im Kern des ungewöhnlich voluminösen Werkes steht der Vergleich des städtebaulichen Umbaus der Zentren von London und Berlin in den vergangenen rund 20 Jahren. Auch wenn die Ausgangsbedingungen in diesen beiden Millionenstädte für diese Zeit recht unterschiedlich waren bzw. derzeit auch noch sind - auf der einen Seite die boomende Global City London, die ganz unzweifelhaft zu den führenden Zentren der Welt gehört, und auf der anderen Seite das wiedervereinigte Berlin, in dem sich nach einer Anfangseuphorie nach dem Fall der Mauer die Erwartungen auf eine wachsende Bedeutung im weltweiten Städtesystem nicht erfüllt haben, so gelingt es den Autoren doch eindrucksvoll, gemeinsame Themenfelder des nachmodernen Städtebaus für die beiden Städte herauszuarbeiten.

Dabei wird seit den 1980er Jahren sowohl für London als auch für Berlin ein "Comeback" der Zentren, eine Renaissance der Innenstädte, kons-tatiert, bei dem unter anderem Aspekte wie "Urban Design", öffentliche Räume, Wasserlagen oder traditionelle Stadtgrundrisse eine wichtige Rolle spielen.
Der Stadtsoziologe HARALD BODENSCHATZ hat für dieses von der DFG geförderte Projekt ein Team von zehn Autoren - bestehend aus UWE ALTROCK, ERICH KONTER, CORDELIA POLINNA, CARSTEN BENKE, LAURA CALBET I ELIAS, FRIEDHELM FISCHER, URSULA FLECKEN, BENJAMIN HERKOMMER, FRANK ROOST und DIRK SCHUBERT - zusammengeführt. Auf den ersten rund 150 Seiten beschäftigen sich die Autoren mit der nachmodernen Innenstadtentwicklung Londons, dann auf weiteren rund 150 Seiten mit der Innenstadtentwicklung Berlins und schließlich auf den letzten 100 Seiten mit dem Vergleich dieser beiden Entwicklungen. Um es vorweg zu nehmen: Das Buch ist eine ausgesprochen interessante Lektüre, die nicht nur durch den durchgehend ansprechend und informativ geschriebenen Text, sondern auch durch die reichhaltigen Illustrationen überzeugen kann.
Zu dem positiven Gesamteindruck trägt vor allem bei, dass es sich nicht um einen klassischen Sammelband handelt, in dem oft einzelne Beiträge mehr oder weniger unverbunden aneinander gereiht sind. Vielmehr ist es HARALD BODENSCHATZ und seinen Mitstreitern ganz ausgezeichnet gelungen, einen durchgehenden roten Faden in ihr gemeinsames Werk zu bringen und es so zu einer echten Gemeinschaftsleistung zu machen. Dies findet man in dieser Form eher selten. Es wird recht deutlich, welche Vorzüge es für den Leser bringt, wenn sich die einzelnen Autoren auf einen gemeinsamen Rahmen einlassen.
So folgen die beiden Darstellungen zur Zentrenentwicklung von London und Berlin dem gleichen Gliederungsprinzip. Nach einem kurzen geschichtlichem Abriss und einem Einblick in die heutigen Rahmenbedingungen des Stadtumbaus, der für eine Einordnung der weiteren Ausführungen hilfreich ist, werden jeweils an sechs Beispielen aktuelle Projektgeschichten vorgestellt. Dabei erhält der Leser für London einen ausgezeichneten und jeweils detaillierten Einblick in die erfolgreiche Entwicklung des West End, in die Reinszenierung des Quartiers Paternoster Square, in die Umbaumaßnahmen im Umfeld der beiden Bahnhöfe
Liverpool Street Station und King's Cross, in die Wiederentdeckung der Wasserfront am zentralen südlichen Ufer der Themse sowie in das Großprojekt Canary Wharf. Für Berlin haben die Autoren die prominenten Beispiele des Potsdamer Platzes, des Alexanderplatzes, des Marx-Engels-Schloss-Platzes, der Spandauer Vorstadt und der City West um den Bahnhof Zoo gewählt und ebenso kenntnisreich die Entwicklungsgeschichten der letzten 15 bis 20 Jahre aufgearbeitet. Die schon bei GERWIN ZOHLEN hervorragend dargestellte Berliner Architekturpolitik der Nachwendezeit wird in diesem Werk noch weiter vertieft. Besonders gefallen kann der akteurszentrierte Ansatz, der die unterschiedlichen Interessen von Planern und Architekten, Investoren und Kommunalpolitik herausarbeitet und der als Erklärungsansatz für die einzelnen Projektgeschichten dient. Im Wesentlichen sind vielfältige Dokumente und Quellen Grundlage für die eigenen Aussagen. Bemerkenswert ist, dass ebenso für die Londoner wie für die Berliner Zentrenentwicklung resümierend die verschiedenen planerischen Instrumentarien aufbereitet werden.
Im Anschluss an diese beiden städtischen Einzeldarstellungen wird in zehn eher essayistischen Beiträgen ein auf Verallgemeinerung zielender Vergleich dieser beiden ungleichen Zentrenentwicklungen vorgenommen, wobei von den einzelnen Autoren jeweils ein eigener Aspekt herausgegriffen wird. Diese Aspekte reichen von den baulich räumlichen Ausprägungen über die nachmodernen Formen der Nutzungsmischung bis zu den Instrumenten des nachmodernen Zentrenumbaus. Hier wird die Perspektive schließlich auch erweitert, indem über die neuen gesellschaftlichen Gruppen diskutiert wird, die mit dem Zentrenumbau verbunden sind. Abschließend geht der Herausgeber HARALD BODENSCHATZ selbst noch einmal auf seine auch eingangs des Werkes dargestellte Phasenbildung ein - eine erste Phase der Zentrenentwicklung reicht bis zum Ersten Weltkrieg, eine zweite Phase wird bis in die 1980er Jahre festgelegt. Er begründet zusammenfassend, wie sich die Innenstädte Londons und Berlins in den letzten 20 Jahren zu einem "dritten Zentrum" entwickelt haben, das durch die veränderten privaten und öffentlichen Umbaustrategien geprägt ist, die auf den über 400 Seiten des Buches so hervorragend dargestellt werden.
Wenn das Werk inhaltlich auch überzeugend ist, erwartet den Leser doch auf Seite 321 eine böse Überraschung. So fehlten in dem Rezensionsexemplar an dieser Stelle rund 20 wahrscheinlich spannende Seiten zur zentralen Berliner Institution des "Koordinierungsausschusses für innerstädtische Investitionen" in der Nachwendezeit, zur Rolle der Hauptstadtplanung und zum neuen Zentralbahnhof sowie zum Planwerk Innenstadt. Stattdessen fand sich hier ein späteres Kapitel, das sich dadurch doppelt in dem Werk befindet. Hier wäre es bei einem fast 100 Euro teuren Buch wünschenswert, einen Käufer auf diesen Fauxpas hinzuweisen. Diese Panne beeinträchtigt aber den außerordentlichen hohen Gehalt des Werkes nicht.  
Autor: Claus-C. Wiegandt

Quelle: Erdkunde, 60. Jahrgang, 2006, Heft 4, S. 388-389